Was wurde nach 1990 aus der Solidarność?
Doch mit dem größten Erfolg beginnen auch der Machtverfall und die Spaltung der Gewerkschaftsbewegung. Denn während die neue Regierung den radikal liberalen Umbau der polnischen Wirtschaft vorantreibt, bleiben viele der alten kommunistischen Kader der Verwaltung des neuen Staates erhalten.
Radikalen Antikommunisten wie den Zwillingsbrüdern Kaczyński ist dies ein Dorn im Auge, hatten sie doch jahrzehntelang gegen genau diese kommunistischen Seilschaften gekämpft. "Die alte und die neue Zeit, die Volksrepublik und das unabhängige Polen wurden nicht voneinander getrennt. Man weiß nicht, wo die Volksrepublik endet und wo das freie Polen beginnt", fasst Kaczynski in einem Interviewbuch 1993 seine Kritik zusammen, die er bis heute mantrahaft wiederholt.
Im gleichen Jahr verliert die Solidarność, bedingt durch die sozialen Verwerfungen durch den radikalen Umbau der Wirtschaft, ihre Regierungsbeteiligung. 1995 wird auch Präsident Walesa abgewählt. Als "Wahlaktion Solidarität" (AWS) besteht der parteipolitische Arm der Solidarność noch einige Jahre weiter, bis sich auch die AWS 2001 auflöst.
Aus der politischen Insolvenzmasse der Solidarność-Partei entstehen wiederum zwei neue Parteien, die die Politik Polens bis heute prägen: die liberal-konservative Bürgerplattform (PO) und die Nationalkonservative Recht und Gerechtigkeit (PiS). Und auch personell tragen die beiden Parteien das Solidarność-Erbe weiter. Auf PO-Seite stehen der spätere Premierminister Donald Tusk, heute Präsident des Europäischen Rates, und der 2015 abgewählte Staatspräsident Bronisław Komorowski. Beide gehörten Anfang der 1980er Jahre zu den inhaftierten Solidarność-Mitgliedern. Genau wie die Kaczynskis, die ihren Feldzug gegen den Kommunismus und andere Seilschaften zwischen 2005 und 2007 als Präsident und Premierminister Polens weiterführen.