Ehrenamt in Krisenzeiten Wie es um die Telefonseelsorge steht
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14. Januar 2023, 05:00 Uhr
Auch bei der Telefonseelsorge haben die krisenbeladenen letzten zwei Jahre Spuren hinterlassen: In manchen Regionen Deutschlands haben überdurchschnittlich viele ehrenamtliche Mitarbeiter aufgehört. Aber es gibt auch gegensätzliche Entwicklungen. Ein Bericht aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
- Das ehrenamtliche Engagement in der Telefonseelsorge geht weiter – trotz Krisen.
- Über 7.000 Menschen engagieren sich in Deutschland ehrenamtlich in der Telefonseelsorge.
- Trotzdem wünschen sich die Ehrenamtlichen mehr Unterstützung von Kirche, Kommunen und Bund.
"Die eigene Lebenssituation spielt immer eine Rolle für die Haltung am Telefon und für das eigene Empfinden", sagt Pfarrerin Gundula Eichert, sie leitet die Telefonseelsorge Halle. Dort arbeiten derzeit 75 Frauen und Männer ehrenamtlich mit. "Mit der Corona-Pandemie sind unsere Mitarbeitenden natürlich verschieden umgegangen. Auch in diesem Herbst hat es eine Rolle gespielt, dass unsere Mitarbeitenden erhöhte Energiekosten, Rechnungen bekommen haben und mit ihren eigenen Ängsten umgehen mussten."
Ehrenamtliches Engagement in Krisenzeiten
Das Ehrenamt phasenweise niedergelegt oder ganz aufgehört hat aber niemand. "Im Gegenteil, ich muss eigentlich sagen, dass unsere Mitarbeitenden gerade durch die Krise, die in unserer Gesellschaft herrscht, ein großes Verantwortungsgefühl am Telefon entwickelt haben und ein großes Bewusstsein, auch für unsere Anrufenden da zu sein."
Ähnliches beobachtet Christiane Sachse. Sie leitet die Telefonseelsorge Ost-Thüringen mit Sitz in Jena und Gera. Auch wenn die über 50 ehrenamtlich Mitarbeitenden dort selbst auch von den gesellschaftlichen Krisen betroffen seien, sei das Engagement weiterhin groß: "Zu Pandemiezeiten war unsere Dienstauslastung erheblich gestiegen. Und das war nicht nur, weil die Ehrenamtlichen dann mehr Zeit hatten, sondern weil einfach auch der Wunsch zu helfen oder diejenigen zu unterstützen, die noch stärker in Not geraten sind, dann offensichtlich noch stärker war. Das erlebe ich auch jetzt so, dass die Stimmung in unserem Team wirklich gut ist und dass die Motivation, den anderen was abzugeben und trotz dieser Krisen auch Zuversicht zu vermitteln, sehr präsent ist."
Über 7.000 Menschen engagieren sich in der Telefonseelsorge
Die Telefonseelsorge: Mehr als 100 regionale Stellen gibt es in Deutschland, mit fast 300 festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und mehr als 7.700 ausgebildeten Ehrenamtlichen. Rund um die Uhr nehmen sie Anrufe oder Chat-Anfragen oder Emails entgegen – an sieben Tagen in der Woche, kostenfrei und anonym. Wer sich über die bundesweite Nummer meldet, wird möglichst weitergeleitet zu einer Stelle in der Nähe, um, wenn es erforderlich ist, Unterstützungsangebote in der eigenen Region zu erhalten.
Viele der regionalen Telefonseelsorge-Stellen nehmen wahr: Während Menschen am Hörer früher individuelle Nöte angesprochen haben, geht es nun um Krisen, die auch die Seelsorger selbst betreffen. Nicole Hackel, die die Telefonseelsorge Oberlausitz leitet, bestätigt das: "Gerade als der Krieg begonnen hat, da war Betroffenheit in großem Maße da. Aber auch unterschiedliche Meinungen: Wenn da jemand dabei ist, der als Kind selbst noch den Krieg erlebt hat in Deutschland, dann ist das schon was Besonderes. Und wenn da 90 Leute dabei sind, da gibt's eben auch unterschiedliche Meinungen."
Auch für Seelsorger wichtig: Selbstfürsorge
Eine einjährige Ausbildung, Gespräche, Supervision, Fortbildungen, gemeinsame Weihnachts- und Sommerfeste oder Wanderungen – das hilft den Ehrenamtlichen bei ihrer Seelsorge-Arbeit. Wichtiger denn je: Selbstfürsorge. Das berichtet etwa Christiane Sachse, die die Telefonseelsorge Ost-Thüringen leitet. "Wir bieten Fortbildungen an zum Thema Achtsamkeit, Selbstfürsorge, Humor – all das, wo es darum geht: Wie kann man gut seinen Speicher wieder auffüllen? Welche Kraftquellen stehen einem zur Verfügung? Und letztendlich ist das Team der Telefonseelsorge – und das Ehrenamt als solches – irgendwo auch so eine Kraftquelle. Das ist nicht selten der Fall, dass die hier aus dem Dienstzimmer rauskommen und sagen: Ach, das war jetzt aber ein schöner Dienst, da hat sich jemand bedankt, da konnte ich wirklich spüren, dass die Arbeit hier Sinn macht."
Gunhild Vestner leitet die Telefonseelsorge Recklinghausen und ist stellvertretende Vorsitzende der Telefonseelsorge Deutschland. Sie sagt, dass sich in den letzten Monaten deutschlandweit überdurchschnittlich viele Ehrenamtliche aus der Mitarbeit verabschiedet haben. Und: Ganz praktische, negative Auswirkungen auf die Angebote der Telefonseelsorge haben auch Inflation und erhöhte Energiekosten. Kirche, Kommunen und Bund müssten die Mittel für die Telefonseelsorge aufstocken, wünscht sich Gunhild Vestner. Auch um Spenden wirbt sie. Denn: "Die Stellen sind finanziell unterschiedlich ausgestattet und da ist schlichtweg zu erwarten, dass es für einige Stellen, die finanziell einfach schlecht gestellt sind, an der Stelle auch richtig eng werden wird. Das ist unbefriedigend."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 14. Januar 2023 | 06:00 Uhr