Neuer Podcast Kino.to: Die Geschichte hinter der illegalen Streaming-Plattform
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19. Oktober 2024, 04:00 Uhr
Wer in den späten 2000er-Jahren zuhause einen Film schauen wollte, hatte entweder eine riesige DVD-Sammlung oder nutzte Kino.to. Die illegale Website war von 2008 bis 2011 extrem erfolgreich. Zeitweise hatte die Seite etwa vier Millionen Zugriffe pro Tag. Sie war lange unter den 50 meistbesuchten Websites Deutschlands. Ein Vergleich: 2022 lag Netflix auf Platz 43 dieser Charts. Man kann sagen: Kino.to war das, was heute Netflix ist. Der Gründer der Plattform meint sogar, dass es Netflix oder Amazon Prime ohne ihn gar nicht geben würde. Ist das so? Der neue Podcast "Kino.to – die geheime Streamingrevolution" in der ARD Audiothek geht dem nach. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten rund um Kino.to.
Wie ist Kino.to entstanden?
Kino.to ging im Jahr 2008 an den Start. Die Idee kam von Dirk B., damals ein arbeitsloser Fußbodenleger aus Leipzig. Er setzte sie gemeinsam mit einem Programmierer an einem Wochenende um – der bekam dafür eine Kiste Cola und 500 Euro. Zuvor betrieb Dirk B. die Seite Saugstube.com. Das war eine Art Linksammlung für illegale Filmdownloads. Wegen der Plattform landete er allerdings vor Gericht und musste für mehrere illegal kopierte Filme eine Strafe zahlen.
Daraufhin entwickelte er die Idee einer Suchmaschine, mit der man kopierte Filme streamen kann, ohne sie herunterzuladen. Das war nach damaliger Urheberrechtslage eine Grauzone. Die Plattform war sofort erfolgreich. Bald berichteten auch einige Medien über Kino.to. Und auch die Behörden hatten die neue Streaming-Seite schnell auf dem Radar. "Eine Woche nachdem Kino.to online war, haben wir schon drauf geschaut und haben überprüft: Was geht da, wie machen die das? Was steckt da möglicherweise im Hintergrund?", sagt Detlev Walser, damals Privatermittler der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen, kurz GVU.
Wie hat Kino.to funktioniert?
Kino.to war im Prinzip eine Suchmaschine. Nutzer*innen konnten den gewünschten Film suchen und dann aus einer Liste an Playern auswählen. Der Klick auf einen Player führte dann auf eine andere Website. Dort konnte der entsprechende Film gestreamt werden. Dirk B. baute schnell ein kleines Team auf, um Kino.to zu betreiben. Anfangs kopierten sie noch händisch die Filmlinks von anderen Seiten und Foren, um sie bei Kino.to anzubieten. Bei den Filmen handelte es sich meist um abgefilmte Kinofilme oder kopierte DVD-Fassungen. Diese Inhalte waren auch schon vor Kino.to im Netz. Sie wurden allerdings vor allem in Szene-Foren beworben. Neu war jetzt nur, dass eine Seite gebündelt Links zu den Filmen zur Verfügung stellte. Es gab also eine zentrale Anlaufstelle für Filme im Netz und die wurde sehr gut geklickt. Die Betreiber der sogenannten Filehoster – also die Seiten, auf denen die Filme gestreamt werden konnten – hatten nun ein großes Interesse daran, auf Kino.to zu erscheinen und kamen schnell selbst auf Dirk B. und sein Team zu.
Wie viel Geld hat Kino.to erzielt?
Mit dem wachsenden Erfolg konnte Kino.to auch immer mehr Werbung schalten. Dirk B. konnte sein Team bezahlen. Laut eigener Aussage bekamen seine Mitarbeiter allerdings ein eher geringes Gehalt. Laut eigener Aussage verdiente Dirk B. ab Herbst 2008 allein mit Werbeanzeigen 150.000 Euro im Monat. Später seien es sogar 300.000 Euro monatlich gewesen – so beschreibt er es in seinem Buch "Die Wahrheit über Kino.to: Was wirklich geschah." Nach einem Jahr habe er seine erste Million zusammen gehabt.
Kino.to – wer steckte dahinter?
Dirk B. gründete Kino.to im Jahr 2008. Er hatte die Idee und setzte sie gemeinsam mit einem Programmierer um, den er online kennenlernte. Er nennt ihn in seinem Buch Ishikawa – wegen seines Faibles für Anime. Ishikawa arbeitete schon für Dirk B., als der noch die Plattform Saugstube.com betrieb. Kino.to wurde von einem kleinen Team betrieben – viele waren aus dem direkten Umfeld von Dirk B.
So arbeitete auch sein Schwager für ihn und sein Freund Marcus. Im Podcast über Kino.to erzählt Marcus, dass er seinem Umfeld nie erzählt hat, was er tatsächlich beruflich macht: "Es wussten alle, dass ich Designer bin, dass ich viel im Internet unterwegs bin, ja. Aber dass ich zu Kino.to gehöre, wusste gar keiner. Das war ein Tabuthema. Und da haben wir uns auch alle dran gehalten. Also ich zumindest für meinen Teil."
