Umstrittene Reform Grundsteuer: Warum eine Hausbesitzerin aus der Börde Einspruch eingelegt hat
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10. Juli 2023, 11:04 Uhr
Für die neue Grundsteuer ab 2025 mussten Eigentümer bis Ende Januar ihre Steuererklärung einreichen. Allein in Sachsen-Anhalt haben dagegen zehntausende Menschen Widerspruch eingelegt. Ortsteilbürgermeisterin Kerstin Dörfel hält die neue Grundsteuer für zu kompliziert und ärgert sich, dass es kaum Unterstützung gab. In Sachsen-Anhalt ist der Großteil der Grundsteuererklärungen eingereicht worden. Für die Grundsteuerreform müssen deutschlandweit 36 Millionen Grundstücke neu bewertet werden.
- Zehntausende Menschen haben in Sachsen-Anhalt Widerspruch gegen die Grundsteuer eingereicht. Einer davon ist Kerstin Dörfel.
- Sie kritisiert unter anderem, dass die Grundsteuererklärung zu kompliziert ist und nur digital ausgefüllt werden konnte.
- In Sachsen-Anhalt haben die meisten ihre Grundsteuererklärung abgegeben.
Kerstin Dörfel ist wütend. Die Hausbesitzerin aus Klinze, einem Ortsteil der Stadt Oebisfelde-Weferlingen im Landkreis Börde, ist einer von über 70.000 Menschen, die in Sachsen-Anhalt Einspruch gegen die neuen Grundsteuerbescheide eingelegt haben. "Also zufrieden kann man damit nicht sein, was der Staat da ausgeheckt hat", erzählt Dörfel. Man habe als Verbraucher fast gar nichts in die Hand bekommen. "Wer nicht gut mit dem Internet umgehen kann, hat ein echtes Problem gehabt." Auch die Verwaltungen hätten nicht wirklich weiterhelfen können oder wollen. Es sei wirklich schwer gewesen, den Bescheid auszufüllen, so Dörfel.
Als Ortsteilbürgermeisterin der Gemeinden Siestedt, Klinze und Ribbensdorf hat sie auch vielen anderen Menschen bei ihrer Grundsteuererklärung geholfen. "Ich habe jedem geraten, Widerspruch einzulegen." Der Grund: Viele Berechnungen sollen falsch sein. Deshalb habe sie auch denen, deren Frist zum Widerspruch bereits abgelaufen war, geraten trotzdem ans Finanzamt zu schreiben und mitzuteilen, dass sie auf einen höchstrichterlichen Beschluss warten.
Verbände: Neue Grundsteuer ist verfassungswidrig
Der Bund der Steuerzahler und "Haus und Grund Deutschland" haben bereits angekündigt, in mehreren Bundesländern gegen die Grundsteuer zu klagen. Beide Verbände hatten zuvor ein Rechtsgutachten beauftragt, das zu dem Ergebnis kommt, dass das Bundesmodell zur Berechnung der neuen Grundsteuer verfassungswidrig ist. Es wird aktuell von elf Bundesländern, darunter auch Sachsen-Anhalt, angewendet. Die Kritik der Verbände: Die Grundsteuerberechnung ist "zu kompliziert, intransparent und ungerecht".
Dörfel: Daten lagen dem Finanzamt bereits vor
Das findet auch Dörfel. Es sei zu schwer gewesen, die Grundsteuererklärung zu verstehen und die entsprechenden Daten zu ermitteln. "Also ganz ehrlich, was sich der Staat dabei gedacht hat, noch dazu, wo ja alle Daten im Finanzamt vorliegen." Dörfel zufolge wäre es sinnvoller gewesen, wenn die Finanzämter auf die vorhandenen Daten zugegriffen und nur die Leute, bei denen sich Dinge geändert haben, bestimmte Angaben nachgereicht hätten.
Das Bundesfinanzministerium begründet das Verfahren auf seiner Webseite damit, dass viele der für die Neubewertung des Grundbesitzes erforderlichen Daten der Finanzverwaltung nicht in elektronisch verwertbarer Form vorliegen. Deshalb müssten sie mithilfe einer elektronischen Steuererklärung bei den Eigentümerinnen und Eigentümern erhoben werden.
Digitale Formulare als Problem für ältere Menschen
Ein weiteres Problem bei der neuen Grundsteuer ist nach Dörfels Aussage, dass die Finanzämter darauf bestanden hätten, dass die Grundsteuererklärung digital ausgefüllt wird. Sie kann nicht nachvollziehen, dass man älteren Menschen wie ihren Eltern die entsprechenden Formulare nicht in Papierform zur Verfügung gestellt hat.
"Meine Mutter hat da zwei Mal angerufen und gesagt, dass sie das nicht kann", erinnert sich Dörfel. Da habe es immer wieder geheißen "Nee, Sie müssen sich das runterladen". Beim dritten Mal sei sie dann selbst ans Telefon gegangen und hätte gesagt: "Ich möchte das für meine Eltern machen, aber ich habe keinen Internetzugang und keinen Elster-Zugang für meine Eltern." Erst dann habe das Finanzamt die Formulare zugeschickt. Über das gleiche Problem hätten auch andere Menschen geklagt, so Dörfel.
