1992 bis 2024 WGT Leipzig: Die Geschichte des Festivals in Songs
Hauptinhalt
14. Mai 2024, 15:00 Uhr
Seit das erste Wave-Gotik-Treffen 1992 in Leipzig stattgefunden hat, haben tausende Musiker, Künstlerinnen und Bands auf Leipzigs Bühnen gestanden und das Festival auf eigene Weise geprägt. Dabei überzeugte das Line Up immer wieder mit einem eigenwilligen Sound und überraschte aber auch mit Popularität: beispielsweise mit Auftritten von Siegern des Eurovision Song Content (ESC), mit Apocalyptica, Blixa Bargeld, Deine Lakaien oder Laibach. Diese Songs erzählen die Geschichte des WGT Leipzig von 1992 bis 2024.
Was die Szene selbst gern als Familientreffen beschreibt, hat sich in den den vergangenen 30 Jahren zu einem kulturellen Großereignis entwickelt. Selbst der flüchtige Betrachter, den all die schwarzen Gestalten in Leipzigs Innenstadt daran erinnern, dass schon wieder Pfingsten ist, hat längst verstanden, dass das WGT eine Vielfalt repräsentiert, die man bei vergleichbaren Festivals selten findet. Man sagt mittlerweile leichthin: Dieses Treffen ist mehr als nur Musik. Aber Musik ist der Kern. Fast zweieinhalbtausend Musiker, Künstler, Bands und Ensembles standen seit der ersten Ausgabe 1992 auf den Bühnen Leipzigs.
Die Musikredaktion von MDR KULTUR hat eine ganz besondere musikalische Chronik zusammengestellt. Aus jedem Festivaljahr finden Sie hier einen Song, der WGT-Geschichte geschrieben hat. Unsere Auswahl ist selbstredend weder repräsentativ noch erhebt sie Anspruch auf Vollständigkeit, zeigt aber – wie wir finden – den großen Facettenreichtum des Treffens und seiner Musik.
1992 – Das Ich: "Gottes Tod"
Das Ich gehören nicht nur zur Gothic-Geschichte Deutschlands, sondern auch zum Gründungs-Line-up der ersten WGT Ausgabe 1992. 1989 von Bruno Kramm und Stefan Ackermann in Bayreuth gegründet, prägten Das Ich mit hartem Elektrosound viele, die nach ihnen kamen.
1993 – Clan Of Xymox: "Louise"
Gefühlt der internationale Act, der am häufigsten zum WGT nach Leipzig kam. Niederländische Dark-Wave-Helden, die in den 80er-Jahren gegründet wurden und bis heute aktiv sind.
1994 – Project Pitchfork: "Alpha Omega"
Peter Spilles und Dirk Scheuber aus Hamburg haben den Electro-Wave in Deutschland mit erfunden und gehörten zu denen, die Mitte der 90er-Jahre damit auch kommerziell erfolgreich wurden. Zwei Echo-Nominierungen sind ein Beleg. Zu der Zeit ihres ersten WGT-Engagements spielte eine junge Band namens Rammstein bei ihnen im Vorprogramm.
1995 – Love Is Colder Than Death: "Song of Faith"
Wohl die bekannteste Leipziger Band aus dem WGT-Umfeld, 1989 gegründet und doch erst beim vierten WGT offiziell im Programm. Unvergessene Auftritte gab es bei späteren Festivals im Leipziger Schauspielhaus und in der Krypta des Völkerschlachtdenkmals.
1996 – Estampie: "Disse mi"
Dark Wave, Gothic, EBM, Electro – Estampie sind ein Beleg, dass die schwarze Szene schon immer auch einen Link in ganz entfernte Jahrhunderte hatte. Mittelaltermarkt und Viktorianisches Picknick gehören seit Jahren zum Rahmenprogramm. Bands wie Estampie lassen Zeiten der Minne und Spielleute aufleben.
1997 – Die Art: "Ozean"
Die Geschichte der Leipziger Band Die Art um Sänger Makarius ist untrennbar mit den letzten, wilden Jahren der DDR und ihrer damals reichen und unglaublich inspirierenden Subkultur verbunden. 1997 waren sie zum ersten Mal beim WGT. Später narrte Makarius viele mit den Songs des erfundenen russischen Schriftstellers Pratajev.
