Schutz Wie gut ist das Grundgesetz vor Eingriffen durch Extreme geschützt?
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07. Februar 2024, 18:07 Uhr
Wie sicher ist das Grundgesetz vor Angriffen durch Extreme? Was darf geändert werden und was nicht? Und was sind die Regeln und Folgen von Parteienverbot und für Grundrechteentzug?
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren sehr darauf bedacht, Deutschland eine Verfassung zu geben, die bezogen auf den Nationalsozialismus dem "Nie wieder" Rechnung trägt.
Ebenso hatte man Stalin im Blick, der ja nun auch nicht der Vorsitzende einer annehmbaren Werteordnung war mit seinen Arbeitslagern und "Säuberungen" - mit Millionen Toten. Die ersten größeren Praxistests für das Grundgesetz und das Verfassungsgericht waren zwei Parteienverbote in den 1950er-Jahren, die betrafen die KPD und die SRP.
Letztere verstand sich als Nachfolgepartei der NSDAP, die KPD war als revolutionäre marxistisch-leninistische Partei offen auf einen Umsturz ausgerichtet, einschließlich Abkehr von den Grundfesten der Verfassung, die in der Ewigkeitsklausel festgeschrieben sind. (Siehe Absatz: Warum kann man einige Artikel ändern und andere nicht?)
Würde allerdings irgendwann eine wie auch immer geartete revolutionäre Bewegung in der Bevölkerung mehrheitsfähig sein, wäre es mit der Ewigkeit vorbei. Der Verfassungsrechtler Prof. Michael Brenner von der Uni Jena sagt, keine Verfassung sei gefeit vor revolutionären Umstürzen und wäre im Ernstfall das Papier nicht wert, auf dem sie steht.
Eine Verfassung ist nur dann lebensfähig, wenn die Bevölkerung hinter dieser Verfassung steht.
Ist das Grundgesetz alternativlos?
Es gilt Artikel 146 GG, wonach das Grundgesetz "seine Gültigkeit an dem Tage (verliert), an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist".
Dieser Artikel wird gern als Beweis dafür fehlinterpretiert, dass wir "nur" ein Grundgesetz hätten und keine "echte" Verfassung. Und das Volk "müsse nun endlich mal abstimmen dürfen", liest man des Öfteren in sozialen Medien. Dem widerspricht aber die Mehrheit der Staatsrechtler. Der Begriff "Grundgesetz" war zu Beginn geschichtlich auch nicht neu, sagt Prof. Brenner und sollte in diesem Falle schlicht die Tür offenhalten für eine mögliche Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands.
Grundrechtsentzug = vogelfrei?
Grundrechte entziehen - es klingt mittelalterlich, ist aber unter strengen Auflagen in der Verfassung verankert (Artikel 18). Die bisherigen vier Versuche, einem Staatsbürger Grundrechte zu entziehen, sind fehlgeschlagen. Es war dem Bundesverfassungsgericht nicht ausreichend, was die Antragsteller an Gründen vorgebracht hatten.
Drei Institutionen dürfen einen solchen Antrag beim Bundesverfassungsgericht einreichen: Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. Eine Petition für einen Entzug - wie jüngst im Fall von Björn Höcke - kann allenfalls einen Anstoß geben, hat aber keine Verbindlichkeit und bringt schon gar nicht eine Erfolgsgarantie.
Nicht nur Prof. Brenner hält Verbote ohnehin für die falschen Mittel, eine politische Auseinandersetzung mit den Positionen einer Partei sei nachhaltiger, weil die Sympathisanten mit einem Verbot ja nicht verschwinden. Und wenn es schief geht, dann stellt das Bundesverfassungsgericht quasi ein Gütesiegel aus.
Der Grundrechte-Entzug würde im Fall von Björn Höcke voraussichtlich auch nur das aktive und passive Wahlrecht betreffen und hätte zudem eine zeitliche Begrenzung. Auch würden die Verfassungsrichter gründlich arbeiten, aber nicht zügig. In diesem Jahr würde es definitiv keine Entscheidung mehr geben, sagt Prof. Brenner und im nächsten Jahr womöglich auch noch nicht.
Die Sache mit dem Streikrecht
Das Wort Streik wird man vergeblich suchen im Grundgesetz, verankert ist das Streikrecht trotzdem. Die irrige Annahme, die Ampel solle den streikfreudigen Lokführer-Gewerkschaften endlich mal ein rotes Licht setzen, hält sich unter genervten Reisenden hartnäckig. Nachzulesen ist das Streikprivileg unter dem Stichwort "Tarifautonomie" in Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes.
Bezuggenommen wird auf die Koalitionsfreiheit und die Vereinigungsfreiheit und das Recht, "zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden". Dies werde für jedermann und alle Berufe gewährleistet. Deswegen zieht auch kaum ein bestreikter Arbeitgeber vor Gericht. Es würde wenig nützen. Und interessanterweise halten auch die Arbeitgeberverbände an der bestehenden Regelung fest. Denn eines wollen beide nicht: Dass sich in ihre internen Tarifangelegenheiten die Politik auch noch regulativ einmischt.
Warum kann man einige Artikel ändern und andere nicht?
Hier kommen noch einmal die Mütter und Väter des Grundgesetzes ins Spiel. Der sogenannten Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes unterliegen bestimmte elementare Elemente der Verfassung, wie zum Beispiel das Demokratieprinzip, das Republikprinzip und die Aufteilung in Bund und Länder. Ganz oben steht auch die Würde des Menschen.
Wenn die im Kern eines Artikels eine Rolle spielt, sind einer Änderung auch Riegel vorgeschoben. Deshalb kann auch die Meinungsfreiheit nicht per Verfassungsänderung abgeschafft werden.
Aber: Das Grundgesetz sieht nicht vor, dass die eigene Meinung von der Mehrheit geteilt werden muss. Das wird gern vergessen in diesen Zeiten großer Erregung.
In der Meinungsfreiheit ist ein ganz elementarer Menschenwürdekern verankert, die Meinungsfreiheit kann nicht abgeschafft oder eingeschränkt werden.
Und wer aktuell behauptet, Meinungsfreiheit gebe es doch gar nicht mehr, der kann seine im Netz oder auf Demonstrationen geäußerten Meinung ("Die Regierung muss weg") gern einmal in Russland, China oder Nordkorea austesten. Alternativ reicht die Vorstellung, was ein solches Transparent einschließlich Honecker-Galgen in der DDR für Folgen gehabt hätte.
MDR THÜRINGEN (ifl/ls)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 07. Februar 2024 | 16:10 Uhr