Der Redakteur | 29.01.2024 Macht die Ampel die Gesetze zu schnell?

30. Januar 2024, 08:47 Uhr

Eine Hauptkritik an der Ampel: Die Einbindung betroffener Branchen bei der Gesetzgebung erfolge oft zu spät. Zuletzt monierten das die Landwirte beim Agrardiesel. Was muss sich hier grundsätzlich ändern? Autor Thomas Becker hat mit Vertretern von Lobbyverbänden gesprochen.

Streng genommen geht es um einen Bereich, der selbst keinen sonderlich guten Ruf hat. Um Lobbyverbände nämlich, denen schon nachgesagt wurde, dass sie bei der einen oder anderen Gesetzesformulierung den Stift mitgeführt haben. Das ist das andere Extrem und so auch nicht gewollt. So wie vor gut zehn Jahren im EU-Parlament, als Anträge von EU-Parlamentariern zur Datenschutzgrundverordnung nahezu wortgleich waren mit den Lobbypapieren großer amerikanischer Konzerne wie Amazon oder Ebay.

Lobbyverbände sollen Interessen bündeln

Die Verbände sollen nicht nur die Interessen von Branchen bündeln, sondern auch deren Fachkompetenz. Und zusammen mit den Einschätzungen von Forschungseinrichtungen, Gewerkschaften oder Erfahrungen aus anderen Ländern entsteht dann ein Gesamtbild, dass in ein Gesetzgebungsverfahren einfließt. Entscheiden müssen es letztlich die Abgeordneten, die ihrerseits bestrebt sein sollten, sich in die jeweiligen Themen einzuarbeiten. Doch auch das ist wegen kurzer Fristen häufig nicht zu schaffen.

Warum braucht es die Beteiligung von Verbänden?

Wir haben ein Bürgerparlament in Deutschland. Theoretisch kann jeder gewählt werden, was dazu führt, dass eben auch Ungelernte und Studienabbrecher dort landen, was ja ein wichtiger Kritikpunkt des emotionalen Teils der Debatte ist. In der Praxis sind diese aber nicht in der Mehrheit im Bundestag. Die meisten Abgeordneten haben sogar mehr als einen Abschluss. Daran mangelt es also nicht.

Praktiker sind unterrepräsentiert

Unterrepräsentiert sind aber zum Beispiel Handwerker, also die Praktiker. Auch deren Sicht auf die verschiedenen Branchen müssen sich die Abgeordneten also zwingend von außen holen. Und die Ministerien ebenso, denn dort arbeitet auch nicht gerade der Handwerksmeister. Das Gespräch mit dem Klempner vor Ort im Wahlkreis mag für den Abgeordneten wichtig sein und klingt auch gut, wenn man davon in der Talkshow erzählt, den Gesamtblick auf die Branche ersetzt das aber auch nicht.

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Der Bundesverband der Freien Berufe vertritt unter anderem Steuer- und Wirtschaftsberater oder Rechtsanwälte, aber auch Heilberufe.

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Um Antwort wird gebeten bis Montag

Hier kommen die Verbände ins Spiel, die aber oft zu spät eingebunden werden, wie deren Mitglieder berichten. Mit 20 Stunden war das Strompreisbremsegesetz der "Spitzenreiter", so viel Zeit hatte das Bundeswirtschaftsministerium den Verbänden gegeben. Zweieinhalb Seiten lang ist die Übersicht über verkürzte Stellungnahmefristen, die zurückgeht bis 2019. Oft lagen die Fristen dmenach bei wenigen Tagen, das Wochenende wird auch gern eingeschlossen, warum auch nicht, einige Berufe wie die Ärzte arbeiten schließlich rund um die Uhr.

Der Vertreter der niedergelassenen Ärzte, Dr. Dirk Heinrich, Facharzt für Allgemeinmedizin, HNO-Facharzt und Bundesvorsitzender vom Virchowbund, findet deutliche Worte für diese Art von Beteiligungen: "Das sind nur noch Alibiabfragen, da ist gar kein Wille erkennbar, dass man bereit wäre, noch irgendwas zu ändern."

Das sind nur noch Alibiabfragen, da ist gar kein Wille erkennbar, dass man bereit wäre, noch irgendwas zu ändern.

Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender Virchowbund der niedergelassenen Ärzte

Und es kommt noch ein weiterer Punkt dazu. Die Antworten müssen gelesen und bewertet werden. Erstens im Ministerium, aber auch mindestens in den parlamentarischen Gremien wie dem Gesundheitsausschuss in diesem Fall. Von Montag auf Mittwoch sei das schlicht unmöglich, aber solche Zeitabläufe gebe es viel zu oft, kritisieren auch die Branchenvertreter aus dem Bereich der Erneuerbaren Energien, von denen aktuell ohnehin ein besonders hohes Tempo verlangt wird.  

Wer soll das im Ministerium oder in den Abgeordnetenbüros ernsthaft geordnet lesen, wenn man zwischen Abgabefrist der Verbände und Entscheidung im Ausschuss oder Parlament auch nur noch wenige Stunden hat?

Wolfram Axthelm, Geschäftsführer Bundesverband Windenergie und vom Bundesverband Erneuerbare Energie

Nicht umsonst hatte der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg, der seine Rechte als Abgeordneter verletzt sah, weil das Gebäudeenergiegesetz wie ein Durchzug durchs Parlament fegte. Dabei werden manche Gesetze sogar dringend erwartet in der Praxis. So freut sich Wolfram Axthelm vom Bundesverband Windenergie und vom Bundesverband Erneuerbare Energie, dass die Bundesregierung die notwendigen Gesetze für den Ausbau der Erneuerbaren Energien geschaffen habe.

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Wolfram Axthelm ist Geschäftsführer vom Bundesverband WindEnergie und vom Bundesverband Erneuerbare Energie.

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Jetzt liegt der Ball bei den Ländern, die sehr unterschiedlich schnell damit arbeiten. Was auch wieder mit Bürokratie zu tun hat, einem weiteren großen Thema der Verbände. Für eine Windkraftanlage brauche es laut Branchenvertretern immer noch Dutzende Aktenordner, die eingereicht werden müssen, und das genau so: als Aktenordner. Finde zwei Fehler: erstens die Menge der Akten und zweitens die analoge Form.

Für eine Windkraftanlage müssen 60 Aktenordner durch die Gegend getragen werden. Da wäre mit Digitalisierung nicht nur uns geholfen, sondern auch den Behördenmitarbeitern.

Wolfram Axthelm, Geschäftsführer Bundesverband Windenergie und vom Bundesverband Erneuerbare Energie

Keine pauschale Ampel-Schelte

Die Verbände, die sich auf MDR-Anfrage gemeldet haben, sind weit davon entfernt, pauschale "Ampel-Schelte" zu betreiben. Sie wollen konstruktiv Verbesserungen erreichen, beim Bürokratieabbau genauso wie bei der Beteiligung. Deswegen hat sich auch der Bundesverband der Freien Berufe die Mühe gemacht und die Beteiligungsfristen der vergangenen Jahre zusammengetragen.

Eine Ärztin ueberreicht in einer Arztpraxis in Hamburg dem Patienten ein Rezept (gestellte Szene) 19 min
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Dirk Heinrich ist Facharzt für Allgemeinmedizin und HNO-Facharzt. Außerdem ist er Bundesvorsitzender vom Virchow-Bund.

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Als zum Beispiel die Referentenentwürfe für die neue Grundsteuer am 9. April 2019 in die Ressortabstimmung gingen, erfolgte vor dem Beschluss des Bundeskabinetts am 21. Juni 2019 überhaupt gar keine offizielle Anhörung der Fachkreise. Zur Erinnerung: Damals war noch Angela Merkel Kanzlerin.

Trotzdem ist es seitdem nicht besser geworden. Die Ampel hat sich viel vorgenommen in ihrem Koalitionsvertrag und damit viele neue Gesetze. Mit Zeitenwende, Krieg und Energiekriese sind weitere extrem wichtige Themen dazugekommen, die bearbeitet werden müssen. Ob dieses "Müssen" nun aber wirklich auch noch für alles steht, was im Koalitionsvertrag als dringlich angesehen wurde, das ist eine ganz andere Frage. Hier sollte man sich lieber auf das Wesentliche konzentrieren, da sind sich die drei Branchenvertreter einig.

