
Der Nachruf aus Autorensicht Wie schreibt sich ein Nachruf zu Lebzeiten?
Hauptinhalt
03. März 2025, 10:52 Uhr
Egal ob seitenfüllend, als Randnotiz oder längerer TV-Beitrag, lobend oder kritisierend - in welchem Umfang ein Nachruf erscheint oder welcher Schwerpunkt gesetzt wird, entscheiden Redaktionen und Journalisten selbst. Bei MEDIEN360G erzählen drei Nachrufautoren - eine Erstautorin, ein Redakteur für "besondere Aufgaben" und ein Autor, der seit über zwei Jahrzehnten über Unbekannte Nachrufe verfasst - wie sie an diese journalistische Würdigung herangehen.
Inhalt des Artikels:
Ein "Nachrufautor" ist keine offizielle Berufsbezeichnung, trotzdem gehört es für Redaktionen zur Routine, Texte zu produzieren, die Verstorbene würdigen. Wir haben bei drei JournalistInnen nachgehakt, wie sie an das Thema Schreiben und Sprechen über das Leben von verstorbenen Persönlichkeiten herangehen - zumal Nachrufe oft noch zu Lebzeiten des Porträtierten entstehen.
Die Nachruf-Erstautorin
Für ihren ersten Nachruf hatte die freie Journalistin und Nachrichtensprecherin Johanna Hoffmeier fünf Sendeminuten zu Verfügung. Sie sollte sich für die Regionalsendung MDR Thüringen Journal einem Politiker widmen, der Thüringens Geschicke lange Zeit als Ministerpräsident lenkte: Bernhard Vogel. An das Gefühl für den Nachruf eines noch Lebenden zu recherchieren, erinnert sie sich gut: "Am Anfang fand ich es ein bisschen skurril, aber auf der anderen Seite habe ich es nicht als Nachruf gesehen, sondern für mich war es eher eine Art Porträt über einen interessanten Menschen", sagt sie.
Der damalige Redaktionsleiter fragte sie an, da er sich einen unverstellten Blick erhoffte. Die gebürtige Erfurterin hatte die Amtszeit Bernhard Vogels nur als Jugendliche miterlebt und konnte so die Recherche für den Nachruf mit Distanz und Unvoreingenommenheit beginnen. Hoffmeier interviewte Zeitzeugen und Weggefährten Vogels und kristallisierte die politischen und persönlichen Meilensteine aus einer Fülle an Bildmaterial aus dem Leben des damals 84-Jährigen heraus. "Wie fülle ich die fünf Minuten? Es gab viel Archivmaterial, aber natürlich ist es auch schön, wenn man aktuelle Töne hat." Und fügt wenig später hinzu: "Ich habe dann schon die Interviewpartner gefragt, wie war denn das Arbeiten mit ihm? Wie war er als Chef? Und dann haben sie eben ehrlich geantwortet", sagt sie. Vorgaben gab es keine, nur ihren eigenen Anspruch: "Man versucht im besten Fall etwas zu machen, was auch ein bisschen berührt, was irgendwie bleibt."
Unsere Gesprächspartnerin: Johanna Hoffmeier
Die gebürtige Erfurterin Johanna Hoffmeier volontierte beim Mitteldeutschen Rundfunk. Sie arbeitet beim MDR Thüringen Journal als freie Autorin und Nachrichtensprecherin sowie als Reporterin für die Nachmittagsmagazine MDR um 2 und MDR um 4.
Der Redakteur für “besondere Aufgaben“
Beim Online-Auftritt der taz wird Jan Feddersen als "Redakteur für besondere Aufgaben" tituliert. Eine dieser besonderen Aufgaben ist das Spiel mit den Worten für die Menschen, die den Kampf mit dem Tod bereits verloren haben. Jan Feddersen schreibt Nachrufe für große Solisten oder für recht unbekannte Personen wie den Erfinder der Regenbogenflagge gleichermaßen. Für ihn gäbe es da keinen Unterschied zwischen Herbert von Karajan und Ralph Siegel oder Dolly Parton und Barack Obama. "Da sind mir alle recht", sagt er schlicht.
