
Klassiker Goethes "Faust": Zehn Fakten zum berühmt-berüchtigten Stück
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17. April 2025, 04:00 Uhr
In "Faust" geht Doktor Heinrich Faust einen Pakt mit dem Teufel ein. In 12.111 Verszeilen erzählt der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe, wie der Wissenschaftler alles versucht, um den perfekten Moment zu erleben. Während der erste Teil eine tragische Liebesgeschichte erzählt, überschreitet der zweite Teil die Grenzen von Raum und Zeit. Seit dem 19. Jahrhundert hat das Stück nichts an Aktualität eingebüßt – und das nicht nur, weil es in der Schule und im Abitur immer noch wichtiger Stoff ist. In Weimar ist "Faust" sogar eine Ausstellung gewidmet. Zehn wissenswerte Fakten zum Werk:
1. Das Werk eines ganzen Lebens
Wahrscheinlich hat der junge Johann Wolfgang schon als Kind das Puppentheaterstück vom Doktor Faust gesehen. Er hat früh begonnen, sich mit dem Stoff zu beschäftigen, der ihn bis zu seinem Lebensende nicht mehr loslassen würde.
In den 1770er-Jahren begann er, konkret an einem "Faust"-Drama zu schreiben und brachte erste Entwürfe mit nach Weimar, wohin ihn die Herzogin Anna Amalia eingeladen hatte. Den damaligen Text veröffentlichte er jedoch nicht. Vieles von dieser Fassung wissen wir heute, weil das Hoffräulein Luise von Göchhausen, sozusagen ein Goethe-Groupie, mitgeschrieben hatte.
1790 veröffentlichte Goethe seinen ersten "Faust" als "Fragment". Er überlegte schon, das Vorhaben aufzugeben – doch auch weil sein Freund Schiller ihn ermunterte, arbeitete er weiter. Goethe beschloss um die Jahrhundertwende, einen Zweiteiler daraus zu machen und veröffentlichte 1808 schließlich den ersten Teil.
Dann arbeitete er weiter. Dabei schrieb er nicht chronologisch, sondern arbeitete mal an dem einen Thema, mal an einer anderen Szene. Nach insgesamt 60 Jahren brachte er alles zusammen und zu einem Abschluss. Der zweite Teil des "Faust" erschien 1832, einige Monate nach Goethes Tod. Die umfangreichen Notizen und Notate sind erhalten geblieben und gehören zum UNESCO-Weltdokumentenerbe.
"Faust" in Kürze (Handlung zum Ausklappen)
Teil 1:
Gott und der Teufel Mephistofeles schließen eine Wette ab, ob der Teufel den Wissenschaftler Faust für sich gewinnen kann. Der Gelehrte hadert mit seinen Forschungen und schließt einen Pakt mit Mephisto: Er geht in die Hölle, wenn er einen Moment höchsten Glücks erlebt. Faust, mit Hilfe von Magie wieder ein junger Mann, begegnet dem Mädchen Margarete. Dank einiger Tricks wird er Teil ihres Lebens. Die beiden verlieben sich und er schläft mit ihr. Während er dann mit Mephisto an der Walpurgisnacht auf dem Brocken teilnimmt, bricht Gretchens Leben in sich zusammen: Für ihre Nacht mit Faust hat sie ihrer Mutter Schlafmittel verabreicht, die daran stirbt. Nach einem Kampf mit Faust, ist auch ihr Bruder tot. Und dann ertränkt Gretchen ihr uneheliches Kind. Dem Wahnsinn nah, will sie sich nicht von Faust befreien lassen. Gott jedoch gewährt ihr Eintritt in den Himmel.
Teil 2:
Mephisto schleicht sich in den Kaiserpalast und hilft dem Reich aus der Finanzkrise: Der Palast soll Schuldscheine ausgeben, die durch ungehobene Bodenschätze gedeckt sind – quasi das erste Papiergeld. Dank seiner Stellung lädt er Faust als Hofmagier ein. Gemeinsam beschwören sie schließlich die schönste Frau der Antike, Helena von Troja. Doch als Faust sie greifen will, verliert er das Bewusstsein. Sie kehren an die Universität zurück, wo Fausts alter Schüler Wagner ein künstliches Wesen – den Homunculus – erschaffen hat. Gemeinsam reisen sie in die Vergangenheit. Dort sucht Faust erneut nach Helena, findet sie, und gemeinsam bekommen sie ein Kind, das tödlich verunglückt. Voller Trauer kehrt Faust in seine Gegenwart zurück und strebt nun weltliche Macht an: Er hilft dem Kaiser, einen Krieg zu gewinnen, wofür ihm ein Küstenstreifen zugesprochen wird. Aus dem Meer will er Land gewinnen, bis ihm ein altes Paar im Weg ist. Faust will sich von Mephisto lösen, doch der betrügt den inzwischen erblindeten Gelehrten. Dennoch erwartet Faust am Ende die Erlösung.
