Ein Sehbehinderter mit Stock wird geführt
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Der Redakteur | 04.12.2024 Hindernisse: Auf welche Probleme stoßen Menschen mit Behinderung im Alltag?

04. Dezember 2024, 18:28 Uhr

Sabine ist gehbehindert und musikinteressiert. Doch Konzerte und andere Veranstaltungen sollten heute keine Hürde mehr darstellen für Menschen im Rollstuhl. Trotzdem scheiterte sie mit ihrem Hilfeersuchen an den Mitarbeitern von Sicherheits- und Rettungsdienst. Ein Einzelfall? Vielleicht. Aber fehlen hierzulande häufiger die baulichen Gegebenheiten oder sind wir im Kopf noch nicht barrierefrei?

Thomas Becker
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"Der Fahrstuhl ist nur für das Personal." Diese Antwort erhielt Sabine auf ihre Bitte um Hilfe auf dem Weg zu ihrem Platz beim Konzertbesuch. "Als Behinderter muss man wissen, dass man solche Veranstaltungen nicht besuchen kann, wenn da Treppen sind", so der "freundliche" Hinweis.

Ein Hinweisschild mit Piktogrammen "Rollstuhlfahrer" und "Fahrstuhl" zeigt 2016 in einem Bahnhof den Weg für Passagiere mit eingeschränkter Mobilität.
Für viele Menschen in Deutschland sind Treppen eine unüberbrückbare Hürde - nicht immer gibt es Aufzüge. Bildrechte: picture alliance / dpa | Monika Skolimowska

An vielen Veranstaltungsorten bis hin zu Stadien gibt es barrierefreie Plätze, die auch separat gebucht werden können und sollten. Denn viele Tribünen haben tatsächlich ein Problem mit der Erreichbarkeit und auch mit den Fluchtwegen. Deshalb befinden sich die Plätze für Menschen im Rollstuhl auch meistens im Erdgeschoss. Im Brand- und Evakuierungsfall wäre der Fahrstuhl nämlich ohnehin keine Option. Abgesehen von den baulichen Gegebenheiten scheint bei Sabine aber auch auf der Kommunikationsebene einiges schiefgegangen zu sein, erklärt Alexander Brick, Geschäftsleiter der Liga Selbstvertretung Thüringen e.V. (Zusammenschluss der Selbstvertretungs-Organisationen behinderter Menschen in Deutschland).

Menschen ohne Behinderung wissen oft nicht, wie sie auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung eingehen sollen. Gleichzeitig kommt es vor, dass berechtigte Anliegen sehr vehement vorgetragen werden, was Abwehrreaktionen auslösen kann.

Alexander Brick, Geschäftsleiter der LIGA Selbstvertretung Thüringen e.V.
Ein Junge in einem Rollstuhl 23 min
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23 min

Alexander Brick von der LIGA Selbstvertretung Thüringen e.V. über die Probleme von Menschen mit Behinderung im Alltag.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Mi 04.12.2024 15:40Uhr 23:04 min

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Menschen mit Behinderung helfen - wie verhalte ich mich richtig?

Brick betont, dass manche dankbar sind für angebotene Hilfe, andere empfinden sie als Bevormundung. Wichtig sei, dass man freundlich und respektvoll bleibt und auch akzeptiert, wenn Hilfe abgelehnt wird. Man soll die Situation kurz beobachten und fragen, ob man helfen kann.

So vermeiden Sie, ungewollt einzugreifen und respektieren gleichzeitig die Autonomie der betroffenen Person.

Alexander Brick, Geschäftsleiter der LIGA Selbstvertretung Thüringen e.V.

Steffen Gödecke fährt 2019 mit seinem Elektro-Rollstuhl im Bahnhof an einem Gleis.
Viele Bahnhöfe in Deutschland werden nach und nach barrierefrei umgebaut. Bildrechte: picture alliance/dpa | Marijan Murat

Abenteuer Eisenbahn - trotz Mobilitätsservice

Die Mobilitätsservice-Zentrale der Deutschen Bahn vermittelt nach eigenen Angaben an fast 300 Bahnhöfen Unterstützung durch Servicepersonal. Das Statistische Bundesamt zählte allerdings 5.700 Bahnstationen in Deutschland. Davon waren im Juli 2020 rund 78 Prozent barrierefrei. Nach eigenen Angaben baut die Deutsche Bahn pro Jahr rund 150 Bahnhöfe barrierefrei um. Auch Thüringer Bahnhöfe sind darunter - so Bad Blankenburg, Friedrichroda, Reinhardsbrunn-Friedrichroda, Gotha, Sonneberg und Probstzella bis 2031.