Trotz der unzähligen Nachrufe, die er in der taz veröffentliche, schreibt er ungern Würdigungen bereits im Vorhinein. Vor einigen Jahren erhielt er eine Anfrage von Spiegel Online. Er sollte einen Nachruf über einen in die Jahre gekommenen Schlagersänger verfassen: "Ich habe dann leichtsinniger Weise zugesagt. Das war der allerquälenste Text für mich, an den ich mich in meinem Leben erinnern kann". Die Vorstellung, einen Menschen und sein Lebenswerk zu würdigen, während die Person noch lebte, war Grund für diese Schreibblockade. "Ich finde, ein Nachrufschreiber sollte eine Empfindung von dem haben, über das er oder sie schreibt. Und wenn eine Person lebt, habe ich da keine nachrufende Emotionalität". Stattdessen recherchiert und schreibt Jan Feddersen lieber am Tag selbst – trotz Zeitdrucks und Publikationszwangs. "Ich fand persönlich so eine Form von Zugespitztheit der Stresssituation eigentlich schon immer für mich selber sehr belebend", sagt er und räumt ein: "Auch wenn das im Nachrufkontext immer ein bisschen komisch klingt."
Unser Gesprächspartner: Jan Feddersen
Jan Feddersen arbeitet als Redakteur bei der Berliner Tageszeitung taz und schreibt über Gesellschaftspolitik, Diskriminierung, Homosexualität oder Populärkultur. Er arbeitete unter anderem für den Stern und Die ZEIT. Seit 2005 berichtet er für den NDR über den Eurovision Song Contest.
Der Autor für Unbekannte
Noch einen anderen Ansatz verfolgt Der Tagesspiegel. Die Redaktion widmet jeden Freitag eine ganze Lokalseite Berliner Verstorbenen. Sie waren Abiturienten, Hafenbarbesitzer, bemalten Pflastersteine, bauten Theaterrequisiten oder haben als Widerstandskämpfer während des Zweiten Weltkriegs Flugblätter verteilt. Doch kaum einer kennt ihre Namen. Sie sind meist unbekannte BürgerInnen aus dem Berliner Raum. Als die erste Nachrufseite vor 19 Jahren erschien, bereitete sich die Redaktion auf einen Ansturm an Vorschlägen aus der Leserschaft vor. Der blieb allerdings aus. Erst als die Redaktion öffentlich ausrief, Personen aus dem eigenen Umfeld für die Seite vorzuschlagen, meldeten sich LeserInnen direkt. Ein anderer Teil der Angehörigen wird über Traueranzeigen kontaktiert. "Viele Leute glauben, wir schreiben nur über ganz besondere Ausnahmefälle. Jedes Leben ist ein Ausnahmefall", sagt Nachrufautor David Ensikat. Eine Gratwanderung bleiben für ihn jedoch Nachrufe über Kinder oder Menschen, die Suizid begingen.
Für den Werdegang des Verstorbenen, können die NachrufautorInnen oft nur wenige Zeitzeugen anhören. Die AutorInnen sind abhängig von dem, was die Angehörigen preisgeben oder für sich behalten. Die Recherche birgt jedoch das Risiko, im Zweifelsfall widersprüchliche Aussagen der Angehörigen direkt zu übernehmen, räumt auch Ensikat ein. Tauchen Unstimmigkeiten in Erzählungen auf, forschen sie im Umkreis der Verstorbenen nach.
In der Redaktion gäbe es fast keine Vorgaben, nur eine ungeschriebene Regel: Ein Nachruf soll die LeserInnen nicht über Tastatur, Tablet oder Tagesspiegel einschlafen lassen. Ob ein "Ernst Müller" ein guter Christ war oder Humor besaß, fülle keine Seiten. "Von Interesse ist die Situation, in der er möglicherweise seinen Glauben auf eine schwere Prüfung stellte oder in der er der größte Spaßvogel war", sagt Ensikat. Sollte jemals ein Nachruf über ihn selbst verfasst werden, wünscht sich David Ensikat deshalb nur eines: "Hoffentlich ist es kein langweiliger und hoffentlich ist eine gute Pointe am Ende."
Unser Gesprächspartner: David Ensikat
David Ensikat schreibt Reportagen sowie Porträts für die Nachruf-Seite von Der Tagesspiegel und arbeitet als freier Autor unter anderem für Die Zeit. Der gebürtige Ost-Berliner ist seit 2000 Redakteur im Tagesspiegel. David Ensikat ist Nachrufredakteur der ersten Stunde. Ensikat bekam direkt nach dem Volontariat die Aufgabe übertragen, Verstorbenen nachzurufen. Was einst unfreiwillig begann, möchte der Berliner Journalist heute nicht mehr hergeben: "Was Besseres kann einem als Journalist, der sich für Lebensgeschichten, für Stadtgeschichte, für psychologische Zusammenhänge interessiert, überhaupt nicht passieren." Er publizierte ausgewählte Nachrufe beim Berliner Taschenbuch Verlag.