2. Auch Heine und Lessing haben es versucht
Der Faust-Stoff geht auf eine reale Person zurück: Johann Georg Faust, der zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert gelebt hat. Schnell bildeten sich um diese Gestalt Sagen und Legenden – vielleicht der letzte Mensch, der zum Mythos wurde. Viele Menschen haben über diese Figur geschrieben: Das Puppenspiel war äußerst prominent, und Shakespeares Zeitgenosse und Konkurrent Christopher Marlowe schuf eine erfolgreiche Bühnenfassung. Auch Heinrich Heine versuchte sich an einem "Tanzpoem" des Stoffes. Gotthold Ephraim Lessing, Theatertheoretiker und Autor des "Nathan", hatte auch Pläne für ein Faust-Stück, doch er schrieb nur wenigen Seiten.
Goethes Versdrama bildet bis heute sicherlich einen Höhepunkt der Rezeptionsgeschichte des Faust-Stoffes, aber es bildet nicht den Endpunkt, sondern eine Bezugsgröße. Das "Faustische" wird zum eigenen Genre: "Peer Gynt" gilt als "Faust des Nordens" und "Der Meister und Margarita" von Michail Bulgakow ist die russische Version. Sowohl Heinrich ("Professor Unrat") als auch sein Bruder Thomas Mann ("Doktor Faustus") haben moderne Romanversionen geschrieben. Sogar in Animes wie "Puella Magi Madoka Magica" finden sich Faust-Figuren.
3. Ein Klassiker der Moderne
"Faust" kann als Beginn der Moderne gesehen werden. Goethe lebte in einer Zeit des Umbruchs: Die Französische Revolution stellte die Gesellschaft auf den Kopf und die Industrielle Revolution veränderte das Arbeitsleben. So entstand allmählich auch ein neues Menschenbild. Das zeigt sich auch in der Figur des Faust. Ein Zeichen dafür ist der unbändige Wissensdurst des Gelehrten Faust, wie der Philologe Michael Jaeger in seinem Buch "Das Drama der Moderne" ausführt. Faust ist davon getrieben, die Welt zu erkennen und zu ergründen. Er gibt sich nicht mit einfachen Erklärungen zufrieden.
Die Themen in "Faust" sind zeitlos: Mephisto erfindet kurzerhand das Papiergeld und macht das Drama zum Beitrag über die Geldtheorie. Fausts alter Student schafft einen Homunculus – ob es dabei um Leben aus dem Reagenzglas oder um Künstliche Intelligenz geht, ist der Fantasie überlassen. Am Ende schafft Faust neues Land, man könnte von Geoengineering sprechen und die Frage nach Lebensraum stellen. Auch formal erinnert der "Faust" eher einem offenen Theatertext der Moderne, als dem geschlossenen Drama der Klassik.
4. True Crime und mehr
Nicht nur Faust hat "Juristerey" studiert: 1771 und 1772 arbeitete Goethe am Frankfurter Schöffengericht. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat er sich auch mit den Fällen der sogenannten Kindsmörderinnen Anna Maria Frölich und Susanna Margaretha Brandt beschäftigt. Akten zu dem letztgenannten Fall fanden sich in Goethes Elternhaus. Diese Hinrichtungen, denn die Todesstrafe war nach dem Schuldspruch unausweichlich, waren für Goethe eine wichtige Inspiration für seine Gretchen-Tragödie. Auch Fausts Geliebte wird verurteilt, weil sie ihr gemeinsames Kind ertränkt hat. Gretchen akzeptiert ihr Schicksal, wird aber nach ihrem Tod erlöst.