Zu wenig Hilfe beim Ausfüllen der Grundsteuerbescheide
Als Ortsbürgermeisterin hätte sie sich im Vorfeld eine Informationsveranstaltung zur Grundsteuer gewünscht. "Man will ja, wenn man jemanden unterstützt, keine Fehler machen." Sie habe sich alles selbst anlesen müssen. Schöner wäre es in ihren Augen gewesen, wenn man den ehrenamtlichen Bürgermeistern etwas an die Hand gegeben hätte. Außerdem wäre es Dörfel zufolge auch möglich gewesen, den Menschen das Angebot zu machen, die Grundsteuererklärung gemeinsam mit jemandem auszufüllen, der erklärt, wie es funktioniert.
Mit Blick auf die Zukunft wünscht sich Dörfel, dass die Politik wieder mehr mit den Bürgern redet, nicht nur in Sachen Grundsteuer.
Grundsteuer: Zehntausende Einsprüche nicht nur in Sachsen-Anhalt
Allein in Sachsen-Anhalt ist nach Angaben des Finanzministeriums mehr als 70.000 Mal Einspruch gegen die Grundsteuer eingelegt worden. Einem Bericht der Tagesschau zufolge sind es bundesweit schon mehr als drei Millionen Einsprüche. Um sie zu bearbeiten, werden demnach aktuell Finanzbeamte von ihrer eigentlichen Aufgabe abgezogen.
In Sachsen-Anhalt gibt es nach Aussage des Finanzministeriums keine grundsätzliche Anweisung, Personal umzuschichten. Jedoch würden die Bereiche, in denen die Grundsteuererklärungen bearbeitet werden, bei Bedarf mit Mitarbeitern aus anderen Bereichen verstärkt. Soweit dies planbar gewesen sei, habe man sich aber bemüht, die zuständigen Bereiche so auszustatten, dass die Arbeit in dem dafür vorgesehen Zeitraum erledigt werden könne.
Von den über 70.000 Einsprüchen sind den Angaben zufolge bislang etwas mehr als 4.000 Stück bearbeitet worden. Das hänge damit zusammen, dass die Einsprüche, die die "Verfassungsmäßigkeit der Neuregelungen zur Grundsteuer" beanstanden, in Sachsen-Anhalt aber auch in anderen Bundesländern erstmal zurückgestellt werden. Eine Ausnahme seien Fälle, in denen neben verfassungsrechtlichen Bedenken auch weitere Dinge wie etwa fehlerhafte Angaben bemängelt werden. Diese Einsprüche würden so weit wie möglich bearbeitet.
Großteil der Grundsteuererklärungen liegt vor
Insgesamt sind bei den Finanzämtern in Sachsen-Anhalt bislang rund 830.000 Grundsteuererklärungen eingegangen. Das sind etwas mehr als 92 Prozent. Der Rest fehlt noch, obwohl die Abgabefrist Ende Januar war. Das Finanzamt versendet in diesen Fällen in der Regel ein Erinnerungsschreiben. Anschließend kann pro Monat ein Verspätungszuschlag berechnet werden. Er beträgt meist 25 Euro. Hat man die Grundsteuererklärung auch nach mehreren Monaten immer noch nicht abgegeben, droht ein Zwangsgeld von bis zu 25.000 Euro. Die letzte Maßnahme ist eine Schätzung der Steuer durch das Finanzamt. Das führt häufig dazu, dass mehr Grundsteuer bezahlt werden muss. Die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung besteht aber auch in diesem Fall.
Neue Grundsteuer ab 2025
Die neue Grundsteuer wird im Januar 2025 erstmals fällig. Vorher müssen fast 36 Millionen Grundstücke in Deutschland neu bewertet werden. Grundlage sind die Grundsteuererklärungen, die Immobilien- und Grundstücksbesitzer bis Ende Januar 2023 einreichen mussten. Die Grundsteuer ist eine wichtige Einnahmequelle für Städte und Gemeinden. Aktuell sind es fast 15 Milliarden Euro pro Jahr. Wie viel Grundsteuer Eigentümer in Zukunft zahlen werden, lässt sich noch nicht sagen, weil der finale Betrag mit dem sogenannten Hebesatz berechnet wird, der erst noch von den Kommunen festgelegt werden muss.
Warum die Grundsteuer reformiert wird Das bisherige System zur Berechnung der Grundsteuer ist nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2018 verfassungswidrig. Es verstößt demnach gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil gleichartige Grundstücke unterschiedlich bewertet werden. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Grundsteuer auf Jahrzehnte alten Grundstückswerten basiert. Ihr liegen im ehemaligen Westdeutschland Werte aus dem Jahr 1964 zugrunde, im Osten aus dem Jahr 1935. Deshalb gilt ab 2025 eine neue Grundsteuer.
MDR (Annekathrin Queck) | Erstmals veröffentlicht am 08.07.2023
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 09. Juli 2023 | 12:00 Uhr
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