Gastbeitrag: Polnische Minderheit in Litauen - Verkehrte Welt

15. März 2018, 17:05 Uhr

Sechs Prozent der Bevölkerung Litauens gehören zur polnischen Minderheit. Obwohl seit Jahrzehnten in Litauen, ist ihre Weltanschauung pro-russisch oder gar kremltreu, sagt der litauische Politologe Mariusz Antonowicz.

Wohl jeder Pole, der die litauische Politik-Szene verfolgt, hat von der berühmten Aktion von Waldemar Tomaszewski gehört, dem Vorsitzenden der Partei der polnischen Minderheit in Litauen (AWPL-ZChR). Er nahm am 9. Mai 2014 an den Feierlichkeiten zum russischen Tag des Sieges auf dem Antakalnis-Friedhof in Vilnius teil, die von der russischen Botschaft in Litauen organisiert wurden. An seinem Revers trug Tomaszewski ein "Sankt-Georgs-Band".

Sankt-Georgs-Band Ein Symbol der Tapferkeit, das Soldaten der Roten Armee für ihren Kampf gegen Hitler-Deutschland verliehen wurde, und jüngst in der Ostukraine durch prorussische Separatisten eine Renaissance erlebt hat. – Anm. d. Red.

Das hat damals für viel Aufregung gesorgt. Jedoch herrschte in Polen die Überzeugung vor, dass dieser Schritt notwendig gewesen sei, denn die AWPL-ZChR ist auf die Stimmen der russischen Wählerschaft in Litauen angewiesen. Leider vereinfacht diese Auslegung die Situation zu sehr. Denn in Wahrheit war die Geste nicht nur an die russischen Wähler gerichtet, sondern auch an die polnische Minderheit in Litauen.

Der Einfluss russischer Kultur auf die litauischen Polen

Die Polen in Litauen nutzen zum Großteil russische Staatsmedien. Die Ergebnisse einer Umfrage des Büros des Nordischen Rates der Minister in Litauen (Norden) sowie des Meinungsforschungsinstituts TNS zeigen, dass die polnische Jugend aus der Region Solecznicki im Südosten Litauens polnisch-sprachige Medien überhaupt nicht nutzt. Unter ihnen dominieren russische und litauische Medien. Im Internet sind außer Facebook und Google vor allem die russischen Seiten Vkontakte und Yandex populär.

Die Befragten gaben auch an, dass sie zu Hause häufiger Russisch als Polnisch sprechen. Andere Untersuchungen zur Identität der Polen in Litauen, die die Michael-Römer-Universität in Vilnius 2014 durchgeführt hat, zeigen, dass 52,1 Prozent der Befragten russisches Fernsehen schauen. Zum Vergleich: Polnisches Fernsehen schauen nur 31,4 Prozent. Die polnischen Medien verlieren also den Kampf um die Polen in Litauen gegen die russischen Staatsmedien.

Mehrheit der litauischen Polen findet Putin sehr gut

Zudem ist die Weltanschauung der Polen in Litauen zu einem hohen Grad pro-russisch. Das zeigen Untersuchungen des Zentrums für Osteuropa-Studien in Vilnius in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut "Baltijos Tyrimai/Gallup". Aus den Untersuchungen geht hervor, dass 63,86 Prozent der litauischen Polen Russland als freundschaftliches Land wahrnehmen. 96,4 Prozent sind im Bezug auf Belarus dieser Meinung.

Nur 32,53 Prozent der Polen denken, dass Russland ein gegenüber Litauen feindlich eingestelltes Land ist. 44,5 Prozent der Polen denken, dass Russland keine Bedrohung für Litauen darstellt. 27,8 Prozent sind der gegenteiligen Meinung. Zudem bewerten 64,6 Prozent der Polen den russischen Präsidenten Wladimir Putin als gut oder sogar sehr gut. 39 Prozent der Befragten meinen, dass die Annexion der Krim durch Russland legitim war. 30 Prozent der Polen sind da anderer Meinung. Hier lässt sich feststellen, dass die euroatlantische, westliche Weltanschauung nicht vorherrschend ist unter den litauischen Polen.

Warschau muss größere Rolle spielen

Was kann Polen tun, um die polnische Minderheit in Litauen aus der "russischen Welt" zu locken? Zunächst müsste man den Zugang zu polnischer Kultur in Litauen ausweiten. Angefangen von der akademischen, intellektuellen bis hin zur Populärkultur. Da kann das Internet eine große Rolle spielen, denn immerhin ist einer der Hauptgründe, warum die Polen unter den Einfluss der russischen Kultur geraten, deren Allgegenwärtigkeit im Internet.

Zum Zweiten müssten in Litauen mindestens 10 bis 15 beliebte polnische Fernsehkanäle zu empfangen sein. Im Moment ist der einzig frei zugängliche Kanal TVP Polonia, der wenig attraktiv und populär ist und daher im Wettbewerb mit dem russischen Staatsfernsehen komplett verliert.

Das wichtigste, was Polen und seine politische Klasse machen sollten, ist anzuerkennen, dass das Problem der zunehmenden Russifizierung der litauischen Polen besteht. In den letzten Jahren sind in der polnischen Presse zahlreiche Artikel zu dem Thema erschienen, aber kein Diplomat, kein Abgeordneter oder Minister, vom Präsidenten Polens ganz zu schweigen, hat sich je zu dem Thema geäußert oder Schritte unternommen, um dieser Tendenz entgegenzuwirken.

Mariusz Antonowicz ist Politologe an der Universität Vilnius. Er beschäftigt sich vor allem mit der polnischen Minderheit in Litauen.
Politologe Mariusz Antonowic Bildrechte: Kristina Tamelyte

Über den Autor: Mariusz Antonowicz ist Doktorand am Institut für Internationale Beziehungen und Politikwissenschaften der Universität Vilnius. Er gehört selbst zur polnischen Minderheit in Litauen. Sein Text ist eine gekürzte Fassung einer Abhandlung, die ursprünglich auf dem Portal "eastbook.eu" erschienen ist.

Litauen hat Fehler gegenüber Minderheiten begangen

Das Einzige, was man hören konnte, war die Rechtfertigung, dass das, was in Litauen geschah, durch den Wunsch ausgelöst wurde, russische Stimmen zu gewinnen, und der litauische Staat dafür verantwortlich war. Natürlich hat Litauen viele Fehler begangen in seiner Politik gegenüber den nationalen Minderheiten.

Die Zusammenarbeit der AWPL-ZChR mit der Union der Russen bedeutet aber nicht, dass die litauischen Polen ständig russische Musik hören müssen, kreml-freundliches Fernsehen schauen müssen und gegen die Interessen des litauischen Staates, Polens und des gesamten euro-atlantischen Bündnisses handeln müssen.

Es ist wichtig, anzumerken, dass ein großer Teil der litauischen Politiker und Diplomaten dieses Problem wahrnimmt. Das eröffnet Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Warschau und Vilnius im Bezug auf die polnische Minderheit in Litauen. Wichtig ist, dass Polen von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, schließlich ist die heutige geopolitische Situation zu angespannt, als dass man die nächste Chance verstreichen lassen könnte, den Einfluss Russlands in unserer Region zu verringern.

Gastkommentar Der Gastbeitrag des Autors spiegelt seine persönliche Meinung wider, nicht die der Heute im Osten-Redaktion.

Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: HEUTE IM OSTEN - Reportage: Wir und Russland (2/2) | 17.03.2018 | 18:00 Uhr