Hinzu kommt, dass sich in der Ampel drei unterschiedliche Parteien einigen müssen, auch das kostet zusätzlich Zeit, die am Ende des Gesetzgebungsprozesses fehlt, so Peter Klotzki vom Bundesverband der Freien Berufe. Der vertritt neben Heilberufen auch Steuer- und Wirtschaftsberater und Rechtsanwälte, deren Berufsstände von neuen Regelungen geradezu geflutet werden. Und das auch, weil sich die Mandantschaft aller Branchen hilfesuchend an ihre Berater wendet.

Ich vertrete nicht die Auffassung, dass das ein bewusster Prozess ist, sondern es liegt an der Menge der Regulierung. Da steht am Ende ein Ziel, wann muss das verabschiedet werden und so entsteht zeitlicher Druck.

Peter Klotzki, Bundesverband der Freien Berufe

Verbände fordern Pause bei neuen Regeln

"Regulierungsmaschine" nennt es Peter Klotzki, Ärztevertreter Dr. Dirk Heinrich vermutet, die Corona-Zeit hat "Durchregieren sympathisch gemacht" und Windkraftexperte Wolfram Axthelm betont, Kommunikation dürfe nicht erst am Ende stattfinden. In der Summe fordern sie für Deutschland dringend eine Pause, was neue Regeln betrifft.

Dazu gehöre auch Verlässlichkeit, es könne nicht sein, dass quasi von heute auf morgen die Regeln geändert würden - sei es beim Agrardiesel oder bei der E-Auto-Förderung, auf die sich die Wirtschaft in ihren Planungen, Investitionen und Einkäufen eingestellt hat.

Viele Unternehmer kämen gar nicht mehr dazu, die bestehenden Vorschriften umzusetzen und deren Einhaltung zu dokumentieren, was ja auch oft gefordert wird. Der Berufsverband der Freien Berufe hat ermittelt, dass unter den Mitgliedern 27 Prozent der Arbeitszeit mit dem Ausfüllen von Dokumenten draufgeht. Vieles sei gut gemeint, führt aber zu einer unfassbaren Beschäftigung mit nichtproduktiven Dingen, so Peter Klotzki - und zieht den Bogen bis zum Thema Fachkräftemangel.

Wenn wir Bürokratie und Dokumentation nur auf die Hälfte reduzieren würden, wäre das Thema Fachkräftemangel schon ein ganzes Stück beseitigt.

Peter Klotzki, Bundesverband der Freien Berufe

Und wie aus vielen Branchen zu hören ist, gehen in den nächsten Jahren viele Leistungsträger in Rente, zum Beispiel auch bei den Fachärzten. Das Praxensterben hat längst begonnen, die Nachfolger sind nicht in Sicht. Selbst heutige Studienplatzinitiativen wirken erst in mehr als einem Jahrzehnt. Und viele Ärzte würden den Bitten nach einer Verlängerung ihrer Lebensarbeitszeit nicht nachkommen, wenn sie wegen der Budgetdeckelung weiter große Teile des Jahres für umsonst arbeiten müssten. In den vergangenen Jahren sei man viel mit der ethischen Keule umhergelaufen, so Dr. Heinrich, in der Hoffnung, das reiche als "Ansporn" weiterzumachen.

Wer glaubt denn ernsthaft, dass Ärzte, die sich 30 Jahre selbst ausgebeutet haben, sich auch noch ein Tritt verpassen lassen und sagen: Da mache ich noch fünf Jahre weiter. Das ist eine irre Vorstellung.

Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender Virchowbund der niedergelassenen Ärzte

Aktuell gibt es erste Gespräche mit dem Bundesgesundheitsministerium. Doch Dr. Heinrich moniert, dass sich Minister Karl Lauterbach (SPD) zwar stets von Beratern umgeben habe, diese aber in der Regel aus dem Kosmos der Universitätskliniken kamen und eher nicht aus Arztpraxen. Rechtzeitig in der Praxis nachzufragen, bevor man etwas beschließt - das hätte hier sogar eine doppelte Bedeutung.

MDR (dvs/thk)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 29. Januar 2024 | 16:40 Uhr

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