Das ist aber nur eine von vielen Inspirationen für den Dichter: Szenen wie "Auerbachs Keller" oder "Studierzimmer" sind vermutlich Parodien auf Goethes eigene Erlebnisse. Der "Prolog im Himmel", in dem Gott und Mephisto um Fausts Seele wetten, ist vom biblischen Buch Hiob inspiriert. Die "Walpurgisnacht" stammt aus Volksmärchen und -sagen, während wichtige Teile des Helena-Akts aus Teil II ihren Ursprung in der Antike haben dürften. Selbst die arabischen "Geschichten aus 1001 Nacht" finden Erwähnung.
5. Jongliert mit Rhythmen
Wer den "Faust" aufschlägt, erkennt sofort, dass es sich um ein Versdrama handelt. Doch anders als Shakespeare oder in den Textbüchern italienischer Opern nutzt Goethe nicht einfach streng drei bis vier gattungstypische Versarten. Der Germanist Markus Ciupke hat in einer Analyse 37 verschiedene Versarten klassifiziert: Blankverse, Alexandriner, trochäische Tetrameter und so weiter.
Doch Goethe wollte nicht die die ganze Bandbreite der Dichtung in seinem Werk verarbeiten, vielmehr setzt er die verschiedenen Versarten sehr geschickt ein, um etwas Bestimmtes zu erzählen: In Griechenland wird in jambischen Trimetern gesprochen und im 16. Jahrhundert Knittelverse. Faust redet selbst in unterschiedlichen Versmaßen, weil er sich ständig neu erfindet. Währenddessen spricht Mephisto meist in Madrigalversen, passt sich aber auch den Versarten seiner Gesprächspartner an, um sich einzuschmeicheln oder zu verstellen.
6. Schauspiel, Oper, Rock und Rap
1832 wurde der zweite Teil des Dramas fertiggestellt und veröffentlicht. Allerdings wurde es zunächst nur gelesen. Das Stück galt als unaufführbar – zu viel Personal, zu große Visionen von Goethe. Gut 20 Jahre lang wurde es nur gelesen, bevor Goethes Vertrauter Johann Peter Eckermann Teile des Werkes 1852 für die Bühne einrichtete. Und wie hat sich Goethe seinen "Faust II" auf der Bühne vorgestellt? Große Teile der Dichtung erinnern an ein Libretto, also ein Operntextbuch, analysiert der Goethe-Forscher Albrecht Schöne. Das Drama sollte wohl mit viel Musik begleitet werden.
Sicher auch eine Inspiration: Charles Gounod und Hector Berlioz schrieben jeweils eine Faust-Oper, die sich vor allem um die Gretchen-Tragödie drehte. In Deutschland erfreut sich auch eine sogenannte Rockoper großer Beliebtheit. Die italienische Power-Metal-Band Stranger Vision beleuchtet in ihrem Konzept-Album "Faust Act I: Prelude to Darkness" die Figur näher, und auch der Deutschrapper Bushido bezieht sich in einigen seiner jüngeren Songs auf Motive aus Goethes Drama: "Heute weiß er, damals trat der Teufel in sein Leben", heißt es in "Mephisto", einem Disstrack gegen Capital Bra.
7. Mit Sigmund Jähn im All
Sigmund Jähn war nicht nur der erste Deutsche im All, sondern auch gelernter Buchdrucker. Deswegen wusste er die kleine Ausgabe des Goethe-Stücks bestimmt zu schätzen: Im August 1978 gab ein Botschafter der DDR eine Miniatur-Ausgabe des zweiteiligen Dramas mit Illustrationen in einem Pappschuber mit Kunstleder-Bezug an Jähn, der gerade in Moskau weilte. Wenige Tage später, am 28. August 1978, um 17:51 Uhr und 49 Sekunden, startete Jähn mit der Sojus 31 ins All.
Er war eine Woche im Weltraum, genauer gesagt 188 Stunden, 49 Minuten und 5 Sekunden, in denen er die Erde 125 Mal umrundete. Mit im Gepäck hatte er dabei die Mini-Bücher mit dem Versdrama. Wie die Klassik Stiftung Weimar in einem Blog-Artikel berichtet, besuchte der Kosmonaut am 30. Januar 1979 Weimar und brachte die drei kleinen Bände signiert und mit etwas Sternenstaub bedeckt zurück. Heute gehören sie zu den besonderen Faust-Ausgaben der Sammlung der Klassik Stiftung.