Auch ein Paar aus Norddeutschland arbeitete für Dirk B. Für die Sicherheit bei Kino.to war Avit zuständig. Er war von Anfang an Fan der Plattform und entschied dann, die Seite zu hacken – um herauszufinden, wer dahintersteckt. Dirk B. stellte ihn schließlich ein und Avit kümmerte sich darum, dass Kino.to sicher bleibt und niemand an die Daten herankommt. "Wenn mich irgendwas überzeugt, dann stehe ich dahinter und dann versuche ich, das vielleicht mit zu beeinflussen, dass es verbessert wird oder sowas in der Art.", sagt er im Podcast "Kino.to – die geheime Streamingrevolution".
Was ist aus den Machern von Kino.to geworden?
Die Ermittlungsbehörden kamen Kino.to lange nicht auf die Schliche. Den entscheidenden Hinweis erhielt die GVU schließlich von Mitgliedern aus dem Team. Dafür musste der Verband allerdings einen Deal eingehen. Für 150.000 Euro lieferten sie die Informationen, die zur Überführung von Dirk B. und seinen Leuten führte. Daraufhin stellte die GVU Strafanzeige und servierte dem LKA alle Hinweise.
Am 8. Juni 2011 stürmte das SEK Dirk B.s Penthouse in Leipzig. Es gab einen Durchsuchungsbeschluss wegen Kino.to. Gleichzeitig gab es Razzien an 35 Orten in Spanien, Frankreich, den Niederlanden, Russland und Deutschland. Dahinter steckten das LKA Sachsen und seine integrierte Ermittlungseinheit, kurz INES, die sich unter anderem auf die Verfolgung von organisierter Kriminalität spezialisiert hatte.
Insgesamt 13 Leute aus dem Kreis von Kino.to wurden im Zuge dieser Razzien festgenommen. Marcus, der Grafiker, Ishikawa, der Programmierer, und auch Dirk B.s Schwager wurden verhaftet. Dirk B. saß fast ein Jahr in Untersuchungshaft. Anfangs schwieg er. Ende 2011 begannen die ersten Prozesse.
Die Urteile:
- Gründer Dirk B. bekam viereinhalb Jahre Haft und musste 3,7 Millionen Euro zahlen.
- Der Mann, der die Server beschafft hat, bekam dreieinhalb Jahre.
- Dirk B.s Schwager bekam drei Jahre Haft.
- Marcus bekam zweieinhalb Jahre Haft.
- Ishikawa, der Programmierer, bekam drei Jahre und zehn Monate Haft.
Marcus beschreibt seine Zeit im Gefängnis als "extrem hart". Dennoch sagt er heute: "Wie ich heute drauf gucke? Ich sage mal, ich habe ein geiles Projekt geschaffen, zumindest das, was das Layout betrifft. Ich habe niemanden umgebracht. Ich habe nicht mit Drogen gehandelt, Kinder geschlagen oder sonst irgendwas. Ich bin für so einen Firlefanz verurteilt worden."
Wie hat Kino.to die Medien- und Netzlandschaft verändert?
Nach der Schließung von Kino.to sanken die Zugriffe auf raubkopierte Inhalte um 30 Prozent. Das ergab eine Studie im Auftrag der EU-Kommission. Dieser Trend war allerdings nur von kurzer Dauer. Denn schon vier Wochen nach der Razzia schloss sich die Lücke, die Kino.to im Netz hinterließ: mit dem Nachfolger Kinox.to sowie mit Konkurrenzseiten wie Movie2k. Kino.to hat die Medien- und Netzlandschaft definitiv beeinflusst und verändert. Davon ist auch der Gründer Dirk B. überzeugt. Er schreibt selbst in seinem Buch: "Ohne Kino.to gäbe es heute kein Netflix oder Amazon Prime." Tatsächlich gab es Netflix bereits ein Jahr vor Kino.to – allerdings nur in den USA. 2014 kam Netflix dann nach Deutschland.
Die erfolgreichsten Filme in der Kino.to-Ära
Eine Liste zu den erfolgreichsten Filmen auf Kino.to gibt es nicht. Doch Filme, die im Kino erfolgreich waren, gab es selbstverständlich auch auf Kino.to. Für einen kleinen nostalgischen Blick zurück in die Kino.to-Jahre hier die erfolgreichsten Filme der Jahre 2008 bis 2011 in Deutschland:
- 2008: Keinohrhasen
- 2009: Avatar – Aufbruch nach Pandora
- 2010: Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil 1
- 2011: Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil 2
Die ganze Geschichte rund um Dirk B. und Kino.to – von der Gründung bis zur Verurteilung – gibt es im Podcast "Kino.to – die verbotene Streamingrevolution" ab jetzt in der ARD Audiothek.
Redaktionelle Bearbeitung: Viktoria Adler
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 24. Oktober 2024 | 07:10 Uhr