Lesezeit | 21.10. bis 15.11. 2024 Knut Hamsun: Mysterien
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21. Oktober 2024, 04:00 Uhr
"Mysterien" – Der Romantitel ist Programm
Eines Tages kommt ein Sonderling in eine kleine Hafenstadt. Bekleidet mit einem kanariengelben Anzug und ausgestattet mit einem Geigenkasten, in dem sich schmutzige Wäsche befindet. Der Fremde mit rätselhafter Vergangenheit schickt sich selbst Telegramme und nennt sich "Ausländer des Daseins". Er macht zwei Frauen den Hof, ist mal charmant, mal schroff. Die Einheimischen sind verblüfft: Ist der Fremde ein Ermittler, ein Verführer, Künstler oder gar Hochstapler? Als der Sonderling beginnt, die Provinz mit Regelverstößen aufzumischen, zieht er den Hass auf sich.
Der Titel des Buches ist Programm: Nichts wird erklärt, bis zum Schluss weiß niemand, wer dieser Mann ist, woher er kommt, und was er will. Somit wird er zur idealen Projektionsfläche für alle und alles.
Lieblingsbuch von Roger Willemsen
"Mysterien" war eines der Lieblingsbücher des Publizisten Roger Willemsen (1955 bis 2016), er nannte es (auf der Plattform Youtube) einen "perfekten Roman". Johann Nilsen Nagel ist für ihn ein postmoderner Held, einer, der jeden Standpunkt einnehmen kann, der sich seinem Leben gegenüber ironisch verhält, und bei dem offenbar nur die Liebe echt ist, die unerfüllte in diesem Fall.
Durch den inneren Monolog, den Hamsun in "Mysterien" verwendet, wurde er Vorbild für viele Autoren, wie zum Beispiel Robert Musil. Dank der Monologe könne Hamsun aus den Zwischenräumen erzählen. Er gibt den Leserinnen und Lesern die Möglichkeit, Deutungsansprüche mit dem Buch zu verbinden. Insofern sei es ein Buch, das fruchtbar macht: Und alle guten Bücher machen fruchtbar, so Willemsen.
Über den Literaturnobelpreisträger Knut Hamsun
Knut Hamsun wird am 4. August 1859 als Knud Pedersen geboren. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, musste mit neun Jahren zu seinem Onkel ziehen und für diesen arbeiten, da die Familie bei ihm verschuldet war. Mit 16 Jahren begab er sich auf Wanderschaft durch Norwegen, arbeitete als Hafenarbeiter oder Gemeindeschreiber. Mit 23 Jahren wanderte er nach Amerika aus, kehrte einige Jahre später wegen einer schweren Lungenentzündung zurück nach Norwegen. Später lebte er auch in Paris unter den Bohemiens und reiste viel durch Europa. Seine erste Ehe hielt ein halbes Jahr, danach heiratete er die 22 Jahre jüngere Marie Andersen, die Kinderbücher schrieb. Das Paar bekam vier Kinder.
Mit seinem ersten 1890 erschienenen Roman "Hunger" gelang Hamsun der literarische Durchbruch. Darin beschreibt er auch das prekäre, harte Leben seiner Jugend. Schriftsteller wie Thomas Mann, Marcel Proust, Ernest Hemingway oder James Joyce wurden von Hamsuns Erstlingswerk beeinflusst. 1892 erschien "Mysterien": Die zeitgenössische Kritik reagierte verstört, später verglich man den Roman mit den späteren Werken Franz Kafkas. Weitere weltberühmte Romane sind zum Beispiel "Pan" oder "Segen der Erde". 1920 wurde Hamsun mit dem Literaturnobelpreis geehrt – er zählt zu den größten, aber auch widersprüchlichsten Schriftsteller der klassischen modernen Literatur.
Hamsun und der Nationalsozialismus
Im hohen Alter sympathisierte Hamsun mit der faschistischen Ideologie, sprach sich öffentlich für den Nationalsozialismus aus. Er traf Hitler, besuchte Joseph Goebbels, schenkte diesem seine Nobelpreis-Medaille. Noch im Mai 1945 schrieb er einen Nachruf auf Hitler. 1947 wurde ihm der Prozess wegen Kollaboration gemacht. Aufgrund seines Alters kam er nicht in Haft und wurde stattdessen in einer psychiatrischen Klinik untersucht und zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Doch in seiner Verteidigungsschrift und in seinem letzten Buch ("Auf überwachsenen Pfaden", 1949 erschienen) bewies Hamsun, dass er keineswegs unzurechnungsfähig war. Erst nach seinem 90. Geburtstag litt seine körperliche und geistige Verfasstheit zunehmend. Er starb 1952 mit 92 Jahren.
Über Walter Hilsbecher
Walter Hilsbecher (1917 bis 2015) war Schriftsteller, Lyriker und Hörfunksprecher. Er war Gründungsmitglied der "Gruppe 47" und spielte eine wichtige Rolle bei den ersten Lesungen von Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Nachdem deren Gedichte zunächst von der Gruppe aus unterschiedlichen Gründen abgelehnt wurden, las er diese noch einmal "verständlicher" vor. Neben zahlreichen veröffentlichten Essays und Gedichten wurde Hilsbecher vor allem durch seine Arbeit im Kulturprogramm westdeutscher Rundfunkanstalten bekannt.
Angaben zur Sendung
MDR KULTUR Lesezeit
21.10. - 15.11. 2024
Mysterien
Von Knut Hamsun
Es liest: Walter Hilsbecher
In der Übersetzung von J. Sandmeier
(19 Folgen)
Produktion: SWF 1984
Sendung im Radio: 21.10. - 15.11. 2024 | Montag bis Freitag 9:05 Uhr und in der Wiederholung: Montag bis Freitag 19:05 Uhr
Die Lesung steht hier bis zum 21. April 2025 zum Hören bereit.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Lesezeit | 21. Oktober 2024 | 09:05 Uhr