Trend zur natürlichen Geburt Der große Traum: Schwangere und Hebammen wünschen sich 1:1-Betreuung im Kreißsaal
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18. August 2024, 17:03 Uhr
Während der Geburt soll eine Hebamme die ganze Zeit zur Seite stehen. Das empfiehlt die Geburten-Leitlinie. Das Wohl von Mutter und Kind soll so gefördert – und ein unnötiger Kaiserschnitt verhindert werden. Als MDR SACHSEN-ANHALT vor zwei Jahren darüber berichtete, war der Anteil von Kaiserschnittgeburten im Land besonders hoch: Er lag bei fast einem Drittel. In Sachsen-Anhalt gibt es Ideen, die Zahl der Kaiserschnitte zu senken. Doch wirken die in der Praxis auch? Eine Spurensuche.
- Werdende Mütter wie Clara Seifert wünschen sich im Zuge ihrer Schwangerschaft und der Geburt eine 1:1-Betreuung durch eine Hebamme.
- Eine solche Betreuung soll auch die Zahl der Kaiserschnitte senken. Sie ist in Sachsen-Anhalt vergleichsweise hoch.
- Umdenken bei der Geburtshilfe: Trotz Beckenendlage ist eine natürliche Geburt möglich.
Die Automatik-Tür öffnet sich. In großen Buchstaben ist "Kreißsaal" zu lesen. Im Marienstift Magdeburg herrscht an diesem Vormittag Hochbetrieb. Alle drei Geburtsräume sind belegt. In Abständen hört man immer wieder Schreie. Eine Frau scheint kurz vor der Geburt zu sein.
Schwangere: Ruhe und persönliches Verhältnis zur Hebamme sind wichtig
Clara Seifert hat bereits eine kleine Tochter und weiß, wie schmerzhaft eine Entbindung sein kann. Sie ist in der 36. Schwangerschaftswoche. Heute ist sie zur Erstberatung im Hebammenkreißsaal. Sie hat sich bewusst entschieden, ihr Kind hier zu bekommen. "Für mich ist die 1:1-Betreuung durch die Hebamme entscheidend, dass man in Ruhe mit einem sehr persönlichen Verhältnis zur Hebamme sein Kind bekommen kann", erzählt sie.
Gemeinsam mit der leitenden Hebamme Melanie Hennig wird ein Kriterien-Katalog durchgearbeitet. Risiken sollen ausgeschlossen werden. Clara Seifert wird unter anderem nach Vorerkrankungen gefragt.
Hebammenkreißsaal – fünf Mal in Sachsen-Anhalt
In Sachsen-Anhalt gibt es fünf Hebammenkreißsäle – in Halle, Wernigerode, Stendal, Dessau-Roßlau und seit Mai vergangenen Jahres auch in Magdeburg. Es geht um ein gutes Geburtserlebnis und um mehr natürliche Geburten und weniger Kaiserschnitte. Denn die Kaiserschnittrate ist nach wie vor sehr hoch in Sachsen-Anhalt. 2022 lag sie bei 30,3 Prozent – und damit nur leicht unter dem Bundesdurchschnitt.
Der Hebammenkreißsaal ist ein Zusatzangebot der Klinik. Nach der Wende lag der Fokus im Gesundheitswesen darauf, dass das Kind gesund sein soll. Bei dem neuen Konzept geht es vielmehr um ein gute, selbstbestimmte Geburt mit einer Hebamme, die ständig an der Seite ist. Auf unnötige medizinische Eingriffe wird verzichtet. Zum Beispiel: die Venenkanüle, die oft vorsorglich Frauen in die Hand gestochen wird. "Der hebammengeleitete Kreissaal hat nicht nur einen Vorteil für Frauen. Auch für die Hebammen. Denn wir können eigenständig arbeiten – immer mit der Sicherheit im Rücken der Ärzte", sagt die leitende Hebamme Melanie Hennig.
Der hebammengeleitete Kreissaal hat nicht nur einen Vorteil für Frauen. Auch für die Hebammen. Denn wir können eigenständig arbeiten – immer mit der Sicherheit im Rücken der Ärzte.
