MDRfragt Hochwasser und Unwetter: Große Sympathien für Pflichtversicherung und Bauverbote
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20. Juni 2024, 03:00 Uhr
Sollten alle Wohnhäuser in Deutschland gegen Schäden durch Starkregen, Hochwasser und Schneedruck versichert sein, auch wenn das Risiko unterschiedlich hoch ist, von solchen Naturereignissen getroffen zu werden? Der Stimmungstrend beim Meinungsbarometer MDRfragt tendiert zur Pflichtversicherung gegen Elementarschäden. Dabei haben die Befragten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verschiedene Vorstellungen, wen diese Pflicht hauptsächlich bindet.
- Viele erhoffen sich durch Versicherungspflicht bezahlbare Lösungen für alle.
- Gleichzeitig meinen die meisten, der Staat sollte auch künftig bei Hochwasser-Katastrophen zahlen.
- Bauvorhaben in Überflutungsgebieten sollten verboten werden, findet ein Großteil der Befragten.
Die Stimmung im aktuellen MDRfragt-Meinungsbild ist ziemlich eindeutig: Eine deutliche Mehrheit der Befragten ist dafür, dass alle Wohnhäuser in Deutschland gegen Hochwasser, Starkregen und Co. versichert werden müssen. Konkret sind fast zwei Drittel (63 Prozent) dafür, dass die Pflichtversicherung gegen Elementarschäden kommt. Knapp ein Drittel (33 Prozent) ist eher dagegen.
Damit sieht die MDRfragt-Gemeinschaft das Thema mehrheitlich ähnlich wie die Chefinnen und Chefs der Bundesländer, die das Thema für die Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf die Tagesordnung setzten. Die Bundesländer hatten den Bund erst vor wenigen Tagen zum wiederholten Mal gemeinsam aufgefordert, einen konkreten Vorschlag für die Einführung der Pflichtversicherung gegen Elementarschäden vorzulegen.
Interessant dabei: Im MDRfragt-Stimmungsbild sind die Sachsen etwas häufiger für eine Versicherungspflicht gegen Elementarschäden als die Befragten in Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Argumente der Befragten für die Pflichtversicherung
Dabei haben die MDRfragt-Mitglieder ganz unterschiedliche Gründe, warum sie für die Pflichtversicherung sind. Manche aus Prinzip der Solidargemeinschaft, andere mit Blick auf eine erwartete Häufung aufgrund klimatischer Veränderungen und wieder andere wollen weniger die Eigentümer von Wohnhäusern verpflichten, als die Versicherungen selbst.
"Eindeutig dafür spricht, dass dann die Eigentümer hochwassergefährdeter Objekte endlich wieder in den Genuss einer hoffentlich bezahlbaren Versicherung kommen", findet zum Beispiel Claudia (45) aus dem Salzlandkreis. Und Carsten (40) aus dem Saale-Holz-Landkreis meint aus eigener Erfahrung: "Es müsste aber eine maximale Versicherungsprämie geben." So habe sich die Versicherungsprämie in seinem Fall nach dem Hochwasser 2013 mehr als verfünffacht.
Auch Suse (47) aus Magdeburg ist für die Versicherungspflicht - aus solidarischen Gründen: "Je mehr Menschen einzahlen, desto breiter sind die Schultern, auf denen Lasten verteilt werden. Allerdings müssten die Versicherungspolicen auch eine echte Absicherung bieten, aus der sich die Versicherungen nicht herauswinden können."
Kontra-Argumente: Persönliches Risiko und Kosten
Wer gegen eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden ist, hält hingegen oft genau diesen Solidargedanken für falsch: "Versicherungen für die, die es betrifft", meint etwa Sebastian (48) aus Leipzig. "Warum sollen auch andere dafür zahlen, dass sich Leute ihre Häuser in das natürliche Ausbreitungsgebiet von Flüssen stellen?"
Und viele Gegnerinnen und Gegner der Pflichtabsicherung gegen Elementarschäden befürchten horrende Kosten, besonders für jene Lagen, in denen es ein erhöhtes Überschwemmungsrisiko gibt: "Die Kosten sind nicht zu tragen, weder für Hausbesitzer noch für Mieter", befürchtet Manja (50) aus Dresden. Und Frank (48) aus dem Saalekreis ist der Meinung: "Die Versicherer kalkulieren die Prämien entsprechend der Gefährdung. Ist eine Elementarabdeckung nicht möglich, hat das ja Gründe."
Sein Namensvetter aus Leipzig, der 49-jährige Frank, schreibt hingegen: "Grundsätzlich kein verkehrter Gedanke. Aber was, wenn die Versicherung ein bis zweimal in Anspruch genommen wurde? In der Regel steigen die Beiträge oder die Versicherung kündigt den Vertrag. Wie soll es dann weitergehen?"
Versicherungspflicht plus staatliche Hilfen
Insgesamt fürchten in der MDRfragt-Gemeinschaft viele, dass Versicherungen gerade für gefährdete Regionen keine oder auch im Falle einer Versicherungspflicht kaum bezahlbare Angebote machen.
Dabei ist der Gedanke der Bundesländer bei ihrer Forderung für die Versicherungspflicht unter anderem, dass damit der Steuerzahler entlastet werden und das Schnüren von staatlichen Hilfspaketen nach jeder Hochwasser-Katastrophe überflüssig werden könnte.
