Bauhaus-Brot und Opa Konrad Brötchen Backstube von Schieke macht zu: Familientradition in Dessau endet nach 75 Jahren
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22. Dezember 2022, 05:00 Uhr
Konditormeister Oliver Schieke aus Dessau-Roßlau schließt seine Backstube: Corona und die Auswirkungen der Energiekrise haben den Handwerker zu diesem, für ihn schweren Schritt gezwungen. Immerhin endet damit eine lange Familientradition. Schiekes Großvater hat die Bäckerei vor 75 Jahren in Teuchern bei Naumburg gegründet. Enkel Oliver muss sie nun schließen. MDR-Reporterin Susanne Reh kennt den "Zuckerbäcker" seit Jahren – und erinnert sich hier, ganz persönlich, an viele gemeinsame Momente.
- Die Bäckerei Schieke in Dessau schließt ihre Backstube. Damit geht eine 75 Jahre lange Familientradition zu Ende.
- Als die Corona-Pandemie begann, versuchte der Bäckermeister, den Betrieb mit Krediten über Wasser zu halten. Mit Beginn der Energiekrise zieht er die Reißleine.
- Oliver Schieke beendet damit zwar die Familientradition. Dennoch mischt sich unter die Trauer auch Zuversicht.
Kennen gelernt habe ich Oliver Schieke im November 2010. Der damals 33-Jährige soll als Teil des Teams "Mitteldeutschland" zum Weltcup der Spitzenköche nach Luxemburg fahren. Oliver ist als Konditormeister und Patissier für das Dessert im Fünfgang-Menü zuständig. In seinen Schokopralinen stecken Eisenkraut und Sesam, Hagebutte und Johannisbeere – alles hübsch angerichtet auf schwarzen Schiefertafeln.
42 Nationen haben sich an dem Wettbewerb der Internationalen Gastronomiefachmesse "Expo-Gast" beteiligt. Welchen Platz die Dessauer gemacht haben? Keine Ahnung, ist doch zu lang her. Aber es war der Auftakt zu einer engen beruflichen, später auch privaten Bekanntschaft.
Dass er nicht nur Schokopralinen kann, davon darf ich mich gleich einen Monat später überzeugen. In der Vorweihnachtszeit, eines nachts 2 Uhr stehe ich mit Oliver Schieke und seinen beiden Kollegen in der Backstube. Stollen machen. So um die 100 bis 200 sind es bestimmt, in fünf verschiedenen Sorten.
Alles handgemacht nach Familienrezept und das ist natürlich auch Familiengeheimnis. Es ist nicht aus ihm heraus zu kitzeln, was seinen klassischen Butterstollen so besonders macht. Er bleibt hart, der Stollen weich bis nach Ostern. Nicht nur mich, auch die Landesinnung des Bäckerhandwerks hat er damit überzeugt. Zwei Schieke-Stollen werden ausgezeichnet – mit Gold.
Stollen vor Weihnachten, Brote zum Bauhaus-Jubiläum
Stollen in der Vorweihnachtszeit, Pfannkuchen zum Karneval. Wann immer ich spontan einen Interviewpartner für die süßen Seiten des Lebens brauche, Oliver Schieke ist zur Stelle. Auch als Wirtschaftsjunior – ein Verein junger Unternehmer aus Dessau-Roßlau – steht er oft Rede und Antwort. Ich erinnere mich an eine Aktion aus dem Jahr 2012, als die Wirtschaftsjunioren, Kindern und Jugendlichen von Dessauer Schulen Wünsche erfüllt haben. Die Spenden dafür sammeln sie beim Dessauer Karnevalsumzug. Oliver steht am Glühweinstand. Glühweintrinken für Kinder – auf die Idee muss man erstmal kommen.
Auch für das Bauhausjubiläum 2019 hat sich Oliver etwas besonderes einfallen lassen. Er kreiert eigens für das Jubiläum ein Brot, genauer gesagt drei. Mit ursprünglichen Waldstaudenroggen und einem "Schuss Buttermilch" – gebacken in den klassischen Bauhausformen: Kreis, Dreieck, Quadrat. Die Brote werden der Renner – nicht nur bei Bauhausfans.
Die Bäckerei läuft gut. Oliver Schieke hat zwei Geschäfte, beschäftigt zehn Mitarbeiter. Gebacken wird nach alten Familienrezepten des Großvaters. Ein Brötchen trägt sogar dessen Namen: die Opa Konrad Brötchen. Schieke setzt auf Tradition und Handarbeit. Dem Bäcker kommt kein Fertigteig unter die Hände. Alles wird frisch zubereitet, per Hand gerollt und geformt. Seine Kunden honorieren das. Das Familienunternehmen ist bekannt und beliebt.
Erst Corona – dann die Energiekrise
Dann kommt Corona. Oliver Schieke – heute 45 – versucht, die Firma mit Krediten über Wasser zu halten. Als Corona verschwindet, macht die Energiekrise Sorgen. Ein neuer Ofen muss her. Die Investition hat sich durch die Energiekrise und den Krieg in der Ukraine verdreifacht. Der Bäckermeister, der auch Betriebswirt ist, zieht die Reißleine, bevor der komplette wirtschaftliche Ruin droht.
Im Sommer teilt er seine Entscheidung zuerst der Belegschaft mit. In den folgenden Monaten werden die Filialen nach und nach geschlossen, die Mitarbeiter gekündigt, letzte Aufträge abgearbeitet. In den letzten drei Wochen steht Oliver Schieke allein in seiner Backstube. Es ist still geworden in dem Raum. Die Maschinen sind aus, die Bleche leer. Kein Radio, kein Lachen, keine Gespräche, kein süßer Duft in der Luft.
Zur Trauer mischt sich auch Zuversicht
Oliver Schieke formt noch einmal Stollen. Stollen für Freunde und Bekannte. Alle seine Mitarbeiter haben inzwischen neue Jobs gefunden, freut sich der 45-Jährige. Er selbst hat sich auch beworben. Noch ist nichts spruchreif, aber er ist guter Dinge. Gerüchte, dass er bei einem anderen Dessauer Bäcker angestellt wird, sind falsch, schmunzelt er. Und so mischt sich inzwischen zur Trauer auch eine große Portion Zuversicht.
MDR (Susanne Reh, Luca Deutschländer)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 22. Dezember 2022 | 10:40 Uhr
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