TA-Chefredakteur Jan Hollitzer "Wir brauchen Haltung im Journalismus"
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11. Januar 2023, 10:47 Uhr
Jan Hollitzer ist seit 2018 Chefredakteur der auflagenstärksten Tageszeitung in Thüringen. In seiner Funktion ist der 42-Jährige nicht nur verantwortlich für die inhaltliche Ausrichtung der Thüringer Allgemeinen, sondern auch für die zukunftssichere Ausrichtung des Blattes. So muss er das Sinken der Abonnentenzahlen stoppen und die Zeitung ins digitale Zeitalter transformieren. Gleichzeitig sieht sich der Journalist einer weiteren Herausforderung ausgesetzt: der neuen Kritikkultur des Publikums.
Inhalt des Artikels:
Nachrichten auf Abruf
Linear und gedruckt war gestern. Digital ist heute. Und so sagt Hollitzer unumwunden: "Die Digital-Abonnenten sind unsere liebsten." Die Erklärung liegt auf der Hand. Wer die Zeitung digital – und nicht mehr in gedruckter Form – liest, ist leichter und gezielter für Inhalte und Werbung zu erreichen. Und: Es fallen geringere Druck- und Logistikkosten an. Ein Punkt, der durch sinkende Werbeeinnahmen aufgrund fallender Abonnentenzahlen nicht zu vernachlässigen ist. Hollitzers erklärtes Ziel ist es, durch Qualitätsjournalismus im Lokalen die Zeitung wieder attraktiver zu machen. Die gedruckte, aber eben vor allem die digitale Ausgabe.
Wir brauchen unbedingt eine Haltung im Journalismus, weil das ganz viel mit Handwerk und sauberer Arbeit zu tun hat.
Als Kenner der Branche weiß Jan Hollitzer: Die Frage ist nicht ob, sondern ab wann Zeitungen fast ausschließlich digital gelesen werden. Hollitzer verweist auf ein völlig verändertes Mediennutzungsverhalten der Menschen. Die fortschreitende Digitalisierung hat neue Möglichkeiten, jedoch auch neue Bedürfnisse hervorgebracht. Die Mediennutzung verlagert sich mehr und mehr ins Internet. Eine Tatsache, mit der sich nicht nur Tageszeitungen, wie die Thüringer Allgemeine, konfrontiert sehen. Auch Fernseh- und Hörfunkanstalten arbeiten derzeit fieberhaft an tauglichen Digital-Konzepten. Informationen, Nachrichten, Beiträge und Artikel sollen, das wünscht sich eine immer größere Klientel, auf Abruf zur Verfügung stehen. Das Warten auf den Zeitungsboten oder die volle Stunde für die neuesten Nachrichten hat fast schon antiken Charakter. Mediennutzende wollen omni-versorgt sein, unabhängig von Raum und Zeit.
Sauberer Journalismus bildet Meinung
Doch der "Medien-Manager" Hollitzer ist immer noch Journalist geblieben. Und so verfolgt der 42-Jährige auch eine andere Entwicklung aufmerksam: den Wandel der Kritikkultur. Auch Hollitzer kennt die Kritik aus Teilen des Publikums, die großen Redaktionen des Landes würden nicht mehr ausgewogen und plural berichten, sondern würden bevormunden und das Publikum erziehen wollen. Der Vorwurf lautet: Die etablierten Medien betreiben "Haltungsjournalismus".
Hollitzer sagt dazu: "Wir haben es ein bisschen mit einem Paradigmenwechsel in Definition und Gebrauch des Wortes Haltung zu tun. Viele verstehen Haltung als Gesinnung oder Meinung. Das ist aber nicht richtig. Wir brauchen unbedingt eine Haltung im Journalismus, weil das ganz viel mit Handwerk und sauberer Arbeit zu tun hat". Hollitzer legt großen Wert darauf, dass die Thüringer Allgemeine stets versucht, ausgewogen über Themen zu berichten. "Das ist das Zwei-Quellen-Prinzip zum Beispiel, oder dass wir alle Seiten, um die es geht, zu Wort kommen lassen. Und damit tragen wir eben zu einer funktionierenden, pluralistischen Gesellschaft bei, stärken diese und bewahren damit auch die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Man soll sich also über einen sauberen Journalismus seine Meinung bilden können." Hollitzer definiert Haltung also vor allem über das Einhalten handwerklicher Regeln.
Publikum in der Pflicht
Doch Hollitzer mahnt nicht nur die eigene Zunft zur Selbstreflektion. Der TA-Chefredakteur nimmt auch die Mediennutzenden in die Pflicht. "Wir müssen eigentlich auch von unserem Publikum ein bisschen was erwarten können." Und Hollitzer wird konkret: "Es gibt viele Menschen, die suchen sich die Medien danach aus, wo sie ihre eigene Meinung verstärkt bekommen." Das gebe es bei der Thüringer Allgemeinen aber nicht, so der Chefredakteur.
Dafür, dass der Journalismus derzeit generell in der Kritik steht, hat Hollitzer eine Erklärung: "Wir haben es, glaube ich, an vielen Stellen mit mangelnder Medienkompetenz zu tun. Viele können nicht mehr differenzieren: Was ist wirklich sauberer Journalismus und was nicht? Und es gibt leider auch zu viele Menschen, die eben nicht mehr das hinterfragen, was sie lesen und von welchem Kanal das ausgeht oder von welcher Quelle." Das, so Hollitzer, sei ein Phänomen. Und die Erkenntnis daraus? "Journalisten müssen wachsamer sein und sauber arbeiten." Ein Plädoyer für Journalismus mit Haltung.
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 10. Januar 2023 | 19:00 Uhr