Dieses Argument teilen einige Befragte im MDRfragt-Meinungsbarometer. So schreibt Christoph (46) aus Magdeburg: "Es kann doch nicht sein, dass sich Eigentümer ein paar Euro Versicherung sparen und dann vom Staat verlangen, dass sie ihr Eigentum ersetzt bekommen."
"Beim besten Willen: Nö!"
Aus Sicht von Christian (47) aus dem Landkreis Hildburghausen sollte der Staat nach Überflutungen keinesfalls finanzielle Hilfen an Betroffene zahlen: "Weil damit kein Anreiz zur eigenen Versicherung geschaffen wird", meint er und ergänzt: "Warum soll ich als Steuerzahler für die Gleichgültigkeit der anderen zahlen? Da werde ich ja doppelt zur Kasse gebeten: für meine eigenen Versicherungskosten und für die Finanzierung des Schadens der anderen." Christians Fazit dazu: "Beim besten Willen: Nö!"
Und Eric (37) aus dem Landkreis Zwickau findet: "Zumindest sollten die, die keine Versicherung haben, aber eine hätten bekommen können, nicht stattdessen mit staatlichen Geldern alimentiert werden."
Doch obwohl es einige dieser Kommentare gibt, am Ende schlägt das Meinungsbild in dieser Frage in die Gegenrichtung aus: Die meisten Befragten sind nicht nur für die Pflichtversicherung – sondern noch deutlich häufiger dafür, dass es weiterhin staatliche Hilfe für jene gibt, die von Naturkatastrophen getroffen werden.
Konkret sind 3 von 4 Befragten dafür, dass der Staat auch künftig finanzielle Hilfen gewährt, wenn Menschen von Überschwemmungen und Hochwasser betroffen sind.
Argument für staatliche Hilfe: Staat bestimmt Risiko mit
Ein häufiges Argument: Hochwasserschutz ist nicht nur eine private Angelegenheit, sondern hat auch viel damit zu tun, ob und wo der Staat mit verschiedenen Präventionsmaßnahmen selbst vorsorgt. "Hochwasser hat auch zu einem gewissen Teil mit dem Bebauungsplan zu tun", meint etwa Katja (40) aus dem Erzgebirgskreis. "Außerdem wurden Flüsse begradigt und Überschwemmungswiesen et cetera abgeschafft. Diese Ideen kamen von staatlicher Seite."
Danny (33) aus Dresden argumentiert noch grundsätzlicher: "Der Staat kann nicht einerseits nicht genügend tun, um gegen die Klimakrise anzukämpfen und dann gleichzeitig die Kosten den Leuten auferlegen. Allerdings sollten Hilfen mit Auflagen verbunden sein. Beispielsweise mit einem Wiederaufbau außerhalb von Flutbereichen."
Zuspruch zu Bauverboten in Risikogebieten für Überschwemmungen
Solche Auflagen fänden viele gut: So fordert etwa der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft einen Neubaustopp in Überschwemmungsgebieten. Hinter diesem Vorstoß kann sich ein Großteil der MDRfragt-Gemeinschaft versammeln: Nur etwa jede und jeder Zehnte ist dagegen, den Bau von Wohngebäuden in besonders gefährdeten Hochwassergebieten zu verbieten. Alle anderen sind entweder grundsätzlich dafür, dass Wohngebäude nicht mehr in Risikogebieten neu entstehen – oder nach einem Schaden an gleicher Stelle wieder aufgebaut werden.
Manche Befragte berichten von konkreten Beispielen: "In Riesa hat man die neu gebauten Häuser im Überflutungsgebiet nach der Flutkatastrophe zum Glück nicht wiederaufgebaut. Solche Bauvorhaben dürften gar nicht genehmigt werden", schrieb etwa Carola (65) aus dem sächsischen Landkreis Meißen.
Andere berichten genau vom Gegenteil, so wie Barbara (63) aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge: "Ein Autohaus direkt an der Weißeritz in Schmiedeberg. Der Besitzer wollte woanders hin, durfte aber nicht. Er musste wieder an derselben Stelle bauen."
Wer gegen ein Bauverbot in besonders gefährdeten Gebieten ist, argumentiert immer wieder: Es kommt ja nicht nur darauf an, wo gebaut wird, sondern auch wie.
MDRfragt-Mitglied Mathias aus Chemnitz meint, er wohne zur Miete selbst in einem Komplex, das am Fluss liege. "Das Haus ist nicht unterkellert, die Parkgarage im Erdgeschoss ist so gebaut, dass auch Wasser hindurchlaufen könnte, Eingangstüren sind baulich so vorbereitet, dass sie im Bedarfsfall mit einsteckbaren Alu-Paneelen geschützt werden können." Mathias berichtet, dass alle Mieterinnen und Mieter zudem besonders geschult seien, wie sie sich im Alarmfall verhalten müssten. "So kann es funktionieren."
Über diese Befragung
Die Befragung vom 12. bis 15. Juni 2024 stand unter der Überschrift: "Pflicht oder nicht: Welchen Schutz gegen Hochwasser brauchen wir?"
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.
Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 20.880 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.
MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL - Das Nachrichtenradio | 20. Juni 2024 | 09:47 Uhr