Das Ende der Dorfromantik Tante-Emma-Laden in Abtsdorf gibt auf
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12. Oktober 2023, 05:02 Uhr
Die kleinen Dorf-Supermärkte, besser bekannt als Tante-Emma-Läden, sind in Sachsen-Anhalt inzwischen selten geworden. Und es werden immer weniger. In Abtsdorf – einem 1.200 Einwohner zählenden Ortsteil der Lutherstadt Wittenberg – macht nach mehr als 30 Jahren der nächste Dorfladen dicht. Der Ausverkauf in dem Geschäft hat bereits begonnen. Die Gründe für diesen Niedergang sind vielfältig, woanders gibt es aber Projekte, die Alternativen aufzeigen.
- In Abtsdorf betreibt Guido Martschei einen Tante-Emma-Laden. Jetzt muss er ihn schließen.
- Vor allem die Sonderangebote der Handelsriesen und die Energiekosten haben ihn dazu bewogen.
- Seit 30 Jahren nimmt die Zahl der Tante-Emma-Läden stetig ab.
Guido Martschei hat keine Eile. Geduldig hört der schlanke, freundliche Mann einer Kundin zu, die gerade einiges zu erzählen hat. Es geht um das Wetter, immer noch zu trocken, um die neuen Nachbarn aus Berlin, die sich kaum blicken ließen und um die leer stehende Gaststätte in Abtsdorf, die keinen schönen Anblick biete. Martschei steht vor einem Regal in seinem Dorfladen, nickt gelegentlich und erwidert etwas. Der 57-Jährige ist nicht nur Eigentümer des City-Marktes, sondern in Abstdorf auch ein gefragter Gesprächspartner. Gerade für ältere Menschen.
Und das ist der größte Unterschied der Tante-Emma-Läden zu den vergleichsweise seelenlosen Discountern, wo gestresste Kassierer die Ware im Expresstempo über das Band schieben. Doch diese – nennen wir es – Dorfromantik reicht nicht mehr aus, um wirtschaftlich bestehen zu können. Nach mehr als drei Jahrzehnten wird der Abtsdorfer das Gewerbe abmelden. "Es lohnt sich einfach nicht mehr. Am Tag kommen manchmal nur zehn Kunden. Im letzten halben Jahr musste ich Geld mitbringen. Und das ist nicht Sinn der Sache", sagt Martschei im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.
Ein vergilbtes Foto als Erinnerung an bessere Zeiten
Das Angebot, das der Familienvater vorhält, ist bereits ausgedünnt. Er kann zwar mit allem Wichtigen für den täglichen Bedarf aufwarten wie Getränke, Teigwaren, Süßigkeiten und Waschmittel. Den riesigen Überfluss aber wie im städtischen Supermarkt sucht man hier vergebens. Früher war das anders, erzählt Martschei und holt ein angegilbtes Foto hervor, dass an einer Wand hinterm Ladentisch hängt. Es zeigt ihn in jüngeren Jahren, umgeben von fünf Mitarbeiterinnen. "Diese Zeit gab es auch mal. Wir hatten damals eine doppelt so große Verkaufsfläche. Und sogar einen Bäcker und eine Frischetheke für Fleisch."
Keine Chance gegen Handelsriesen
Schon lange steht der Absdorfer allein im Laden, um die Kosten zu senken. Voriges Jahr hat er keine zwei Wochen Urlaub gemacht, weil er in seiner Abwesenheit kein Geld reinkommt und trotzdem Kosten entstehen. Wirtschaftlich sehe es nicht gut aus, gibt der gelernte Einzelhandelskaufmann unumwunden zu. Mit den Sonderangeboten der Handelsriesen könne er schon lange nicht mehr mithalten.
Zu schaffen machen Guido Martschei auch die gestiegenen Kosten. "Die Energiekosten sind heftig: Strom, Heizung. Vorigen Winter habe ich gefroren. Das ist schon eine schlimme Sache."
Dramatischer Rückgang seit 1990
Der Fall des Abtsdorfers ist kein Einzelfall. Das zeigt eine Statistik des Thünen-Instituts für ländliche Räume aus dem Jahr 2021. Demnach ist in den vergangenen 30 Jahren die Anzahl der kleinen Lebensmittelgeschäfte bis 400 Quadratmeter dramatisch zurückgegangen. 1990 war das noch die dominante Ladenform mit bundesweit mehr als 65.000 Läden. 2019 sind es laut Statistik keine 9.000 mehr. Der Hauptgrund: Es fehlt an Umsatz, die Kunden wenden sich ab.
Psychologen sprechen auch von einer Intensions-Verhaltens-Lücke, dem Intention-Behaviour-Gap. Das heißt, in Umfragen würden fast alle Haushalte erklären, sie würden im Dorfladen einkaufen wollen. Tatsächlich kaufe aber nur ein Bruchteil mehr als das vergessene Mehl.
Der Wandel vom kleinen inhabergeführten Laden hin zu den großen Supermarktketten führt dazu, dass viele Menschen im ländlichen Raum ihren Einkauf nur noch mit dem Auto erledigen können. Pech für den, der nicht so mobil ist.
Von Tante-Emma zu Tante-Enso?
Guido Martschei aus Abtsdorf hofft, dass sein Ladengeschäft auch nach der Schließung eine Zukunft hat. Er denkt an ein Start-up-Unternehmen aus Bremen. Das versucht sich mit so genannten "Tante Enso"-Läden an einer Mischung aus Onlinelieferservice und stationärem Handel. In Wörlitz im Landkreis Wittenberg und in Görzig im Landkreis Anhalt-Bitterfeld sind solche Läden bereits eröffnet worden.
Kann das auch in Abtsdorf funktionieren, fragt sich Guido Martschei. Die Verkaufsräume könne er bereitstellen. Doch der erfahrene Händler hat selbst Zweifel. Die Supermärkte in Wittenberg sind nur fünf, sechs Kilometer entfernt. Außerdem würden in Abtsdorf inzwischen viele Auswärtige aus Berlin und Brandenburg wohnen, die ohnehin auswärts einkaufen.
MDR (André Damm, Moritz Arand)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 11. Oktober 2023 | 10:10 Uhr