Aber die Probleme liegen oft im Detail. Margarete aus Pößneck fährt häufig Zug. Auch sie ist auf Barrierefreiheit angewiesen. Sie wollte am oberen Bahnhof in Pößneck zusteigen und hat Hilfe angemeldet. Das Problem dort beschreibt die Mobilitätsservice-Zentrale der Bahn im Mailverkehr selbst: Gleis 1 sei zwar barrierefrei erreichbar, die Rampe der Züge passe jedoch nicht zur Bahnsteighöhe. Gleis 2 sei nur über Stufen zugänglich.

Leben mit Behinderung: Blind und unsichtbar

Aber es gibt nicht nur Menschen, die schlecht laufen können. Jürgen Schlöffel aus Erfurt schrieb, dass er sich mit seinem eingeschränkten Sehvermögen oft an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlt.

Person mit Blindenarmbinde und Blindenstock läuft.
Auch blinde Menschen werden in Deutschland oft nicht ausreichend berücksichtigt. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Monika Skolimowska

Ein weiteres Hindernis schilderte Jacqueline Schröder aus Weida, die mit behinderten Menschen arbeitet.

Oft scheitern ihr zufolge Menschen mit kognitiven Einschränkungen an Anglizismen oder der komplizierten Sprache in Deutschland. Doch als die Tagesschau vor kurzem ihr Angebot in einfacher Sprache einführte, war das Netz voll von Häme. "Fernsehen von Doofen für Doofe" oder "Als nächstes kommen die Nachrichten in leichtem Arabisch…", um nur einzelne Beispiele zu nennen. Ausgeblendet wird in diesen Bewertungen die Tatsache, dass viele Menschen wegen einer geistigen Behinderung oder nach einer Erkrankung - Stichwort Schlaganfall - komplexe Texte nicht (mehr) verstehen. Laut Tagesschau haben etwa 17 Millionen Erwachsene in Deutschland Probleme mit zu komplizierter Sprache.

Barrierefreiheit bedeutet nicht nur bauliche Anpassungen, sondern auch, dass Informationen in leichter Sprache verfügbar sind. Das hilft nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern der gesamten Gesellschaft.

Alexander Brick, Geschäftsleiter der LIGA Selbstvertretung Thüringen e.V.

Inklusion ist ein Menschenrecht und kein "Irrweg"

In der politischen Diskussion um Inklusion an Schulen sorgte Björn Höcke (AfD) für Aufsehen, als er Inklusion an Schulen als "Irrweg" bezeichnete. Eine Aussage, die nicht nur Alexander Brick entsetzt hat.

Inklusion ist weder ein Irrweg noch ein Ideologieprojekt, sondern ein Menschenrecht. Wer das nicht anerkennt, offenbart ein fragwürdiges Menschenbild.

Alexander Brick, Geschäftsleiter der LIGA Selbstvertretung Thüringen e.V.

Brick betont, dass Inklusion kein Luxus ist, sondern eine Notwendigkeit für eine gleichberechtigte Gesellschaft. Menschen mit Behinderung gehörten zur Mitte der Gesellschaft, nicht an den Rand. Jeder Zehnte sei betroffen.

In Thüringen gibt es über 200.000 Menschen mit einer anerkannten Schwerbeschädigung, so Brick, und noch einmal so viele mit chronischen Erkrankungen, die auch Behinderungen nach sich ziehen. Und bei 97 Prozent der Betroffenen würden diese Einschränkungen erst im Laufe des Lebens auftreten - sei es durch Krankheit oder Unfall. Bedeutet: Es kann jeden ereilen. Es gehe deshalb auch nicht um Sonderrechte, sondern darum, Diskriminierung zu beenden und Teilhabe zu ermöglichen. Aussagen vom "Irrweg", so Brick weiter, gefährden Fortschritte, die in den letzten Jahren erzielt wurden.

Eine weitere Bewertungsmöglichkeit ist das WC. Hier aufgezeigt sind die drei Kriterien: "Rollstuhlgerechtes WC", "Kein rollstuhlgerechtes WC", "Status WC unbekannt
Planung ist wichtig: Online können Menschen sich vielerorts vorab über die Barrierefreiheit vor Ort informieren. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Bei der Diskussion über die Kosten von Barrierefreiheit und anderen Vorhaben empfiehlt Alexander Brick eine gute Planung. Die von Anfang an geplante geneigte Ebene im Eingangsbereich sei billiger als ein späterer Umbau. Und hilfreich ist sie auch für Leute, die glauben, keine Hilfe zu benötigen.

Die Mutter mit dem Kinderwagen profitiert genauso wie der ältere Herr mit dem Rollator. Es ist keine Sonderleistung, sondern eine Bereicherung für uns alle.

Alexander Brick, Geschäftsleiter der LIGA Selbstvertretung Thüringen e.V.

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MDR (ifl)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 04. Dezember 2024 | 15:45 Uhr

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