Erlaubter Cannabis-Anbau Warum Wirtschaft und Land von einer Cannabis-Legalisierung profitieren könnten
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02. Dezember 2022, 18:31 Uhr
Bislang darf Cannabis in Deutschland nur für medizinische Zwecke legal angebaut werden, zum Beispiel im Chemiepark Leuna. Noch ist die Branche klein, doch sollte Cannabis zum Genuss freigegeben werden, könnte sich daraus ein neuer Wirtschaftszweig entwickeln. Dem Staat winken dann hohe Einnahmen – und auch Leuna könnte profitieren.
- In Leuna im Saalekreis betreibt das Unternehmen Aurora eine von nur drei legalen Cannabis-Produktionsanlagen in Deutschland.
- Das Unternehmen Aurora hofft auf eine Legalisierung der Droge. Dann könnte die Produktion auch in Leuna weiter hochgefahren werden.
- Dem Staat winken bei einer Legalisierung wohl hohe Zusatzeinnahmen.
Wer sehen will, wo in Sachsen-Anhalt schon legal Cannabis produziert wird, hat das Gefühl, den Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses zu betreten. Wachleute kontrollieren die Personalien der Besucher des unscheinbaren Zweckbaus im Chemiepark Leuna, in dem das Unternehmen Aurora Europe hinter 25 Zentimeter dicken Betonwänden Cannabis anbaut. Kameras und Bewegungssensoren überwachen die fensterlosen Räume, in denen bei konstant 26 Grad Celsius und 65 Prozent Luftfeuchtigkeit tausende Cannabispflanzen gedeihen.
Die strengen Sicherheitsvorkehrungen sind nötig, weil Cannabis in Deutschland als Betäubungsmittel gilt. Bislang darf es hierzulande nur zu medizinischen Zwecken produziert werden. Leuna ist einer von drei Standorten in Deutschland, an denen legal Cannabis angebaut wird. Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte im Jahr 2019 entsprechende Lizenzen erteilt. Die zwei weiteren Produktionsstätten, die von anderen Unternehmen betrieben werden, befinden sich in Neumünster in Schleswig-Holstein und im sächsischen Ebersbach.
Standortvorteile in Leuna
Für den Standort Leuna hätten die verkehrsgünstige Lage in der Metropolregion Halle-Leipzig, die kurze Entfernung nach Berlin sowie die vorhandenen Sicherheitseinrichtungen im Chemiepark gesprochen, sagt Dirk Heitepriem, der als "Vice President External Affairs" bei Aurora für Kommunikation und Lobby-Arbeit in Europa verantwortlich ist.
Heitepriem plädiert für eine Legalisierung von Cannabis in Deutschland. "Wir halten das für den absolut richtigen Weg", sagt er. "Cannabis ist und bleibt eine Droge. Aber der Gesundheitsschutz der Bevölkerung kann nur gelingen, wenn wir den Schwarzmarkt bekämpfen. Und das geht nur, wenn wir eine legale Alternative anbieten."
Noch ist es allerdings nicht so weit. In diesem Frühjahr wurde bei Aurora in Leuna zum ersten Mal Cannabis geerntet. Eine Tonne pro Jahr liefert das Unternehmen, und zwar ausschließlich an die Deutsche Cannabisagentur, die sich um den Vertrieb an die Apotheken kümmert. So sieht es die Lizenz des BfArM vor, die bis 2026 gültig ist. Ärztlich verschrieben bekommen die Droge aus Leuna vor allem Schmerzpatienten, deren Leid das im Cannabis enthaltene Tetrahydrocannabinol (THC) lindern kann.
"Tatsächlich produzieren wir sogar heute schon etwas mehr als benötigt, um eventuelle Ernteausfälle oder Chargen mit schlechter Qualität ausgleichen zu können", sagt Simon von Berlepsch, der die Produktion in Leuna leitet. Alle zwei Wochen ernte man rund 40 Kilogramm Cannabis. Alles, was über den Auftrag des BfArM hinausgeht, muss allerdings vernichtet werden. So schreiben es die Gesetze vor.
Bislang noch kein großes Geschäft
Wie viel Umsatz und Gewinn Aurora mit der Produktionsanlage in Leuna macht, darüber hüllt sich Dirk Heitepriem in Schweigen. Nur so viel: "Wir verdienen hier nicht viel Geld", sagt er. Dafür seien die produzierten Mengen zu gering und die Investitionskosten für den Hochsicherheitsbunker zu teuer.