900 Kinder werden jährlich im Marienstift in Magdeburg geboren. 15 Prozent im Hebammenkreissaal. Gibt es jetzt weniger Kaiserschnitte? Oberärztin Sara Klammt sagt dazu: "Wir haben eine gesamt niedrige Kaiserschnitt-Rate von 20 bis 25 Prozent. In dem kurzen Zeitraum, seitdem wir den hebammengeleiteten Kreissaal haben, können wir noch keine signifikanten Auswirkungen feststellen."
Eine 1:1-Betreuung könnte Kaiserschnitt verhindern
Ganz anders sieht die Situation im Ameos-Klinikum in Aschersleben aus. Die Klinik hat einen perinatalen Schwerpunkt. Das heißt: Sie nimmt Risiko-Schwangere auf. Dadurch ist die Kaiserschnitt-Rate mit 38 Prozent wesentlich höher. Zu den Risiken zählt, wenn eine Frau eine Vorerkrankung hat, wenn sie älter oder adipös ist.
Obwohl es in Aschersleben keinen Hebammenkreißsaal gibt, wird auch hier versucht, die 1:1-Betreuung umzusetzen. Hebamme Katrin Herrmann sagt: "Wir haben noch eine Bereitschaft, die, wenn es eng wird, von zu Hause geholt wird." Dadurch könne man überwiegend eine 1:1-Betreuung realisieren, sagt sie. "Auch unsere Assistenz-Ärzte sind sehr fit in der Patientenbetreuung."
Eine garantierte 1:1-Betreuung so wie im Hebammenkreißsaal ist der große Traum von Katrin Herrmann. Das würde ihrer Meinung nach viele Kaiserschnitte verhindern. So könnte man besser auf die Gebärenden und ihre Bedürfnisse eingehen.
Umdenken beim Problem: Beckenendlage
Zurück im Marienstift Magdeburg. Für Clara Seifert heißt es nun: Ultraschall-Kontrolle. Was es dieses Mal wird, ist eindeutig zu sehen: ein Junge. Und er liegt richtig. Das ist oft nicht so. "Bei etwa fünf Prozent der Schwangeren hier liegt das Baby mit den Füßen oder dem Po nach unten – die sogenannte Beckenendlage", berichtet die leitende Hebamme Melanie Hennig.
Seit dem Jahr 2000 wird bei Steißlage der Kaiserschnitt bevorzugt. Eine Studie hatte belegt, dass natürliche Geburten zu einer höheren Zahl von Komplikationen führten. Daraus resultierte, dass etliche medizinische Fakultäten die vaginale Geburt bei Beckenendlage aus dem Lehrplan strichen. Deshalb gibt es nicht mehr so viele Ärzte, die diese Art der Geburt begleiten können.
Neue Studien zur Beckenendlage
In den vergangenen Jahren sind national aber auch international neue Studien herausgekommen. Sie zeigen, dass es, wenn man die Anzahl der Komplikationen vergleicht, keine Unterschiede zwischen vaginaler Geburt und Kaiserschnittentbindung bei Steißlage gibt. "Zu uns kommen immer mehr Frauen, die trotz der Beckenendlage ihr Kind auf natürlichem Weg bekommen wollen", sagt Oberärztin Sara Klammt. "Solche Geburten werden von Ärzten betreut, die speziell dafür geschult wurden. Es gibt spezielle Handgriffe, die es möglich machen, das Kind auch schon während der Schwangerschaft in die richtige Lage zu drehen oder während der Geburt."
Wir hatten schon viele schöne Beckenend-Geburten, solche Geburten sind etwas Besonderes.
Clara Seifert ist inzwischen fertig mit dem Erstberatungsgespräch. Sie ist vom Konzept des Hebammenkreißsaals überzeugt. Und sie weiß: Falls es nötig wird, ist immer ein Arzt zu Stelle.
MDR (Beatrix Heykeroth)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 18. August 2024 | 19:00 Uhr
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