Zwei junge Männer (Don Pablo Mulemba Hendrik Bolz) in schwarzer Kleidung, vor einem Plattenbau.
Don Pablo Mulemba (li) und Hendrik Bolz (re) sind die Hosts des Podcasts "Springerstiefel" über rechte Gewalt im Osten. Die erste und zweite Staffel sind in der ARD Audiothek verfügbar. Bildrechte: MDR/Moise Youmba

Interview zum Podcast "Springerstiefel" Don Pablo Mulemba: "Viele Probleme mit rechter Gewalt hätten vermieden werden können"

10. August 2024, 04:00 Uhr

Ostdeutschland ist die Heimat von Journalist, Podcaster und Reporter Don Pablo Mulemba. Er stammt aus Eberswalde und lebt mittlerweile in Berlin. Gemeinsam mit dem Autor und Rapper Hendrik Bolz moderiert er den Podcast "Springerstiefel". Sie gehen dorthin, wo rechte Gewalt und Neonazis immer gefährlicher werden. Die neue zweite Staffel des Podcasts führt die beiden nach Zittau, Cottbus und Chemnitz und untersucht, warum rechtes Gedankengut hier noch immer so präsent und die AfD so erfolgreich ist. Dazu sprechen sie mit Protagonistinnen und Protagonisten, die ihnen intime Einblicke in ihr Leben gewähren. Im Interview erzählt Don Pablo Mulemba, was ihn im Prozess der Recherche und der Aufnahmen frustriert, aber auch inspiriert hat.

MDR KULTUR: Welche Reaktionen haben Sie auf die erste Staffel des Podcasts "Springerstiefel" bekommen, welche Gespräche haben sich angeschlossen? 

Don Pablo Mulemba: Das Feedback zur ersten Staffel war super. Wir waren richtig überwältigt davon. Viele Menschen haben sich bei uns gemeldet, die von rechter Gewalt betroffen sind. Das hat uns gezeigt, dass wir einen Nerv getroffen haben.

Was war die Motivation für die zweite Staffel?

Der Titel der neuen Staffel lautet "Die 90er sind zurück". Phänomene aus dieser Zeit sind wieder da. Es gibt eine ähnliche gesellschaftliche Gemengelage, eine große Unsicherheit und ein Gefühl von Perspektivlosigkeit. Wir leben in einem Krisen-Dauerzustand: Corona, Lockdowns, Krieg. Das hat eine Menge mit den Menschen gemacht, vor allem mit der Jugend. Und die Jugend wurde in dieser Zeit im Stich gelassen.

Dort, wo sich der Staat während der Corona-Pandemie zurückgezogen hat und dort, wo sich öffentliche Institutionen zurückgezogen haben, dort haben sich Rechte den Raum genommen. Die jüngsten Schlagzeilen der letzten Monate haben gezeigt, dass es ein Erstarken von rechtsextremen Netzwerken in großen Teilen Ostdeutschlands gibt.

Die erste Staffel war sehr persönlich, die Hörerinnen und Hörer haben Ihre Eltern und Orte Ihrer Kindheit kennenlernen dürfen. Ihr Vater war Vertragsarbeiter aus Angola in Eberswalde. Wie ist es in dieser Staffel: Um wen geht es, wem begegnen wir in Staffel 2? Und wohin führen Sie uns?

Wir haben verschiedene Protagonistinnen und Protagonisten getroffen. In Chemnitz, Zittau und in Cottbus. Tatsächlich ist die zweite Staffel weniger persönlich für uns Hosts, dafür erzählen uns unsere Protagonist*innen sehr eindrückliche und intime Geschichten.

Wir haben zum Beispiel Ahmed getroffen. Er ist 2013 von Tunesien erst nach Dortmund und danach nach Chemnitz gezogen. Seit er dort lebt, will er Chemnitz zu einem besseren Ort machen. Und seit seiner Ankunft ist er extremer rechter Gewalt ausgesetzt. Das sind Aspekte und Perspektiven, die wir so in der ersten Staffel von "Springerstiefel" noch nicht gehört haben.

Wie lange haben Sie an der zweiten Staffel gearbeitet?

Wir haben nach dem Release der ersten Staffel, also Ende letzten Jahres, gemerkt, dass da noch deutlich mehr ist, was wir erzählen müssen. Anfang dieses Jahres haben wir dann mit der Recherche begonnen.

In der ersten Folge sagen Sie, der Claim "Die 90er sind zurück" stört Sie, lässt bei Ihnen auf einer anderen Ebene Unbehagen aufkommen. Warum?

Wenn man sagt "die 90er sind zurück", dann schwingt da mit, dass es nach den 90er-Jahren besser wurde. Zwar gingen die eskalierende Gewalt auf offener Straße und Morde an Unschuldigen zurück, aber das heißt nicht, dass Betroffene von rechter Gewalt unter menschenwürdigen Bedingungen gelebt haben. Nur weil ich auf der Straße nicht um mein Leben fürchten muss, heißt das noch lange nicht, dass ich keine Anfeindungen erlebe, beleidigt oder verfolgt werde.

Ich glaube, in den 90er-Jahren, als es ein Eskalationsmomentum gab, war eine große mediale Aufmerksamkeit für das Thema vorhanden. Und dann ist das in Vergessenheit geraten. Dann hat niemand mehr nachgefragt, wie es den Menschen, die davon betroffen waren, erging.

Was hat Sie am meisten bei der Arbeit oder vor Ort beeindruckt, was hat Sie noch lange begleitet, frustriert oder berührt? 

Frustriert hat mich, dass viele Probleme, die wir heute mit rechter Gewalt im Osten haben, vermieden hätten werden können.

In der ersten Staffel haben meine Eltern über das erzählt, was sie in den 90er-Jahren in Eberswalde erlebt haben. Frustriert hat mich in der zweiten Staffel, dass die Geschichte von Ahmed quasi eine ganz ähnliche ist. Und zwar in dem Sinne, dass die Gewalt nicht nachgelassen hat.

Ich frage mich: Was ist in der Zwischenzeit passiert? Wie kann es sein, dass 30 Jahre später immer noch Betroffene die Aufklärungsarbeit leisten müssen? Während die Täter von damals in der Zwischenzeit ihre Springerstiefel an den Nagel gehängt und teilweise sogar dafür gesorgt haben, dass die rechten Strukturen im Osten wieder so erstarkt sind.

Und was fanden Sie positiv?

Sehr, sehr, sehr positiv im ganzen Prozess der Arbeit war für mich zu sehen, wie viele Menschen sich im Osten gegen Rechts engagieren und dabei für die Rechte von allen Menschen eintreten. Sie machen sich damit teilweise selbst zum Ziel von Neonazis. Diese Zuversicht und Hoffnung auf ein besseres Leben für alle Menschen im Osten, die unsere Protagonistinnen und Protagonisten haben, das war sehr inspirierend.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 06. August 2024 | 10:00 Uhr

Mehr MDR KULTUR