Es gehe Aurora zunächst einmal darum, Erfahrungen auf dem deutschen Markt und bei der Zusammenarbeit mit hiesigen Behörden zu sammeln – auch mit Blick auf eine mögliche Legalisierung von Cannabis. In Kanada, der Heimat des Mutterunternehmens von Aurora Europe, ist die Droge seit 2018 für Erwachsene frei erhältlich. Aurora gehört dort zu den größten Anbietern für Genuss-Cannabis.
In Deutschland steckt das Unternehmen dagegen noch in den Kinderschuhen. 80 Mitarbeitende hat Aurora hierzulande, die meisten davon in der Europa-Zentrale in Berlin, etwa 20 in Leuna. Doch es könnten bald mehr werden. Dann nämlich, wenn die Pläne der Bundesregierung für eine Cannabis-Freigabe umgesetzt werden und der Markt für legal angebautes Cannabis dadurch viel größer würde.
Bis zu 530 Tonnen Bedarf an Cannabis in Deutschland
Unternehmen wie Aurora könnten davon profitieren. Der Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat in einer Studie den Bedarf an Cannabis in Deutschland ermittelt. Das Ergebnis: Jährlich bräuchte es 140 bis 530 Tonnen der Droge.
Dirk Heitepriem von Aurora schätzt, dass sich das Marktvolumen für Cannabis in Deutschland nach einer Legalisierung auf rund 300 Tonnen im Jahr belaufen würde. Zum Vergleich: Im Jahr 2021, als es hierzulande noch keine legale Produktion gab, wurden gerade mal 21 Tonnen medizinisches Cannabis nach Deutschland importiert.
Sollte Cannabis zum Genuss freigegeben werden, würden wohl auch dem Staat üppige Einnahmen winken. In Sachsen-Anhalt könnten nach Schätzung der Mitteldeutschen Zeitung allein durch den Cannabis-Verkauf jährlich mehr als 30 Millionen Euro zusätzlich in der Landeskasse landen, wenn die Droge entsprechend besteuert wird.
Nach Berechnungen des Düsseldorfer Wirtschaftswissenschaftlers Justus Haucap brächte eine Cannabissteuer bundesweit gar 1,8 Milliarden Euro pro Jahr ein. Hinzu kommen laut seiner Studie deutschlandweit Zusatzeinnahmen von mehr als 700 Millionen Euro durch Körperschafts-, Gewerbe- und Umsatzsteuer, sowie 280 Millionen Euro an Lohnsteuereinnahmen durch rund 27.000 Arbeitsplätze, die in der Cannabiswirtschaft entstehen könnten. Für Städte und Gemeinden wäre es demzufolge lukrativ, wenn sich Unternehmen aus der Cannabis-Wirtschaft bei ihnen ansiedeln.
Innenministerium bezweifelt positive Effekte
Hinzu kämen laut der Studie Einsparungen bei Polizei und Gerichten durch wegfallende Kosten für Ermittlungen und Gerichtsverfahren in Zusammenhang mit Cannabis. Das jedoch bezweifelt Sachsen-Anhalts CDU-geführtes Innenministerium.
Expansion in Sachsen-Anhalt möglich
Aurora könnte bei Bedarf die Produktion in Leuna schnell hochfahren. Von den rund 3500 Quadratmetern Fläche im Leunaer Betonbunker ist momentan rund die Hälfte ungenutzt. "Wir hätten hier Kapazitäten, um drei bis vier Tonnen Cannabis im Jahr zu ernten", sagt Produktionsleiter Simon von Berlepsch. Auch auf der Brachfläche nebenan, auf der derzeit nur Unkraut wächst, könnte eines Tages Cannabis angebaut werden. Sie gehört bereits Aurora und bietet genug Platz, um eine weitere Produktionshalle zu bauen.
Ob und wo das Unternehmen in Deutschland expandiert, stehe aber noch nicht fest, sagt Dirk Heitepriem: "Es braucht noch ein paar Monate, bis wir ganz genau wissen, unter welchen Rahmenbedingungen wir hier anbauen können. Dann werden wir unsere Investitionsentscheidungen irgendwann treffen."
Sachsen-Anhalt stehe auf der Liste möglicher Standorte jedoch weit oben auf der Liste, so Heitepriem. Man kenne die Behörden im Land inzwischen, und insbesondere das Landesverwaltungsamt habe anders als die Behörden in anderen Bundesländern viel Erfahrung im Umgang mit Themen rund um Cannabis. Zumindest eine Entscheidung ist daher bereits gefallen: Der Standort Leuna soll künftig zum Europa-Hub von Aurora ausgebaut werden.
Über den Autor
Lucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.
Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über gesellschaftliche und politische Themen aus den Regionen des Landes.
MDR (Lucas Riemer)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 03. Dezember 2022 | 12:00 Uhr
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