Tanzschülerinnen und -schüler beim Tanztraining
Tanz wird an der Palucca Hochschule in Dresden gelebt. An der Schule versteht man sich als Familie. Bildrechte: Leo Ziems

Zum 100-jährigen Jubiläum Was die Palucca Hochschule in Dresden so besonders macht

23. Januar 2025, 04:00 Uhr

2025 begeht die Palucca Hochschule für Tanz Dresden ihr 100-jähriges Jubiläum. Und das mit einer Fülle von Veranstaltungen, Aufführungen, Kooperationen und Gastspielen. Mit einem Festjahrprogramm, das dem Renommee der Schule angemessen ist und ihr Profil auch mit Blick auf die Zukunft schärfen soll. Doch was für ein Profil ist das eigentlich? Was macht die Palucca Hochschule auch heute noch besonders? Ein Besuch vor Ort.

Wenn sich das große Jubiläumsjahr einer Schule mit dem Geburtstag der Gründerin und Namensgeberin dieser Schule eröffnen lässt, kann man das gern mal als Zeichen nehmen. Gret Palucca (1902-1993) kam an einem 8. Januar zur Welt. Und natürlich machte sich das die Palucca Hochschule für Tanz Dresden zunutze und läutete am 8. Januar 2025 die Feierlichkeiten für ihr 100-jähriges Jubiläum ein. Ganz offiziell, sozusagen.

Die Ausdruckstänzerin und Tanzpädagogin Gret Palucca unterrichtet in ihrer Schule in Dresden (undatiert). 18 min
Bildrechte: picture-alliance / dpa | ADN Zentralbild

Aber eben nicht mit einer offiziellen – sprich: öffentlichen – sondern stattdessen dezidiert schulinternen Feier. Zu der gehörte auch ein Programm mit tänzerischen Darbietungen von Schülerinnen und Schülern verschiedenster Altersstufen. Vielleicht markiert allein schon der Umstand, dass selbst Eltern und Familienmitglieder der jungen Tänzerinnen und Tänzer an diesem Tag nicht mit im Publikum saßen, eine Spezifik dieser Schule. Eine Form von Autonomie und Selbstbesinnung, die indes nicht mit Abgrenzung oder gar Abschottung verwechselt werden sollte.

Empathie, Hierarchie, Augenhöhe

Was sich auch darin zeigt, dass man als Journalist bei diesem Start ins Jubiläumsjahr dabei sein darf. Und sich zudem Rektorin Katharina Christl gemeinsam mit Leo Ziems, zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die Zeit nehmen für ein Gespräch samt kleiner Führung durchs Haus. Das einen erst einmal sehr schultypisch mit diesem irgendwie unvermeidlichen Duft von Mensa-Essen in der Luft und viel Geplapper und Gewusel in den Gängen empfängt. Ganz normal, wie an anderen Schulen auch.

Dass man sich an einem doch etwas spezielleren Ort befindet, lässt vorerst nur eine Porträtmaske Gret Paluccas ahnen. Eine schöne Bronzearbeit, 1926 vom Bildhauer Georg Kolbe (1877-1947) gefertigt und im Foyer des Hauses auf einem Steinsockel thronend, zu dessen Füßen ein frischer Blumenstrauß liegt. Kleiner Geburtstagsgruß an die Palucca, eine der wichtigsten Wegbereiterinnen des modernen Ausdruckstanzes – und bis heute geistige Impulsgeberin in dieser von ihr gegründeten Schule.

Eine Frau mit blonden Haaren auf einem Weg zwischen Dünen 8 min
Choreografin Katharina Christl wird neue Rektorin der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden und weilt gerade zur Tanzwoche der Hochschule auf Hiddensee. Bildrechte: Till Fiedler
8 min

Katharina Christl wird neue Rektorin der Palucca Hochschule in Dresden. Mit Carsten Tesch hat sie über ihren Werdegang und ihre Anliegen für die moderne Tanzausbildung gesprochen.

