Uli Wittstock und ein Intel_logo
Dass der neue Intel-Standort so intensiv diskutiert wird, könnte auch daran liegen, dass Magdeburg in Ostdeutschland liegt, meint Kommentator Uli Wittstock. Bildrechte: dpa, MDR/Uli Wittstock/Matthias Piekacz, IMAGO / Pond5

Kommentar Intel und Ostdeutschland: Fühlt sich der Westen abgehängt?

26. Juni 2023, 12:39 Uhr

Der Vertrag ist unterschrieben: Über kaum eine wirtschaftliche Großansiedlung ist zuletzt so intensiv debattiert worden wie über die neue Chipfabriken von Intel bei Magdeburg. Das liegt nicht nur an der Größe des Projekts oder an den fließenden Fördermilliarden, sondern auch am Standort – weil dieser in Ostdeutschland ist, meint MDR-SACHSEN-ANHALT-Kommentator Uli Wittstock.

Portrait-Bild von Uli Wittstock
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz

Schon als sich die Gerüchte verdichteten, Magdeburg bekäme den Zuschlag für Intel, gab es das erste Störfeuer – ausgerechnet aus Dresden, wo man offenbar nicht verwinden konnte, für Intel nicht genügend Flächen bereitstellen zu können. Magdeburg sei definitiv der falsche Standort, so hieß es dort.

Wladimir Putin und sein Einmarsch in die Ukraine verhinderten zwar die geplante glanzvolle Verkündigung der neuen Großinvestition, dennoch blickte die interessierte bundesdeutsche Öffentlichkeit nach der offiziellen Präsentation zum ersten Mal seit Jahrzehnten auf den Wirtschaftsstandort Magdeburg.

Kritik von westdeutschen Experten

Begleitet wurde dies durch einen Chor der Nörgler, Neider und Halbexperten, die sich ziemlich einig waren, dass auf die Ankündigung nichts Konkretes folgen würde. Als dann auch noch deutlich wurde, dass auf Grund der veränderten Weltlage und gestiegener Kosten die Fördermilliarden aufgestockt werden müssten, schien kein Halten mehr.

Wirtschaftsforscher entdeckten plötzlich ihre soziale Ader. Der Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Stefan Kooths, stellte fest, das Geld wäre definitiv besser in Bildung angelegt.

Justus Haucab von Universität Düsseldorf wusste anzumerken, dass die Kosten von einer Million Euro pro Arbeitsplatz sich nicht rechnen würden. Auch Clemens Fuest vom Ifo Institut in München äußerte, die milliardenschweren Subventionen für die Intel-Ansiedlung in Magdeburg seien "fragwürdig".

Auffällig ist, dass es westdeutsche Experten sind, die nun vereint gegen die Investition Front machen.

Chipfabrik in Saarland ohne Diskussion

Als Anfang Februar die US-Firma Wolfspeed den Bau einer neuen Chipfabrik ankündigte, tief im Westen, nämlich im Saarland, für immerhin knapp drei Milliarden Euro, fühlte sich kein Wirtschaftsforscher genötigt, mehr Geld für Bildung zu verlangen. Und das, obwohl auch diese Ansiedlung hoch subventioniert wird.

Wolfsspeed versprach 600 neue Jobs, was einer Investition von etwa 4,5 Millionen Euro pro Arbeitsplatz entspricht. Keiner der westdeutschen Experten sah einen Grund, die Wirtschaftlichkeit anzuzweifeln.

Auch fand sich bislang niemand, der für die Investition im Saarland den Begriff der Fragwürdigkeit bemühte. Fragwürdig ist hingegen der Osten. Für dieses Urteil reicht offenbar der Blick auf die Himmelsrichtung.

Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, relativierte die Debatte um die Intel-Fördermittel. Grundsätzlich handele es sich um eine ungeheuer große Subvention, sagte er. Im internationalen Vergleich sei dies jedoch immer noch klein. Weltweit würden derzeit in der Halbleiter-Industrie rund 700 Milliarden Euro als Subventionen gezahlt.

