In der ARD Audiothek Podcast über queere Verbrechen: "Queer Crimes"
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04. Dezember 2023, 11:19 Uhr
Warum werden queere Personen so häufig Opfer von Hassverbrechen? Wie werden queere Menschen zu kriminellen Täter*innen? Und wie werden Kriminalfälle diskutiert, sobald queere Personen involviert sind? Diesen und ähnlichen Fragen widmet sich der True Crime Podcast des MDR. "Queer Crimes" befasst sich mit Verbrechen in der queeren Community und präsentiert Kriminalfälle, in die LGBTQIA+ Personen verwickelt sind. Im Interview erzählen die Hosts Irina Schlauch, Juristin und erste "Princess Charming", und Journalist Marvin Standke, wieso der Podcast aus queerer Perpektive so wichtig ist und was die Hörer*innen in der ersten Staffel erwartet.
MDR KULTUR: Was genau ist die Idee hinter "Queer Crimes" – auch im Gegensatz zu anderen True Crime Formaten?
Marvin Standke: Wir sind nicht nur ein True Crime Podcast, sondern auf eine Art und Weise auch ein gesellschaftspolitischer Podcast. Natürlich spielen Kriminalfälle bei uns eine Rolle, aber sie sind eben nur Aufhänger, um gewisse gesellschaftliche Themen, eben Themen aus queeren Lebenskontexten zu vertiefen.
Welche Fälle haben Sie ausgesucht?
Marvin Standke: In der ersten Staffel gibt es sieben Folgen mit Kriminalfällen, die uns zu Themen bringen, über die in der Öffentlichkeit immer noch zu wenig gesprochen wird. Wir reden zum Beispiel bei unserer Moshammer-Folge über migrantische Sexarbeit in Großstädten. In unserer allerersten Folge geht es um einen schwulen Mörder, der in einem Darkroom eine Person vergiftet. Und das ist für uns ein guter Moment, um darüber nachzudenken: Warum gibt es Darkrooms? Wie funktionieren sie und welche Bedeutung haben sie in der queeren Kultur? Es wird nichts tabuisiert.
Ihnen ist wichtig darzustellen, was nach einem Verbrechen passiert. Was hat Sie in dieser Hinsicht bei der Recherche für die einzelnen Fälle am meisten überrascht ?
Irina Schlauch: Wirklich überrascht hat mich, wie die Medien in ihrer Berichterstattung teilweise mit diesen Verbrechen umgegangen sind. Ich hoffe, dass das heute in dieser Art nicht mehr passiert, aber vor 20, 30 Jahren war das Ganze sehr reißerisch.
Damals war Homosexualität für manche eine Erklärung dafür, dass Menschen töten, also es wurde behauptet, dass queere Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung töten. Da sage ich dann auch immer gerne: Queere Menschen sind Menschen und auch die können töten. Andererseits beschäftigen wir uns auch mit Verbrechen, bei denen queere Menschen Opfer wurden – Opfer von Hassverbrechen.
Sie schauen auch sehr genau auf die Sprache, die verwendet wird, um über die Verbrechen zu sprechen. Der Podcast dient also auch als Sensibilisierung?
Irina Schlauch: Genau. Gerade die Berichterstattungen in den Medien klingen manchmal einfach sehr reißerisch. Da wird aus einem queeren Club dann schnell mal das 'homosexuelle Milieu'. Und da schwingen dann auch schon so negative Bewertungen mit und die Leute können sich oftmals gar nicht vorstellen, was damit gemeint ist. Da versuchen wir auch ein bisschen aufzuklären.
Marvin Standke: Oftmals hat es ja auch mit Unwissenheit zu tun. Ganz viele Menschen haben nun mal keinen Kontakt zu queeren Lebensformen, Lebensräumen und Menschen. Und da setzen wir an und sagen, es gibt eine Menge sichtbar zu machen. Und ich bin sehr dankbar, dass wir das jetzt machen können in der ersten Staffel.
