Kommentar AfD-Wahlergebnisse und überregionale Medien: Bayern, Hessen und Bitterfeld-Wolfen
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15. Oktober 2023, 13:51 Uhr
Die AfD hat sich nun auch in Hessen und Bayern gefestigt. Doch die große Aufregung blieb aus. Auch in Sachsen-Anhalt hatte die AfD am vergangenen Sonntag gute Aussichten auf den Oberbürgermeister-Posten in Bitterfeld-Wolfen. Dort aber konnte der CDU-Kandidat das Rennen knapp für sich entscheiden. Dass das überregional eher unbeachtet blieb, ist für unseren Autor symptomatisch. Ein Kommentar.
- Bei Wahlen am vergangenen Sonntag konnte die AfD in Hessen und Bayern Erfolge erzielen. Bei der OB-Wahl in Bitterfeld-Wolfen unterlag der AfD-Kandidat allerdings dem Bewerber der CDU.
- Überregionale Berichterstattung über die Wahl in Bitterfeld-Wolfen blieb aus. Und niemand sprach von mangelndem Demokratieverständnis westdeutscher Wähler.
- Im Westen Deutschlands scheint Angst vor Wohlstandsverlust Wähler zur AfD zu treiben, die diese Angst anspricht.
Das MDR-Landesfunkhaus in Magdeburg hatte sich vorbereitet. Die ersten Anfragen aus den westlichen ARD-Anstalten waren schon vor dem Wochenende eingelaufen, mit der Bitte um Berichte zur OB-Wahl in Bitterfeld-Wolfen.
Doch dann wurde an dem Wochenende nicht Bitterfeld-Wolfen zur politischen Problemzone, sondern Wiesbaden und München. In Hessen präsentiert sich die AfD als zweitstärkste Kraft, in Bayern steht sie an dritter Stelle. Doch niemand fragte am Wahlabend, was wohl schiefgelaufen sei in der demokratischen Entwicklung der Hessen und Bayern, welche Langzeitfolgen zu beobachten seien wegen des Besuchs katholischer Kindergärten oder waldorfpädagogischer Einrichtungen.
Zwar war am Wahlabend noch von einem überraschenden Ergebnis die Rede, doch niemand sprach von mangelndem Demokratieverständnis westdeutscher Wähler. Ein Vorwurf, der bei ähnlichen AfD-Erfolgen im Osten der Republik bislang als Standarderklärung galt.
Nach CDU-Sieg: Überregionale Berichterstattung fiel aus
Weil in Bitterfeld-Wolfen die AfD nicht den ersten Oberbürgermeister Deutschlands stellt, fiel die überregionale Berichterstattung am Tag nach der Wahl überregional aus. Dabei ist durchaus bemerkenswert, dass die AfD auch in Krisenzeiten mit ihren Botschaften nicht immer erfolgreich ist.
Der CDU-Sieg war jedoch ziemlich knapp und man kann wohl davon ausgehen, dass so mancher in Bitterfeld-Wolfen das Kreuz eher zähneknirschend beim CDU-Kandidaten machte, um einen Sieg der AfD zu verhindern.
Parteien ohne eigene Kandidaten
Mit Blick auf die anstehenden Wahlen ist aber vor dem "Bitterfelder Weg" zu warnen. Sollte es den Parteien in Zukunft nicht gelingen, geeignete Kandidatinnen oder Kandidaten zu finden, dürfte genau das der AfD in Hände spielen. Weder SPD noch Linke, weder FDP noch Grüne waren in Bitterfeld-Wolfen in der Lage, mit eigenen oder gemeinsamen Kandidaten in den Wahlkampf zu ziehen, sodass neben CDU und AfD zwei Parteilose ihren Hut in den Ring warfen.
Dass es vier Landtagsparteien nicht gelingt, in der achtgrößten Stadt des Landes Bewerber für die Oberbürgermeisterwahl zu stellen, zeigt die Erosion der politischen Basisarbeit. Da wundert es nicht, wenn trotz aller überregionalen Aufmerksamkeit im Vorfeld die Wahlbeteiligung in Bitterfeld letztlich nur bei 48 Prozent lag.
