Rezension "Die Frau ohne Schatten" an der Semperoper Dresden
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25. März 2024, 11:30 Uhr
Die Anforderungen an diese Inszenierung sind enorm. Ein riesiges Orchester, das auch in der Dresdner Semperoper nicht komplett in den Graben passt, sodass nicht nur die Windmaschine in die Seitenlogen ausquartiert werden muss. Sänger in den fünf Hauptrollen, die keine technischen Probleme und keine Angst kennen. Sänger in den Nebenrollen, die nicht nur schön, sondern auch laut singen können. Und ein Regisseur, der mit diesem merkwürdigen Märchen über Liebe, Ehe und Schwangerschaft umgehen kann.
Bis auf den letzten Punkt der Aufzählung werden alle Wünsche in Dresden bei Christian Thielemanns letzter Premiere als Chefdirigent der Staatskapelle mit kleinen Einschränkungen erfüllt. Ausnahmslos alle singen die kunstvoll gedrechselten Worte von Hugo von Hofmannsthal so textverständlich, wie es in dieser spätromantischen Oper möglich ist, alle werfen sich mutig in ihre anspruchsvollen Rollen.
Inszenierung kann nicht überzeugen
Und doch will der Abend als Gesamtkunstwerk nicht überzeugen, weil der Regisseur David Bösch sich um jede Aussage, um jede Haltung zum reaktionären Werk herummogeln möchte.
Es geht schließlich um die Rolle der Frau in der Ehe. Wahren Wert und ihre Erfüllung erreicht sie nur in der Schwangerschaft und wenn sie sich ihrem Gatten unterordnet. Das war schon zur Entstehungszeit während des Ersten Weltkrieg eine reaktionäre Weltsicht und hat heute eine gründliche Befragung nicht nur nötig, sondern auch verdient. Ganz gleich, ob ein Regieteam die von den Urhebern propagierte Aussage teilt oder kritisiert, sie einfach zu ignorieren wie in Dresden, funktioniert auf die gut vier Stunden Dauer nicht.
Exzellente Sängerinnen und Sänger
Die Sängerinnen und Sänger treten verlässlich auf. Wenn sie etwas zu singen haben, stehen am liebsten mittig auf der weiten Bühne und singen Christian Thielemann und das Parkett an. In welcher Beziehung Kaiser und Kaiserin zu einander stehen, ob er sie auch ohne Schwangerschaft liebt, weil er die Frau ohnehin als seine Beute sieht, bleibt ebenso unerforscht wie die Beziehung zwischen dem polterig liebenden Färber und seiner von der Schwangerschaftsfrage zusehends genervten Frau.
Die Tragik der Amme, die von der Kaiserin zur Intrige gezwungen wird und schließlich für etwas bestraft wird, was sie nie aus eigenem Antrieb tun wollte, bleibt gänzlich unterbelichtet.
Bühnen- und Kostümbild beeindrucken
Bühnenbildner Patrick Bannwart trennt die Welten von Kaiser und Färber auch optisch scharf voneinander. Die Herrscherebene zeigt Bühnenbildner Patrick Bannwart mit dekorativ wehenden Vorhängen und einem klinisch-weißen Ehebett, die Färberwelt hingegen schmutzig-ungeordnet mit Waschmaschine, Fernseher und offenem Feuer.
Die Kostüme von Moana Stemberger sind ähnlich eindeutig aufgeteilt in märchenhafte Geister und bodenständig-proletarische Menschen. Man reist in einem Lastenaufzug hin und her, der praktischerweise gleich in der Färberstube endet und auch muskelbepackten Jünglingen oder Luxus-Influencerinnen den Zugang zu den Unterschichtlern öffnet. Gelegentlich senkt sich ein riesiger weißer Vogel aus dem Bühnenhimmel, der wohl ein Falke sein soll, aber verdächtig nach der Boteneule Hedwig aus "Harry Potter" aussieht. Sollte sie sich zwischen den Fantasywelten verflogen haben?
Wenn Regisseur David Bösch doch mal einen originellen Einfall hat, geht er garantiert auf Kosten der Musik: Die Erscheinung des Jünglings, der die Färberin verführen soll, wird auf der Bühne durch eine Schar von Bodybuildern verkörpert, während der exzellent singende Tenor Martin Mitterrutzner hinter die Szene verbannt wird und so signifikant an Präsenz verliert.
Musikalisch absolut überzeugend
Das Bild gewinnt über den Ton. Das ist umso überraschender, als Christian Thielemann in seiner letzten Dresdner Premiere ansonsten größten Wert auf die Ausgewogenheit der zahllosen Stimmen sowohl im Orchester als auch auf der Bühne legt. Kaum jemand versteht die musikalische Rhetorik der deutschen Spätromantik so genau wie er. Jede einzelne der harmonischen Wendungen dieser riesigen Partitur bekommt bei ihm eine Bedeutung und die Sächsische Staatskapelle lässt noch die kleinsten Verästelungen klingen und schimmern, spielt in den lyrischen Szenen sehr wagemutig leise und in den großen Ausbrüchen nie zu laut.
Die Sängerinnen und Sänger müssen nie brüllen, um über das Orchester zu kommen. So kann Camilla Nylund als Kaiserin nach verhaltenem Beginn ihre Stimme aufblühen lassen, kann Eric Cutler die schwierige Rolle des Kaisers ungefährdet gestalten.
Miina-Liisa Värelä begeistert mit ihrer Rolle als Färberin, Regisseur David Bösch enttäuscht
Die Entdeckung des Abends ist Miina-Liisa Värelä als Färberin, denn selten hat man diese extreme Rolle so schön gesungen gehört, während Oleksandr Pushniak den Färber zwar verlässlich, aber eher grobschlächtig und wenig differenziert abliefert. Die kleineren Rollen sind glänzend besetzt, der Chor singt verlässlich schön, verliert aber durch das Schattendasein im tiefen Bühnenhintergrund an Durchschlagskraft.
Und dann fällt David Bösch zum Finale leider noch etwas Überraschendes ein, und das funktioniert selbstverständlich auch nicht: Vollkommen unmotiviert werden die beiden Paare, die sich nach vier Stunden gesungener Paartherapie, nach Krisen und Prüfungen endlich gefunden haben, wieder getrennt und finden über Kreuz zum Glück. Kann man als Regisseur machen, aber dann muss es szenisch beglaubigt werden.
So zeigt der Schlussgag bloß, wie grundsätzlich diese Inszenierung den Kern von "Die Frau ohne Schatten" verfehlt. Im Schlussbild sitzt Evelyn Herlitzius als Amme allein auf der großen, leergeräumten Bühne. Vorher hat sie die getriebene Intrigantin mit größter Intensität und Virtuosität gesungen und gespielt, auch jetzt schaut man ihr gebannt zu. Aber dazu hätte man die geistlose Inszenierung nicht gebraucht.
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 25. März 2024 | 07:10 Uhr