1998 – Wolfsheim: "Once In A Lifetime"
Die schwarze Szene Deutschlands hat viele erfolgreiche Bands und Künstler hervorgebracht. Aber nur wenige waren über die Szenegrenzen hinaus erfolgreich. Wolfsheim gelang dies. Ihr gefälliger elektronischer Sound passte hervorragend in die Zeit. Wesentlich war dabei die markante Stimme von Sänger Peter Heppner.
1999 – Goethes Erben: "Vermisster Traum"
2001 – Laibach: "Jesus Christ Superstar (Judas Song)"
Diese Band aus Slowenien hat viele verwirrt. Sie haben die Kontextverschiebung zur Kunstform gemacht. Ihr Spiel mit Symbolen aus Pop und Politik ist verstörend und faszinierend zugleich. Legendär ihr Auftritt vor dem in bengalischem Feuer brennenden Völkerschlachtdenkmal.
2002 – Unheilig: "Sage Ja!"
Ja, da kommt der Graf eigentlich her. Bevor die Band Unheilig mit Hymnen wie "Geboren, um zu Leben" in den deutschen Pop-Mainstream einzogen, gehörten Unheilig Anfang des Jahrtausends zur WGT-Szene. Ihr Sound war zwar deutlich härter und düsterer, der Hang zum Pathos, der sich durch des Grafen Texte zog, war aber auch schon damals hörbar.
2003 – Deine Lakaien: "Love Me To The End"
2005 – Apoptygma Berzerk: "In This Together"
Ein weiteres Beispiel für eine Zeit, in der es einige Bands schafften, ihre jeweiligen Szenegrenzen erfolgreich niederzureißen. Die Band mit dem unaussprechlichen Namen aus Norwegen hatte schnell den Dreh raus, mit großer Geste sowohl Pop-Charts zu stürmen als auch Szene-Ultras versöhnt mitzunehmen.
2006 – Katatonia: "The Racing Heart"
Katatonia ist eine schwedische Dark-Metal Band, herausragend in ihrem Sound. Wie nur wenige Bands aus diesem Metier beherrscht es diese Formation um Sänger Jonas Renkse, tiefe Melancholie in eine breit-schwere Gitarrenfläche zu betten.
2007 – Qntal: "Von Den Elben"
2008 – Fields Of The Nephilim: "Moonchild"
Die Band ist eine Goth-Legende aus England. Carl McCoy ist mit seinem verstaubten Hut eines der typischen Gothic-Rolemodels. Die Band hatte lange damit zu kämpfen, nur als Kopie anderer Helden zu gelten, etwa der Sisters Of Mercy, mit den Jahren spielten sie sich davon aber weitestgehend frei. Ein Song wie "Moonchild" gehört in jede Szenedisco.
2009 – Peter Murphy: "Cuts You Up"
Wenn schon Rolemodel – dann Peter Murphy! Der Brite hat mit seiner Band Bauhaus den Dark Wave erst aus den Kellern geholt. "Bela Lugosi's Dead", "She's In Parties" sind nur zwei seiner Klassiker. Murphy tourt seit der Trennung der Band mit wechselnden Besetzungen und lässt sowohl die Musik von Bauhaus weiterleben als auch seine solistischen Erfolge aus den frühen 90er-Jahren.
2010 – Lacrimosa: "Alles Lüge"
Lacrimosa aus der Schweiz haben lange die Szene gespalten. Für die einen war es immer perfekter deutsprachiger, symphonischer Gothrock. Für die anderen nur aufgepumpte theatralische Pose. Fakt ist: Tilo Wolf, der Gründer des Projekts, zieht seine Sache seit 1990 konsequent und vor allem erfolgreich durch.
2011 – Camouflage: "Love Is A Shield"
2012 – Haujobb: "Dead Market"
Haujobb ist ein Trio um den Wahl-Leipziger Daniel Myer mit sehr elektronischem Sound. Myer, der zeitweise auch Mitglied der schwedischen Band Covenant war, ist ein umtriebiger Musik-Nerd, der in Leipzig Veranstaltungen organisiert und auch Radiosendungen mit Szenemusik produziert hat.
