MEDIEN360G im Gespräch mit... David Ensikat
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11. April 2019, 16:39 Uhr
David Ensikat, Nachrufautor bei dem Tagesspiegel, hinterfragt den scheinbaren tabuisierten Umgang mit dem Thema Sterben. "Es wird übersehen, dass es bei Nachrufen nicht zuerst um Tod und Trauer geht. Unser Thema ist das Leben."
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MEDIEN360G: Herr Ensikat, Der Tagesspiegel würdigt seit fast 20 Jahren einmal pro Woche in seinen Nachrufen unbekannte Personen aus dem Berliner Raum. Sie rufen Ihre Leserschaft dazu auf, Verstorbene aus ihrem Umfeld für einen Nachruf vorzuschlagen. Welche Rückmeldungen erhalten Sie?
David Ensikat: Es gibt eine große Hürde, sich bei uns zu melden, weil die Leute glauben, wir schreiben hier nur über ganz besondere Leute und ganz besondere Ausnahmefälle. Der Witz ist, jedes Leben ist ja der Ausnahmefall und das worum es uns geht, ist gerade das Ausnahmehafte eines Lebens zu ergründen.
MEDIEN360G: Wie reagieren Angehörige auf Sie, wenn Sie kurze Zeit nach dem Tod der Person, über den Verstorbenen reden?
David Ensikat: Das Entscheidende wird immer übersehen, dass es bei den Nachrufen gar nicht zuerst um Tod und Trauer geht. Unser Thema ist das Leben. Wir schreiben, wie die Leute gelebt haben. Wir schreiben ganz selten auch mal, wie sie gestorben sind. Das kommt auch einmal vor, ist aber überhaupt nicht unser Fokus. Uns geht es ums Leben. Was wir auf jeden Fall sehr oft haben, ist einfach die Reaktion, dass das Gespräch, das der Autor mit den Angehörigen führt, den Leuten wahnsinnig gut tut. Noch bevor wir irgendwas aufgeschrieben haben, haben wir zusammen mit den Leuten Trauerarbeit geleistet.
MEDIEN360G: Sie schreiben schon seit fast zwei Jahrzehnten Nachrufe. Wie sind Sie dazu gekommen?
David Ensikat: Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass ich das so wahnsinnig lange mache. Das war zunächst einmal so: Ich war frischgebackener Redakteur. Wenn man da eine Aufgabe übertragen bekommt, dann macht man das, dann sagt man nicht gleich "Nee". Was das für eine großartige Arbeit ist, das hat sich mir dann Stück für Stück eigentlich doch sehr schnell eröffnet. Mir war sehr schnell klar, ich will das gar nicht hergeben. Wir haben das Privileg, dass uns Interessierende daraus in eine Geschichte zu verpacken und aufzuschreiben. Was Besseres kann einem als Journalist, der sich für Lebensgeschichten, für Stadtgeschichte, für psychologische Zusammenhänge interessiert, überhaupt nicht passieren.
MEDIEN360G: Wie stehen Sie zu Kritik in Nachrufen?
David Ensikat: Da bin ich jetzt vielleicht bei diesem Punkt, dass man gemeinhin meint, über die Toten dürfe man nur Gutes schreiben. Wenn sich jemand daneben benommen hatte, wenn einer dem Alkohol verfallen ist, wenn einer seine Frau betrogen hat, kommt andauernd vor, dann dürfe man so was doch nicht in einem Nachruf schreiben. Das gilt für uns grundsätzlich nicht. Es gilt für uns dann, wenn die Angehörigen nicht wollen, dass so etwas erzählt wird. Wenn sie damit einverstanden sind, dann schreiben wir jede Härte auf. Es gibt natürlich auch Situationen, wo man die Leute auch ein bisschen schützen muss, wenn man den Eindruck hat, sie wollen sich möglicherweise rächen. Dann ist man gut beraten, auch mit anderen aus dem Umkreis der Verstorbenen zu sprechen, damit die Geschichte keine einseitige wird.
MEDIEN360G: Wie überprüfen Sie eine Geschichte und wo werden Sie vielleicht hellhörig?
David Ensikat: Da sprechen Sie natürlich ein ganz großes Problem an. Wir haben hier grundsätzlich nicht die Möglichkeit, der zwei Quellen-Theorie zu folgen. Wir sind absolut angewiesen auf das, was uns die Leute erzählen. Es kommt vor, dass sich dann Geschichten auch widersprechen. Das merkt man manchmal: Da haut irgendwas nicht hin. Das hat aber so gut wie nie was mit einem bösen Willen zu tun, sondern einfach mit der Art, wie wir uns erinnern. Das ist alles äußerst unscharf und desperat. Das weiß jeder, der Krimis gesehen hat, in denen es um Gerichtsprozesse geht, wie unterschiedlich Zeugen sich an verschiedene Dinge erinnern. Das gilt für uns hier natürlich auch.
MEDIEN360G: Mit welchen Herausforderungen sahen Sie sich bislang konfrontiert?
David Ensikat: Man hat immer ein Problem, wenn man über Selbstmörder schreibt. Wie geht man damit um? Wie deutlich darf man über Selbstmorde schreiben? So deutlich, wie wir das zuweilen getan haben, überschreitet das durchaus auch Grenzen, die gemeinhin für geltend dastehen. Ich finde das gehört auch absolut dazu, dass man solche Geschichten erzählt, dass man dem auch auf den Grund geht. Da wird nichts beschönigt, nichts irgendwie romantisiert. Aber was bleibt, ist trotzdem, dass wir schreiben, dass Leute sich das Leben genommen haben. Wir gehen da nicht ins Detail, wie es geschehen ist. Wenn es irgendwie möglich ist, versuchen wir Spuren aufzutun, was dahin geführt hat. Ansonsten gibt es natürlich Geschichten, die einem nahe gehen, wie wenn es sich um Kinder handelt. Dann ist auch die Frage, ob man selbst das macht. Ich habe das ein einziges Mal gemacht und danach nie wieder. Das geht mir tatsächlich dann zu nah.
MEDIEN360G: Sie sagten in einem Interview, ein Nachruf sollte keine Vorgaben haben. Wieso?
David Ensikat: Doch, es gibt eine ganz maßgebliche Vorgabe, nämlich: Man soll nicht langweilen. Ein langweiliger Nachruf wird auch der langweiligsten Personen nicht gerecht. Das Entscheidende ist, dass er (der Nachruf) interessant sein muss, weil der Name, der da drüber steht z.B. Ernst Müller sagt erstmal keinem Leser irgendetwas. Kein Leser will notwendigerweise wissen, wer Ernst Müller war, ob Ernst Müller ein guter Christ war oder einen tollen Humor hatte. Das ist nicht von Interesse. Von Interesse ist die Situation, in der er möglicherweise seinen Christenglauben auf einer schweren Prüfung stehen sehen hat oder die Situation, in der er der große Spaßvogel war.
Frage: Wenn jemand einen Nachruf über Sie schreiben würde, was würden Sie gerne in Ihrem Nachruf lesen?
David Ensikat: Da bin ich locker. Das Einzige gilt da, wie bei alle anderen auch: Hoffentlich ist es kein langweiliger und hoffentlich ist eine gute Pointe am Ende.