Wave-Gotik-Treffen WGT 2024 in Leipzig: Diese sechs Bands sollten Sie nicht verpassen

Wenn man Tobias Siebert ärgern will, dann fragt man, wann er denn endlich auf Robert Smith zugeht und das langersehnte neue Cure-Album produziert. Siebert, Sänger und erfahrener Produzent, hat mit seiner Band und Alben wie "Desintegration" oder zuletzt "Erregung" etwas ganz Erstaunliches geschafft. Was auf die Schnelle nach bloßer Verneigung vor den britischen Helden klingt, erweist sich bei näherer Betrachtung als konsequenter und vor allem weitergedachter Tribute und schafft so eine bemerkenswerte Eigenständigkeit.

Allein der Titeltrack "Erregung" ist als siebenminütiger Monolith in allen Sound-Facetten The Cure pure. Aber eben auch großartig in Gesang und Text und damit losgelöst vom Vorbild. Siebert will mit dem Sound seiner Band ein Gefühl, die Erinnerung an die eigenen jungen Szene-Jahre bewahren, regelrecht konservieren. Und das gelingt vortrefflich!

Neue Helden braucht die Szene: Mia Morgan ist eine davon! Geboren in Kassel, Jahrgang 94, hat sich Mia Morgan zuletzt mit klugen und kraftvollen Stücken auf die musikalische Landkarte gesetzt. Hatte sie zunächst über Formen wie Prosa oder Fotografie versucht, ihren Weg in die Kunst zu finden, ist es seit circa fünf Jahren die Musik mit dazugehörigen Videos.

2019 erschien mit "Gruftpop" die erste EP, die den Kurs vorgab. 2022 folgte das Debütalbum "Fleisch". In Sound und Attitüde mag einiges seine Wurzeln im NDW haben, ist aber modern, schrill, bunt, laut und in die Fresse! Mia Morgan schafft es, Texten über Selbstzweifel, Ängste oder klischeehafte weibliche Rollenbilder eine bemerkenswerte Wucht und somit Stärke und Größe zu geben.

Fünf Herren, die alle durch die Leipziger Thomanerschule gegangen sind. Seit Mitte der 2000er-Jahre sind Ensemble Nobiles als eigenständiges Quintett unterwegs und stilistisch breit aufgestellt. Fürs WGT gehen die Herren in die Peterskirche und zelebrieren ein todtrauriges Stück des englischen Komponisten und Musikers Benjamin Britten. "Curlew River" erzählt die Geschichte einer Flussquerung und der Mutter auf der Suche nach dem Sohn. Ohne ihr Wissen starb der Sohn und wurde zum Heiligen.

Anke Hachfeld und ihre Band kommen gern und häufig zum WGT. Spätestens mit dem Album "Elfensex" aus dem Jahr 2000 haben sie sich einen festen Platz in den Herzen des eher romantisch eingestellten Teils der Szene erarbeitet. Mila Mar berühren auf besondere Weise. Gesang in eigener, erdachter Sprache. Musik, die mal schwebt, mal tanzt, mal flirrt, mal drückt. Instrumentiert, so dass es hier an Mittelalter-Klänge erinnert und dort an Dead Can Dance. In Mila Mars Musik kann man wunderbar eintauchen und Zeit und Bezug zum Raum verlieren.

Das WGT holt immer wieder besondere Acts exklusiv nach Leipzig. In diesem Jahr unter anderem die Briten Ladytron. Gegründet kurz vor dem Millenium lieferte das Quartett um Sängerin Hellen Marnie und Songwriter Daniel Hunt einen Sound, der sowohl auf die Anfänge der elektronischen Musik verwies, als auch als perfekter Club-Soundtrack zur Stimmung zum Ende des Jahrtausends und den zügellosen Freiheiten der 90er-Jahre passte.

Zu "Seventeen" haben Tausende getanzt (Dank TikTok heute noch), Songs wie "Destroy Everything You Touch" führten erfolgreich rüber ins neue Jahrtausend. Die Band hat Tiefen und Höhen erlebt und ist immer noch aktiv. Wie hieß es 2023 zum bisher letzten Album "Time’s Arrow": "You can’t count on time." Wie wahr!

Mit der Europa-Premiere der US-amerikanischen Prayers passiert beim WGT mal etwas ganz Außergewöhnliches. Killwave oder Cholo-Goth nennen die Herren um Rafael Reyes das. Sieht man sich Videos an, wird schnell klar, was damit gemeint ist. Reyes selbst war Mitglied einer der ältesten Straßengang San Diegos, sagte sich aber nach diversen Verurteilungen los. Die Gang-Ästhetik hat er sich bewahrt. Und so sieht man schwere Jungs ganz selbstverständlich neben Gothic-Girls während Reyes einen Sound zwischen Rap, Elektro und Goth zelebriert. Das Video seiner "West End Girls" Version hat etwas befremdliches und faszinierendes zur gleichen Zeit.