2013 – Faun: "Diese kalte Nacht"
Eine weitere deutsche Band, die ihre Wurzeln in mittelalterlicher Musik hat. Ende der 90er-Jahre gegründet, erspielte sich die Band aus Bayern schnell eine große Fangemeinde. Mit dem 2013 veröffentlichten Album "Von den Elben" kam dann der kommerzielle Durchbruch, mit dem sie sich allerdings (wie das oft so ist) nicht nur Freunde machten.
2014 – Apocalyptica: "Cold Blood"
Noch so ein Beispiel, wie aus einer fixen Idee ein weltweit erfolgreiches Musikphänomen entstehen kann. Vier junge Finnen lernen sich Mitte der 90er-Jahre an der Sibelius-Akademie in Helsinki kennen. Alles Cellisten, alles Fans der Metalband Metallica. Die Idee, Songs von Metallica mit einem Cello-Quartett zu performen, ist zunächst ein Spaß, dann ein Geheimtipp und später vor allem ein wildes Live-Erlebnis. Sowohl in der Metal- als auch der schwarzen Szene.
2016 – And Also The Trees: "Your Guess"
Auch 2016 glänzte das WGT mit neuen Namen und alten Helden. And Also The Trees gehören eindeutig zu letzteren. Ihre Geschichte ist eng mit der von The Cure verbunden. Ihre Musik vor allem mit ihrer ländlichen, mittelenglischen Heimat. Stilprägend sind sie seit Ende der 80er-Jahre.
2017 – Amanda Palmer: "The Angel Gabriel"
Da gelang den Bookern des WGT mal wieder ein Highlight: Amanda Palmer, die ehemalige Sängerin der Dresden Dolls steht für aufwändige Liveshows. Das Visuelle ist bei der US-Amerikanerin immer mindestens genauso wichtig wie die Musik.
2018 – Teho Teardo & Blixa Bargeld: "Hey Hey My My"
Unglaublich, aber wahr: 2018 erlebten wir das WGT-Debüt von Blixa Bargeld! Dass der Mann weder mit den Neubauten noch als Solist bisher den Weg zum Festival gefunden hatte, lag nicht an Abneigung. Es hatte sich nie ergeben. 2018 dann aber: Zusammen mit dem italienischen Musiker und Komponisten Teho Teardo verfolgt Bargeld seit ein paar Jahren einen weniger experimentell-improvisativen Weg.
2019 – Jonathan Bree: "You're so cool"
Schräge Maskenmenschen bewegen sich wie in 60er-Jahre-Aufnahmen vom Grand Prix de la Chanson: schwarz/weiß, entrückt, stylish. Jonathan Bree ist eigentlich ein Singer-Songwriter aus Neuseeland und enterte das WGT 2019 mit wunderschönem Indie-Dream-Pop und Youtube-Klickzahlen jenseits von Gut und Böse.
2022 – Die Arbeit: "Probleme"
2023 – Lord Of The Lost: "Blood and Glitter"
Volltreffer! Dass beim WGT mal ganz frisch der deutsche Act für den Eurovision Song Contest auf der Bühne steht, war 2023 eine Premiere. Und was für eine! Mögen die altgedienten Haudegen auch vom ESC-Europa mit Nicht-Achtung gestraft worden sein – das WGT-Publikum wusste es besser. Und feierte Lord of the Lost erst recht!
2024 – Miranda Sex Garden: "Sunshine"
Großartiges Comeback! Die Briten hatten Anfang der 90er-Jahre einige Kinnladen zum Runterklappen gebracht. Im Kern drei Sängerinnen mit Violine, die zunächst aus der Welt der Madrigale kamen. Dann nahmen sie eine sägende Gitarre und eine unfassbar treibende Rhythmus-Sektion. So schufen sie einen nie dagewesenen, hypnotischen, rollenden und dank der Stimmen himmlischen Sound.
Redaktionelle Bearbeitung: tsa
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 17. Mai 2024 | 06:30 Uhr