MDRfragt Großer Zuspruch für Altersgrenzen in Spitzenpolitik
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26. Juli 2024, 09:23 Uhr
Kann man eigentlich zu alt sein, um einen politischen Top-Job zu machen? Um diese Frage ging es in den vergangenen Monaten häufig im US-Wahlkampf. Bräuchte es eine Art erzwungenen Ruhstand in der Spitzenpolitik? Das wollten wir in unserer "Frage der Woche - zur Landtagswahl" wissen. Das Meinungsbarometer aus Thüringen und Sachsen ist einhellig: gute Idee.
- Es gibt verschiedene Argumente für eine Altersobergrenze bei Ministerpräsidenten und Co.
- Für die sächsischen Befragten ist es wichtiger, dass ein Kandidat aus ihrem Freistaat kommt.
- Für die Thüringer zählt politische Erfahrung mehr.
Ich glaube, wir bräuchten statt 'alte, weiße Männer' mal junge, dynamische Politiker so 30 bis 40 Jahre jung, damit nicht immer nur der Wille der Senioren politisch durchgesetzt wird", findet Sandy (40) aus Leipzig. Sie gehört zu der großen Mehrheit der MDRfragt-Mitglieder aus Sachsen, die es gut fänden, wenn das Alter des Ministerpräsidenten oder der Ministerpräsidentin nach oben gedeckelt wäre.
Konkret waren in der "Frage der Woche - zur Landtagswahl" 73 Prozent der sächsichen MDRfragt-Mitglieder dafür oder eher dafür, dass geregelt wird, wie alt ein Regierungschef in der Landespolitik maximal sein darf. In Thüringen fällt der Zuspruch mit 77 Prozent sogar noch etwas größer aus.
Derzeit gibt es keine Regelung, wie alt ein Ministerpräsident oder eine Ministerpräsidentin maximal sein darf - anders sieht das auf kommunaler Ebene aus: Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen darf niemand hauptamtlicher Bürgermeister oder hauptamtliche Bürgermeisterin werden, der oder die am Wahltag schon 65 Jahre und älter ist.
Zuletzt sorgten die beiden Spitzenkandidaten im US-Wahlkampf, Ex-Präsident Donald Trump (78) und Amtsinhalber Joe Biden (81), für die Debatte, ob man zu alt für ein wichtiges Regierungsamt sein kann. Biden zog sich vor wenigen Tagen zurück, nachdem mehr und mehr Zweifel an seiner geistigen Fitness aufgekommen waren.
Nachlassende geistige Fähigkeiten werden oft genannt
Aus ähnlichen Gründen sind auch viele der befragten MDRfragt-Mitglieder dafür, eine Alters-Obergrenze für Regierungschefs auf Landesebene, also für Ministerpräsidenten, festzulegen. Auch unter den älteren Befragten gibt es viel Zuspruch. Christian (64) aus dem Landkreis Meißen schreibt: "Es ist ein anstrengender Job, der hohe physische und psychische Leistungsfähigkeit erfordert."
Und Christine (73) aus dem Vogtlandkreis findet: "Ab einem bestimmten Alter läßt alles nach. Außerdem sind bestimmte Dinge einfach zur Normalität geworden." Sie sieht allerdings das Alter nicht per se als Nachteil: "Sicher gibt es durch die Lebenserfahrung bessere Einschätzung vieler Dinge."
Dagegen hoffen andere, wie Gabriele (69) aus Dresden, darauf, dass eine Altergrenze nach oben dabei hilft, dass die jüngere Generation schneller zum Zug kommt: "Ich bin selbst 69 Jahre, trotzdem wünsche ich mir, dass mehr junge Leute in solche Ämter kommen. Vielleicht macht es auch die Mischung von Jung und Alt."
Winfried (71) aus Leipzig ist für ein Höchstalter, merkt aber gleichzeitig an: "Es sollte auch ein Mindestalter geben, denn ohne Erfahrungen kann man keine gute Politik machen."
Auch andere Befürworterinnen und Befürworter eines Höchstalters für Regierungschefs haben den Generationswechsel im Blick, halten eine Altersgrenze aber nicht für die einzige sinnvolle Option: "Es sollte sowohl das Alter als auch die Anzahl der Wahlperioden begrenzt werden", meint etwa Thomas (53) aus Erfurt.
Gegenargument: Das Alter allein sagt gar nichts
Auch Ulrich (79) aus Erfurt ist für eine Ämterzeitbegrenzung, wie es sie ja unter anderem in den USA gibt, wo ein Präsident nur ein Mal wiedergewählt werden kann. Aber der Thüringer begründet mit diesem Argument, warum er gegen eine gesetzliche Altersgrenze für Ministerpräsidenten ist: "Es sollte eine Anzahl von Wahlperioden vorgeschrieben sein, für die man sich hintereinander bewerben kann."