Infos zu den Episoden von "Queer Crimes"
Die Episoden der ersten Staffel:
1. Der Darkroom Mörder (ab 25. April)
Die erste Folge führt in den Darkroom einer Berliner Schwulenbar im beliebten Partybezirk Friedrichshain. An einem frühen Morgen Anfang Mai 2012 entdeckt das Reinigungspersonal eine Leiche: Einen 32-jährigen Mann. Stranguliert und vergiftet. Erst Wochen später wird klar: Er ist nur eines von mehreren Opfern. Der Täter: Ein Serienmörder. Diese Episode erklärt, wie Liquid Ecstasy als beliebte Partydroge des Berliner Nachtlebens zu einer Mordwaffe wird und welche Herkunft und Bedeutung Darkrooms, vor allem in der schwulen Kultur, haben. Außerdem geht es um die Berliner Boulevardmedien, die mit ihrer Berichterstattung eine ganze queere Szene wochenlang in Atem halten, bis der Täter schließlich beinahe zufällig ausfindig gemacht wird.
2. Die lesbische Mord GmbH (ab 25. April)
Marion Ihns lebt in Schleswig-Holstein in einer scheinbar glücklichen Ehe mit einem Mann. Erst später erfahren wird, dass Marion in ihrer Ehe Opfer von Misshandlung und Missbrauch wird, wie sich Marion in eine Frau verliebt und unfreiwillig mit ihrer Geliebten und Partnerin Judy zu einer der berühmtesten lesbischen Frauen Deutschlands wird. Beide werden für einen Mord, den sie in Auftrag geben, mit ungewöhnlich hohem Strafmaß im Jahr 1974 verurteilt. Ihr damit verbundenes Zwangs-Outing wird zu einer bundesdeutschen Hexenjagd sowie Kampagne der Boulevardmedien gegen alle lesbische Frauen und aktiviert diverse feministische Initiativen, die gegen die misogyne Berichterstattung und den skandalösen Schauprozess vorgehen. Die Folge ordnet den Fall ein und hinterfragt die öffentliche Wahrnehmung von FLINTA* in der heutigen Zeit.
3. Hass gegen Trans – Mord an Mercedes W. (ab 9. Mai)
Die 17-jährige Mercedes Williamson hütet ein Geheimnis, das sie ihr Leben kosten wird. Als sie ihren Freund Joshua kennen und lieben lernt, kommt es bei ersten Intimitäten in einem Auto zur Offenbarung. Auch Joshua verheimlicht nun, dass seine Freundin einst als Junge auf die Welt kam, heute aber als Frau lebt. Schließlich erschlägt Joshua seine Freundin brutal in einem Wald mit einem Hammer. "Es war falsch, dass sie als Frau lebte, obwohl Gott sie als Mann zur Welt brachte", soll das 29-jährige Gangmitglied vor Gericht gesagt haben, das zudem eine Offenbarung des Gehmnisses in Gang-Kreisen befürchtete. Das Urteil ist historisch: Es ist die erste Verurteilung in der US-Geschichte wegen Hassverbrechen an einer Transgender-Person. Joshua sitzt lebenslänglich und muss eine Geldbuße in Höhe von 250.000 US-Dollar zahlen.
4. Der Moshammer Mord (ab 23. Mai)
Er wurde zur tragischen Figur einer Welt, die nichts über sein Liebesleben wusste oder wissen wollte. Am frühen Morgen des 14. Januar 2005 wird Rudolph Moshammer von seinem Fahrer in seinem Haus gefunden, erdrosselt mit einem Stromkabel. Schnell wird klar: Der Mörder war ein Sexarbeiter aus dem Münchner Bahnhofsviertel. Noch heute bestätigen Prominente aus seinem Umfeld, sie wollten nichts wissen über seine "Neigungen", denn schließlich sei Sexualität privat. Warum genau diese Haltung zu Stigmata und einem geheimen Parallel-Leben führt, warum migrantische Sexarbeit in Großstädten sichtbar gemacht werden muss und Rudolph Moshammer ungewollt zu einem der berühmtesten Drag-Persönlichkeiten seiner Zeit wird, will diese Folge klären.