Fühlt sich der Westen abgehängt?

Bislang galt ja wirtschafts- und energiepolitsch: Im Osten drehen sich Windräder, im Südwesten die Maschinen. Doch dies scheint nach den jüngsten Investitionsentscheidungen nicht mehr so selbstverständlich. Tesla in Grünheide, Intel in Magdeburg, oder auch Daimler Trucks in Halberstadt trafen die Entscheidung auch wegen der Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien.

Es könnte also sein, dass der Strom verstärkt dort abgenommen wird, wo er entsteht. Vor allem für Bayern und Baden-Würtemberg können sich daraus Probleme ergeben, zumal nicht klar ist, wie gut die dort wichtige Automobilbranche die Verkehrswende meistern wird. Möglicherweise ist der Osten Deutschlands besser auf die Veränderungen vorbereitet. Die "Jammerwessis" werden daran nichts ändern.

Damals Leuna, heute Intel

Als sich der damalige Bundeskanzler Kohl für den Erhalt der Leuna-Raffinerie einsetzte, gab es Widerstand aus dem Westen. Denn den Osten mit Benzin oder Diesel zu versorgen, wäre für die westdeutschen Konzerne kein Problem gewesen. Damals gab es für die neue Raffinerie Fördermittel von rund zwei Milliarden D-Mark, was für erhebliche Kritik sorgte.

Wer heute ins Chemiedreieck fährt, kann die Folgen dieser Ansiedlungspolitik nicht übersehen. Die TotalEnergies Raffinerie in Leuna ist Sachsen-Anhalts umsatzstärkstes Unternehmen und wichtiger Steuerzahler. Allerdings ist noch unklar, welche Folgen die zunehmende Elektrifizierung des Individualverkehrs für die Raffinerie haben wird. Investitionen in Chips scheinen jedenfalls zukunftssicherer zu sein als Investitionen in Öl- und Gas-basierte Produktionen.

Gewinner sind die Aktionäre

Tatsächlich ist Intel kein Verein zum Schutze der Menschenwürde oder zur Wahrung des sozialen Friedens. Intel ist ein börsennotiertes Unternehmen und vor allem den Interessen der Aktionäre verpflichtet.

Derzeit sind die Chipunternehmen im Wettbewerb um Schlüsseltechnologien in einer guten Lage und können sich die Standorte auch nach Höhe der Fördermittel international aussuchen. Es ist durchaus verständlich, wenn man fragt, ob die zehn Milliarden Euro Fördermittel nicht auch hätten anders ausgegeben werden können.

Ob die Ansiedlung in Magdeburg hilft, den Kohleausstieg im Burgenlandkreis abzufedern, darf wohl eher bezweifelt werden. Denn im Sinne der Intel-Aktionäre wäre das nur, wenn es dem Unternehmen Geld brächte. Man kann dies als ungerecht bezeichnen, aber das gehört zum Wesen des Kapitalismus. Allerdings ist es bislang leider auch nur den Marktkräften des Kapitalismus möglich, solche hochkomplexen Produkte zu entwickeln.

Intel-Ansiedlung: Industrieregion knüpft an Tradition an

Als Erich Honnecker 1988 den ersten "sozialistischen" Ein-Megabit-Chip in einer Sondersendung des DDR-Fernsehens vorstellte, war die Konkurrenz in den USA und Japan bereits dabei, Chips mit der vierfachen Speichergröße zu produzieren. Die Großindustrie brach nach der Wende auch deshalb zusammen, weil sie den technologischen Anschluss an die Weltmärkte verloren hatte.

Die Intel-Ansiedlung steht für die Rückkehr einer alten Industrieregion als Produktionsstandort mit europäischer Strahlkraft.

 

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MDR (Uli Wittstock, Hannes Leonard)

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