MDR KULTUR - Das Radio Di 25.06.2024 06:00Uhr 07:51 min

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

An der studierte auch Katharina Christl von 1990 bis 1996 Modernen Tanz. Gret Palucca hat sie damals noch erlebt. Knapp drei Jahrzehnte später, im August 2024, tritt Christl die Stelle als Rektorin an. Und lässt wissen, dass ihr, auch vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen, in ihrer Arbeit vor allem immer eins am Herzen liegen werde: Die Empathie mit den Tänzerinnen und Tänzern. Dass Kommunikation weniger in vertikalen Hierarchien stattfinden müsse, dass das auch anders, auf Augenhöhe gehe – daran glaube sie fest.

Palucca Hochschule: Ein Laboratorium für die Zukunft des Tanzes

Die Palucca Hochschule ist Deutschlands einzige eigenständige Hochschule für Tanz, Tanzpädagogik und Choreografie. Darüber hinaus ermöglicht eine integrierte Oberschule schon ab der fünften Klasse den potenziellen Tanznachwuchs entsprechend gezielt und kontinuierlich zu fördern.

Die Palucca-Ausbildung insgesamt basiert dabei auf drei künstlerischen Hauptsäulen: Improvisation, Zeitgenössischer Tanz und Klassischer Tanz. Eine Hierarchie zwischen diesen Ausdrucksformen gibt es nicht, vielmehr existieren sie hier als gleichwertige Trias. Auf Augenhöhe. Was seitens der Schule durchaus zu Recht als Alleinstellungsmerkmal apostrophiert wird und mit einem Selbstverständnis einhergeht, ob dem man sich selbstbewusst nicht nur als Ort der Ausbildung und Lehre, sondern auch explizit als "Laboratorium für die Zukunft des Tanzes" versteht.

Studierende aus 30 Nationen in Dresden

Jung sind die, die an der Palucca für diese Zukunft fit gemacht werden. Jung und international. Die Hochschule verweist auf Studierende aus 30 Nationen. Und auf einen Bachelor-Altersdurchschnitt der bei 19 bis 20 Jahren liegt. Doch sind da auch noch die Oberschüler. Die Kids, die Tanznovizen, die vor allen an diesem 8. Januar das Schulhaus bevölkern in Erwartung des bevorstehenden Festes mit Tanzdarbietungen und großem anschließenden Picknick-Buffet.

Und sieht man diese Gerade-noch-Kinder und Teenager, stellt sich einem durchaus die Frage, wie die mit den fraglos hohen Anforderungen klarkommen, die an einer solchen Schule allein schon ob der Tatsache herrschen, dass pro Woche zwölf Stunden Tanzunterricht auf dem Programm stehen. Neben dem regulären Unterricht, versteht sich. "Das muss man sich klar machen, das ist wirklich fordernd", räumt Leo Ziems unumwunden ein: "Das ist wie Leistungssport, das steht dem in nichts nach." "Für die Jüngeren", setzt Christl hinzu, "ist das schon ein Prozess, die Antwort auf die Frage zu suchen und zu finden: Ist das wirklich was für mich? Will und kann ich das?"

Tanzschülerinnen und -schüler beim Tanztraining
"Die Bewahrung des Individuellen" soll bei der Tanzausbildung an der Palucca Schule in Dresden nie aus dem Blick geraten. Bildrechte: Leo Ziems

Doch meint das mitnichten nur Aspekte der Kondition. Fragt dieses "Ist das was für mich?" doch auch nach dem künstlerischen Potenzial; nach der innewohnenden kreativen Sensibilität, die es ermöglicht, den eigenen Körper als Ausdrucksmittel zu begreifen und nutzbar zu machen. Rektorin Christl spricht von der "körperlichen Vorstellungskraft, der Gabe zur Improvisation" und insistiert darauf, dass bei allen notwendig tanztechnisch hohen Ansprüchen, die die Ausbildung an der Palucca Schule einfordere, "die Bewahrung des Individuellen" nie aus dem Blick geraten darf. Spontanität und Impuls kreativ nutzbar zu machen, heiße "frei mit eigenen Ideen im unmittelbaren Moment umzugehen." Ein Anliegen ganz in der Tradition Gret Paluccas.