8. Dramaqueen Goethe
Wer in den sozialen Medien unterwegs ist, kennt sie: Menschen, die ihre Ausführungen immer mit zu vielen Ausrufezeichen versehen. Doch wer hätte gedacht, dass auch Goethe dazugehört. In Vers 8.435, im zweiten Akt des zweiten Teils, nutzt der Dichter glatt zwei Ausrufezeichen, wenn er Thales verkünden lässt, dass alles Leben dem Meer entstamme. Das ist sicherlich kein Tippfehler, im Gegensatz zum heutigen Internet ist es allerdings eine gut gestützte Behauptung.
9. Eines der meistzitierten Werke
Goethes "Faust" hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der deutschen Sprache eingeschrieben. Viele Phrasen sind kaum noch als Zitate erkennbar, sondern selbst zu Sprichwörtern geworden. Wie viele Menschen, die "Faust" nie gelesen haben, suchen nach dem, was "die Welt im Innersten zusammenhält", freuen sich, wenn sie des "Pudels Kern" entdeckt haben oder stellen die "Gretchenfrage" (in der es übrigens um die Religion geht)?
Für Theatermenschen macht es das auch manchmal schwer, weil diese Verse dadurch so ausgetreten sind. "Faust als Sprüchebeutel, das könnte man machen", meinte beispielsweise der legendäre Regisseur Frank Castorf vor seiner letzten Inszenierung am Berliner Volkstheater, die laut einer Umfrage unter den Menschen, die für "nachtkritik" schreiben, die beste deutsche "Faust"-Inszenierung des 21. Jahrhunderts bisher ist.
10. Alter weißer Mann?
Lange Zeit hat Goethes "Faust" die Theaterspielpläne bestimmt: Es gab zahlreiche Neuinszenierungen und noch mehr Aufführungen. Nicht zuletzt, um die ganzen Abiturklassen mit einer Aufführung versorgen zu können. Doch seit den 2010er-Jahren gerät der "Faust" in die Krise – wie auch andere Klassiker. Eine Rolle spielt dabei sicherlich, dass immer mehr Bundesländer "Faust" als Pflichtlektüre streichen, um Platz für diversere und jüngere Stimmen zu machen. Dass die Werkstatistik, die der Deutsche Bühnenverein jährlich erhebt, stattdessen mehrere Jahre von der Bühnenadaption des Jugendromans "Tschick" von Wolfgang Herrndorf angeführt wird, könnte dafür ein Beleg sein.
Ein Blick in die aktuellen Spielpläne zeigt aber auch, der Klassiker hat noch nicht ganz ausgedient: Immer wieder findet sich ein "Faust", allerdings steht nicht mehr einfach Goethe daneben: Beispielsweise hat Fatma Aydemir in "Doktormutter Faust" die Geschlechterverhältnisse umgedreht. Inszenierungen im Bereich Jugendtheater beleuchten etwa die Rauscherfahrungen (Dresden), die Last des Schulstoffes (Weimar) oder Fausts manchmal irritierenden Umgang mit Frauen (Düsseldorf). Nach mehr als 250 Jahren, nachdem Goethe mit der Dichtung angefangen hat, hat das Stück vielleicht einige Aktualisierungen verdient, doch es scheint immer noch viele Anknüpfungspunkte zu geben.
Tipps für Ausstellungen und Aufführungen:
Hauptausstellung des Themenjahres in Weimar
"Faust. Eine Ausstellung"
Sonderschau vom 1. Mai 2025 bis 1. November 2027
Schiller-Museum
Schillerstraße 12
99423 Weimar
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag: 9:30 bis 18 Uhr
"Experiment Faust"
Experiment Faust. Aus Goethes Schreibwerkstatt
1. Mai bis 14. Dezember 2025
Goethe- und Schiller-Archiv
Jenaer Straße 1
99425 Weimar
Öffnungszeiten:
Montag: 13 bis 17 Uhr
Dienstag bis Donnerstag: 9 bis 17 Uhr
Freitag: 9 bis 12 Uhr
"Faust I" am Deutschen Nationaltheater
Inszenierung von Jan Neumann
Deutsches Nationaltheater
Theaterplatz 2
99423 Weimar
Termine:
20. April 2025, 18 Uhr
4. Mai 2025, 16 Uhr
6. Juni 2025, 19:30 Uhr
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 15. April 2025 | 13:35 Uhr