Und Erika (86) aus Dresden zieht zwei Ministerpräsidenten aus Sachsen, beide von der CDU, heran, um ihr Argument gegen eine Alters-Obergrenze zu untermauern: "Herr Biedenkopf war ziemlich alt, Herr Kretschmer ist noch verhältnismäßig jung. Beide sind und waren Top-Politiker, das Alter ist nicht so ausschlaggebend wie die Leistungen."
Was mehr zählt als das Alter
Tatsächlich geben die Antworten der mehr als 17.000 Befragten zu einer weiteren Frage Erikas Position eher recht: Wir wollten nämlich außerdem wissen, was aus Sicht der MDRfragt-Mitglieder einen guten Spitzenkandidaten oder eine gute Spitzenkandidatin im Landtagswahlkampf ausmacht.
Dabei kam heraus: In der Rangfolge wichtiger Eigenschaften eines Spitzenpolitikers steht das Alter hinten an: Sowohl in Thüringen als auch in Sachsen gab weniger als ein Fünftel der Befragten an, dass das Alter eines Spitzenkandidaten entscheidend sei.
Kompetenz und Glaubwürdigkeit sind besonders gefragt
Ganz vorne in der Rangliste sind in beiden Bundesländern: Glaubwürdigkeit, Kompetenz und Lösungsorientierung. Doch es gibt auch interessante Unterschiede.
Für Sachsen wichtiger, dass Spitzenpolitiker aus dem Freistaat sind
So finden es die Befragten aus Sachsen deutlich häufiger wichtig, ob ein Spitzenkandidat oder eine Spitzenkandidatin auch aus Sachsen kommt. Knapp die Hälfte in der sächsischen MDRfragt-Gemeinschaft (49 Prozent) findet das wichtig. In Thüringen gab hingegen gut jede und jeder Dritte (38 Prozent) an, dass die Herkunft aus Thüringen ein entscheidender Faktor ist.
Dabei wird in den Kommentaren deutlich, dass es oft nicht nur darum geht, welcher Ort in der Geburtsurkunde steht. So meint Erik (36) aus Dresden: "Sie/ Er sollte sich mit dem jeweiligen Bundesland verbunden fühlen." Thorsten (56) aus Chemnitz begründet seine Sicht mit: "'Kommt aus Sachsen' ist insofern wichtig, dass er sich in Sachsen besonders gut auskennt und auf spezielle Bedürfnisse der Sachsen eingeht."
Und auch Kersten (64) aus Mittelsachsen stellt eher darauf ab, dass ein Spitzenkandidat Land und Leute kennen und verstehen muss: "Er oder sie sollte sich mit den Gepflogenheiten im Land auskennen, und sollte den Mut haben einfach mal mit den Leuten auf der Strasse zu reden."
Für Thüringer zählt häufiger Erfahrung in der Politik
Während die sächsischen Befragten also häufiger angaben, dass es gut ist, wenn ein Spitzenkandidat oder eine Spitzenkandidatin aus ihrem Bundesland kommt, ist den MDRfragt-Mitgliedern aus Thüringen wichtiger, dass die Kandidaten Berufserfahrung in der Politik haben.
Fast die Hälfte der Thüringer MDRfragt-Mitglieder (48 Prozent) hält politische Erfahrung bei einem Spitzenkandidaten für vorteilhaft. In Sachsen liegt dieser Anteil bei 39 Prozent. In beiden Ländern fällt laut MDRfragt-Meinungsbild eine andere Erfahrung noch stärker ins Gewicht: Berufserfahrung außerhalb der Politik.
Und nicht nur Sabine (40) aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt kommt zu dem Schluss: am besten, das Spitzenpersonal der Parteien hat einfach beides. Sie schreibt: "Einerseits sind Kenntnisse über Recht, Wirtschaft und Politik unabdingbar, um den Job ordentlich machen zu können. Andererseits fehlt es den heutigen Politikern an allen Kenntnissen über Dinge, die sie durch Gesetze regeln sollen: praktische Arbeit am unteren Gehaltsende, Miete oder Kredit, Pflege Angehöriger oder Nachbarn, Steuererklärung mit Ü70 selber machen etc." Die 40-Jährige beklagt, dass es vielen Politikerinnen und Politikern an einem persönlichen Bezug zum Alltag vieler Menschen mangele. "Ein guter Spitzenkandidat braucht Kenntnisse aus beidem: Studien- und Arbeitererfahrung, am besten vor Ort, gut vernetzt in der hiesigen Bevölkerung."
Über diese Befragung
Die "Frage der Woche - zur Landtagswahl" vom 22. bis 24. Juli 2024 stand unter der Überschrift: "Kann man zu alt sein für die Landespolitik?".
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.
Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 17.152 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.
MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Sachsenspiegel | 25. Juli 2024 | 19:00 Uhr