Angst kennt keine Himmelsrichtung
Mit dem Wahlergebnis aus Hessen und Bayern dürfte nun feststehen, dass die AfD keine Erscheinung eines ostdeutschen Sonderweges ist. Galt es bislang als hinterwäldlerisch, sich bei Themen wie Migration oder Klimawandel überfordert zu fühlen und dies im Wahllokal auch deutlich zu machen, so zeigt sich nun auch im Westen, dass die demokratische Decke kürzer ist als gedacht. Die aktuelle Studie der "R+V Versicherungen" unter dem Titel "Die Ängste der Deutschen" zeigt das deutlich.
Angst vor Wohlstandsverlust treibt zur AfD
Die Deutschen beunruhigt weniger Krieg oder Klimawandel, sondern Wohlstandsverlust. Bislang hat man den AfD-Erfolg vor allem mit der Haltung von Menschen erklärt, die sich abgehängt oder benachteiligt fühlen. Eine Zuschreibung, die sich gut nach Ostdeutschland schieben lässt.
Doch die Realität stellt sich etwas anders dar. Denn wer Wohlstandsverluste befürchtet, muss es erstmal zu Wohlstand gebracht haben. Und deshalb gelingt es nun der AfD auch im Westen, Erfolge dort zu erzielen, wo bislang CDU und SPD ihre Wählerschaft rekrutierten: nämlich in der Mitte der Gesellschaft.
Das ist der Teil der Gesellschaft, der vom Heizungsgesetz direkt betroffen ist, weil er zwar in eigenen vier Wänden wohnt, aber Sorgen hat, die Kosten für die Wärmewende nicht aufbringen zu können. Es ist der Teil der Gesellschaft, der nicht mehr glaubt, dass es den eigenen Kindern besser gehen wird. Und wenn man auf die aktuellen Entwicklungen schaut, scheint das nicht ganz weltfremd zu sein.
Lasten des Wandels zu ungleich verteilt
Es geht bei der Angst vor Wohlstandsverlust nicht nur um Geld, sondern auch um das Gefühl, an sozialer Anerkennung und Status zu verlieren. Das verbirgt sich wohl auch hinter dem Vorwurf, Politiker seien abgehoben und hätten den Kontakt zum Volk verloren. Es werde sich um alles Mögliche gekümmert, nur nicht um das, was die Menschen wirklich bedrücke.
Da die AfD genau diese Ängste anspricht, wird sie gewählt, auch wenn sie zu großen Teilen rechtsextrem ist. Die deutsche Nachkriegsdemokratie ist eng an die Wohlstandsidee geknüpft, verbunden mit einem Aufstiegsversprechen. Demokratie gilt sogar für viele als Grundlage für Wohlstand.
Doch der Alltag vieler Menschen in Deutschland scheint diesen Zusammenhang nicht mehr erlebbar werden zu lassen, weshalb sie eine Partei mit undemokratischen Zielen wählen. Ein Verbot der AfD, das derzeit wieder einmal debattiert wird, ändert daran nichts.
AfD nur durch andere Politik aufzuhalten
Stattdessen wird es Zeit, anzuerkennen, dass die Lasten des Wandels sehr ungleich verteilt sind. Die politischen Wünschelrutengänger der AfD behaupten, der Wandel ließe sich aufhalten oder sei nur eine Idee weltfremder Weltverbesserer.
Realistischer wäre es, darüber zu reden, wie die Lasten des Wandels gerechter verteilt werden können. Da im Osten Deutschlands die finanzielle Decke kürzer ist als anderswo, wäre der Osten auch die Region, in der eine neue Form des Lastenausgleichs debattiert und erprobt werden könnte. Das aber setzt voraus, dass es vor Ort politische Akteure gibt, die sich engagieren. Im nächsten Jahr finden in Sachsen-Anhalt Kommunalwahlen statt. Es mangelt also nicht an Gelegenheiten.
MDR (Uli Wittstock, Daniel Salpius)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 09. Oktober 2023 | 10:00 Uhr
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