Palucca-Familie: Zusammenhalt über die Studienzeit hinaus

Doch gibt es da offenbar noch etwas anderes; etwas, das jenseits tanzpädagogischer Konzeptionen an dieser Schule wirkt. Etwas eher Atmosphärisches, das für den Außenstehenden nur vage spürbar ist. Etwas, was Ziems dann prompt als "Palucca-Familie" bezeichnet. Es ist eine Form des inneren Zusammenhalts oder einer Verbundenheit, die oftmals weit über die Studienzeit hinausreiche. Es falle schon auf: Wer einmal hier ist und sich die "Ist das was für mich?"-Frage mit Ja beantwortet habe, der, so Ziems, bleibe gern.

Tanzschülerinnen und -schüler beim Tanztraining an der Stange
Zwölf Stunden Tanzunterricht stehen jede Woche für die Schüler*innen und Studierenden auf dem Programm - zusätzlich zum normalen Unterricht. Bildrechte: Leo Ziems

Und kommt gegebenenfalls wieder. Wie auch der Werdegang Katharina Christls zeigt. Nach ihrem Studium war sie international als Tänzerin, Choreografin und Tanzpädagogin erfolgreich, arbeitete mit Größen wie Lucinda Childs, Emanuel Gat oder Frédéric Flammand und kehrte gleichwohl 2015 nach Dresden an die Palucca zurück, wo sie – bis zu ihrer Berufung als Rektorin – den Masterstudiengang Choreografie leitete. "An dem Familien-Gedanken ist etwas dran", pflichtet Christl nach einem Moment des Überlegens bei. Und fügt hinzu:

Wobei aber klar sein muss, dass Familie auch Konflikte einschließt. Das ist unvermeidlich und wichtig. Denn ob Familie oder Tanz – beides ist immer auch Arbeit, vor allem Arbeit an sich selbst. Für uns als Schule heißt das, immer zu fragen: Wie kann man hier die Dinge weiterentwickeln, verbessern?

Katharina Christl, Rektorin

Der tänzerische Ausdruck der eigenen Individualität im Fokus

Die Rektorin selbst sieht in der undogmatischen Betrachtung und Handhabung verschiedener Tanztechniken und Formen eine gute und verlässliche Basis für Innovationen. Man dürfe sich nicht einengen lassen, nicht zu sehr auf nur eine Sache fixieren. "Was wir als Lehrende tun müssen, ist den Schülern und Studierenden immer wieder Wege, neue Möglichkeiten zu eröffnen. Ihnen diese Möglichkeiten für etwas Eigenes, qualitativ Hochwertiges an die Hand zu geben und ihnen so zu dem zu verhelfen, was als tänzerischer Ausdruck ihrer jeweiligen Individualität gemäß ist, darum geht es. Und ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster und sage: Darin sind wir ziemlich einzigartig", so Christl.

Mehrere Personen bei einer Tanzaufführung in rot-blauen Outfits.
Mit einem Showprogramm ist die Palucca Hochschule in ihr Festjahr gestartet. Bildrechte: Ida Zenna

Etwas über eine Stunde geht das Showprogramm zum Start ins Jubiläumsjahr. Exklusiv für die Lehrerschaft und Förderer. Mit klassenübergreifendem, improvisiertem Tanz. Von den Schülern für die Schüler. Und selbstverständlich tanzen irgendwann auch Christl und die zwei Professorinnen mit, unter deren Ägide der Improvisationsreigen entstand. Dass Buffet im Anschluss dann ist tatsächlich üppig. Tänzerische Askese? Fehlanzeige. Nicht heute. Das Essen beigesteuert haben übrigens die Schülerinnen und Schüler, respektive deren Eltern, auch wenn die dieses Mal nichts davon haben. Ist halt auch so ein Familiending. Und ein guter Start ins Jubiläumsjahr sowieso.

Redaktionelle Bearbeitung: Cornelia Winkler

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 06. Januar 2025 | 20:00 Uhr

Mehr MDR KULTUR