5. Der schwule Serienkiller Jeffrey Dahmer (ab 6. Juni)
Ein junger schwuler Mann lernt beim Trampen einen Autofahrer kennen. Sie flirten miteinander und er lässt sich von ihm nach Hause einladen. Sein Fahrer wird zum Mörder, vergeht sich an der Leiche und zerstückelt sie. Er wird nicht das einzige Opfer bleiben, das sich der Mörder u.a. auch in Schwulenbars und einer Schwulensauna in Milwaukee sucht. Die Folge beleuchtet die Tathergänge sowie das Leben des Täters und stellt die Frage, wie er 44 Jahre später zum gehypten Monster werden konnte. Netflix feierte mit der Serie über sein Leben im Herbst 2022 historische Erfolge, Ebay beginnt, Konten zu löschen, auf denen User "Jeffrey Dahmer Kostüme" zu Halloween anbieten. Wir sprechen über den Hype, die Retraumisierung der Angehörigen der Opfer, Dahmers Vater, der Netflix verklagt und fragen, warum True Crime Erzählungen viel zu oft Täter in den Fokus rücken, Opfer aber zu selten nebensächlich betrachten.
6. Schwuler Mord in der Provinz (ab 20. Juni)
Tatort Provinz. Bergbau, Klöppelhandwerk und eine malerische Innenstadt, die sich um die friedlich plätschernde Zwickauer Mulde herumdrapiert, können nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass in Aue vor einigen Jahren eines der schrecklichsten homophoben Verbrechen stattfand. Christopher W. war bekannt in der Stadt. Er liebt Schlager, tanzen, er lebt offen schwul und gerät an falsche Freunde. Ein lieber, aber armer Kerl soll er gewesen sein, die Schicksale seiner Familie hat er nie ganz verarbeitet. Noch heute beschäftigt die Kleinstadt das schreckliche Verbrechen, vor allem auf Social Media. Die Täter werden schnell dingfest gemacht, das Urteil jedoch verpasst es völlig, einen rechtsradikalen sowie homophoben Hintergrund zu sehen. Fehlen für diesen speziellen Fall, sensibilisierte Gutachter*innen, die die Behörden für diese Art von Verbrechen hätten sensibilisieren können? Diese Folge sucht Antworten.
7. Die lesbische Vampirmörderin (ab 4. Juli)
Brisbane, Australien, im Oktober 1989: Die 26-jährige Tracey Wigginton verbündet sich mit ihrer Liebhaberin Lusa Ptaschinski und einem anderen lesbischen Paar. Sie locken den betrunkenen Edward Barlock mit der Aussicht auf Sex in ihr Auto, stattdessen findet der 47-Jährige den Tod. Der brutale Mord mit 27 Messerstichen gerät bald mit bizarren Details an die Öffentlichkeit: Wigginton trank Blut des Opfers. Doch wie waren die anderen drei Frauen in die Tat involviert? Die Boulevardpresse nennt sie seinerzeit nur "Die lesbische Vampirmörderin von Australien", damit wird sie unfreiwillig zur berühmtesten lesbischen Frau Australiens und macht 2012 erneut Schlagzeilen, als sie aus der Haft entlassen wird.
Infos zu den Hosts
Irina Schlauch, geboren 1991, bewertet die Fälle mit juristischem Fachwissen. Sie war die erste deutsche "Princess Charming" in einer lesbischen Dating-Show und arbeitet als Autorin sowie Podcasterin. Irina Schlauch lebt in Köln.
Marvin Standke, geboren 1984, begleitet die Recherche der Fälle und bereitet sie für das Gespräch mit Irina auf. Er arbeitet als Formatentwickler, Audio- und Radiomoderator für den MDR, ist Journalist sowie Podcaster. Marvin Standke lebt in Berlin.
Das Interview führte MDR KULTUR-Moderatorin Beatrice Schwartner. Redaktionelle Bearbeitung: Lilly Günthner
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 25. April 2023 | 16:10 Uhr