So viel Wahrheit steckt im Populismus Populismus zwischen Gut und Böse
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01. August 2022, 14:42 Uhr
"Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist", lautet ein berühmtes, dem französischen Schriftsteller Victor Hugo zugeschriebenes Zitat. Im Original liest sich das allerdings ganz anders. Dort steht "On résiste à l'invasion des armées; on ne résiste pas à l'invasion des idées". Übersetzt bedeutet das in etwa "Man kann dem Einmarsch einer Armee widerstehen, aber nicht dem Aufkommen einer Idee".
Doch die deutsche Kurz-Version ist viel einfacher und griffiger. Damit ist sie selbst ein gutes Beispiel für - Populismus. Gibt es überhaupt guten Populismus? Im Prinzip schon. Die Debatte um die Klimakatastrophe wurde durch eingängige, knappe Erklärmuster von einer hochkomplexen wissenschaftlichen Fachdebatte zur allgemein verständlichen Herausforderung heruntergetuned. "Klimaretten" ist heute so "in" wie gleichzeitig natürlich populistisch. Denn das durchaus beachtliche Engagement für Klimaschutz in Deutschland müsste eigentlich immer auch in Zusammenhang mit den Auswirkungen unseres gesamten Lebensstandards auf die Umwelt dargestellt werden. Doch dann hätten wohl deutlich weniger Menschen Lust, das Klima zu retten.
Gesellschaftliche Veränderung
Auch dem Bewusstsein, die Diversität in der Gesellschaft stärker wahrzunehmen und zuzulassen, wurde durch populistische Unterstützung aufgeholfen. Ohne entsprechende Kampagnen wäre das Recht, anders zu sein, wohl kaum so wirksam in Politik und Gesetzgebung angekommen. Bahnbrechend war hier das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur dritten Geschlechtsoption von 2021. Heute werden Arbeitsstellen selbstverständlich m/w/d ausgeschrieben, sind andere als heteronormative Lebenspartnerschaften halbwegs gleichgestellt und Rassismus wird nicht nur auf dem Papier geächtet.
Kontroversen gehören dazu
Dass es hier immer noch munter und kontrovers zur Sache geht - wie beispielsweise in der Diskussion ums Gendern - ist dabei kein Widerspruch. Sondern einfach Zeichen dafür, dass es Zeit braucht, bis neue Ideen stark genug und mehrheitsfähig sind. "Guter" Populismus hält derartige Konflikte aus und drückt sie nicht weg, indem andere Meinungen und Haltungen ignoriert oder mundtot gemacht werden. Der lange Weg der Klimadebatte bei der Frage, ob die Erderwärmung menschengemacht ist oder natürliche Ursachen hat, zeigt das anschaulich.
Schlechter Populismus verhält sich hier ganz anders. Er muss das auch, denn seinen Protagonisten geht es ja gerade darum, Ideen durchzudrücken, die an sich nicht mehrheitsfähig wären. Er setzt auf eine opportunistische Politik, greift vorhandene Ressentiments auf und verstärkt sie noch. "Geld für Oma statt für Sinti und Roma" plakatierte vor einigen Jahren noch die rechtsextreme NPD. Das ist heute zum Glück einigermaßen undenkbar.
Brexit und Autokennzeichen
Doch noch immer werden der Öffentlichkeit einfache Lösungsmöglichkeiten angesichts komplexer Situationen suggeriert. Der Brexit ist das aktuell wohl beste Beispiel, wie ein ganzes Land verladen wurde. Die für den Austritt aus der Europäischen Union trommelnden Teile der britischen Politik versprachen endlich wieder die "volle Souveränität" für das offiziell "United Kingdom" heißende Vereinigte Königreich. Doch die macht sich bislang eher in so Petitessen bemerkbar wie der Vorschrift, dass britische Reisende an ihren Autos nicht mehr das alte Länderkennzeichen "GB", sondern neuerdings "UK" verwenden müssen. Dass dann alle bei der Ausreise lange Schlange stehen müssen, weil jetzt jeder Pass besichtigt und gestempelt werden muss, führt aktuell zu lautem Murren. Es ist aber eine direkte Konsequenz des EU-Austritts und der wiedererlangten Souveränität. Bloß wurde dieser negative Aspekt unter den Tisch fallen lassen. Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen.
Desinformation von Donald Trump
Negativer Populismus schürt Ängste. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hat das mit seinem Kampf gegen den angeblichen "Deep State" und seine Legende vom geklauten Wahlsieg vorgemacht. Auf reinen Unterstellungen beruhende, durch nichts belegte Ketten von Behauptungen wurden durch mantrahaftes Wiederholen für weite Teil der Republikanischen Partei in den USA plötzlich zur gefühlten Tatsache. Bis heute ist ein nicht unerheblicher Teil der US-Bevölkerung der Meinung, Trump sei der Wahlsieg bei den Präsidentschaftswahlen 2020 "gestohlen" worden.
AfD und Migration
In Deutschland versucht die AfD, mit populistischen Aussagen ihre restriktive Politik mit Blick auf Migration und Einwanderung als alternativlos darzustellen. Dort ist dann vom "Asylparadies Deutschland" die Rede, das "geschlossen" werden müsste. Die Partei polemisiert beispielsweise gegen einen angeblichen "Wildwuchs" bei der Asylverfahrensberatung und -betreuung. Diese erfolge "meist durch nichtstaatliche, freie Träger, die ein finanzielles Interesse an steigenden Flüchtlingszahlen und am Verbleib möglichst vieler Abgelehnter haben". Diese Behauptung wird durch nichts belegt. Stattdessen wird mit dem Bekenntnis zum "deutschen Staatsvolk" suggeriert, dieses sei wie die "deutsche kulturelle Identität" generell durch eine "aktuelle Massenzuwanderung, die auf einem Missbrauch der Asylgesetzgebung beruht" bedroht.
Diese Beispiele zeigen: Politik beinhaltet immer Anteile von Populismus. Das an sich ist auch nicht verwerflich. Es kommt auf die Ziele dahinter an. Wenn allerdings sonst nicht durchsetzbare Ziele oder auf falschen Tatsachenbehauptungen beruhende Inhalte durch populistische Methoden mehrheitsfähig werden, wird es gefährlich.