Bukarest Orthodoxe Kirche weiht Prestigebau ein
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25. November 2018, 16:55 Uhr
Sie trägt den sperrigen Namen "Kathedrale der Erlösung des Volkes“ - das neue orthodoxe Gotteshaus in der Innenstadt von Bukarest. Das millionenschwere Bauvorhaben ist eines der umstrittensten Projekte der vergangenen Jahre im Land.
Nach achtjähriger Bauzeit hat der rumänische Patriarch Daniel am Sonntag die "Kathedrale zur Erlösung des Volkes" in Bukarest eingeweiht. Der Neubau gilt als Prestigeobjekt der orthodoxen Kirche, die wiederholt erklärte, sie brauche wie Athen oder Moskau ein repräsentatives Gotteshaus, da sie zu den zahlenmäßig stärksten orthodoxen Glaubensgemeinschaften in Europa zähle. Bislang nutzt die Bukarester Kirchenführung eine Klosterkirche, die bei wichtigen Feierlichkeiten aus allen Nähten platzt.
Mehr als 100 Millionen Euro Baukosten
Der Neubau hingegen gehört zu einem der größten öffentlichen Bauvorhaben der vergangenen Jahre in Rumänien. Rund 600 Arbeiter sind bis Sonntag rund um die Uhr am Bau des neuen Gotteshauses tätig, dessen Kosten die Kirche mit rund 105 Millionen Euro angibt. Dass der Bau neben Spenden vor allem aus öffentlichen Geldern finanziert wurde, sorgte in dem osteuropäischen Land immer wieder für Diskussionen. Kritiker des Projektes monierten, dass es besser gewesen wäre, das Geld in die Renovierung von Schulen und Krankenhäusern zu investieren.
Kirche ist finanzkräftiges Unternehmen
Die Kirche kontert auf diese Kritik in der Regel mit göttlichen Botschaften: Man sei "das einzige Krankenhaus, dass Menschen durch Vergebung und Vervollkommnung ihrer Tugenden von den Sünden heilt", heißt es auf der Website des Kathedralenprojektes. Versachlicht hat das die Diskussion über die großzügige Staatsförderung nur wenig. Den Zahlen nach hätte die orthodoxe Kirche die Subvention gar nicht nötig, denn sie gehört zu den finanzkräftigsten Institutionen des Landes. So soll sich ihr Vermögen rumänischen Medienberichten zufolge auf drei Milliarden Euro belaufen, die jährlichen Einnahmen auf 90 Millionen Euro. Die orthodoxe Kirche besitzt neben zahlreichen Wald- und Grundstücken Hotels, Transportunternehmen sowie mehrere Medienfirmen.
Einnahmen über den Segen
Eine Kirchensteuer wie in Deutschland gibt es in Rumänien nicht. Vielmehr kassieren die Priester für den Dienst am Nächsten direkt: bei Taufen, Trauungen, Trauerfeiern oder wenn das neugekaufte Auto gesegnet wird. Steuerlich abgeführt wird dabei nichts. Auch über Nachwuchssorgen muss die Kirche nicht klagen: Rund 86 Prozent der Rumänen und damit rund 19 Millionen Menschen bekennen sich zum rumänisch-orthodoxen Glauben.
Nach der 1989er-Revolution erlebte die Kirche im Land eine überwältigende Renaissance. Sie wird als glaubwürdigste Institution im Land wahrgenommen, wenngleich sich die orthodoxe Kirche vehement gegen eine Aufarbeitung ihrer kommunistischen Vergangenheit sperrt und - wie zahlreiche Politiker - in Korruptionsskandale verwickelt ist. Den Glauben an den Herrgott schwächt das nicht. Für einen Großteil der Rumänen, gerade auf dem Land, ist die orthodoxe Kirche ein Hoffnungsort und eine Instanz, die man nicht kritisieren sollte.
Wenig geistig, aber riesig
Umso verwunderlicher ist, dass der neue Prestigebau zu einem viel diskutierten Bauvorhaben wurde. Die Architektenbranche hatte sich einst auf den Kathedralen-Bau gefreut. Doch sie wurde enttäuscht, da das Patriarchat das neue Gotteshaus selbst projektierte. Die beteiligten Architekten durften das Bauvorhaben nur noch geringfügig verändern. Für den Bukarester Architekten Dan Marin - einem der renommierten Kritiker des Baus - bricht die neue Kathedrale mit der Tradition und der Vernunft. Sie sei zu "einer leblosen Komposition" verkommen, die "nichts Spirituelles verkörpert, sondern einfach nur viel Masse ist", sagt Marin im MDR-Interview. Jahrelang hat der Architekt die Diskussionen über den Neubau verfolgt und mitgeführt.
Traditionelles Modell einfach aufgeblasen
In der Tat bringt die neue Kathedrale viel Masse ein. Ihr Gemeindesaal fasst rund 5.000 Menschen - das sind zehnmal mehr Gläubige als in die bisher genutzte Patriarchalkathedrale passen. Rumänisch-orthodoxe Gotteshäuser sind in der Regel klein, die Heiligen auf den Fresken zum Anfassen nahe. Von niemanden wird erwartet, dass er am gesamten, oft mehrstündigen Gottesdienst teilnimmt, der einem meditativem Gebet gleicht. Vielmehr ist im Gemeinderaum ein ständiges Kommen und Gehen. Für den Neubau habe man die traditionelle Bauform einer orthodoxen Kirche einfach aufgeblasen, bis die gewünschte Kapazität erreicht worden sei, sagt Architekt Dan Marin. Herausgekommen sei eine "diffuse Mischform mit übersteigerten und verwirrten Formen", die "vollkommen absurd" sei.
Kirche spricht von schönem Neubau
Eine Kritik, die die orthodoxe Kirchenführung nicht hinnehmen will. Kirchensprecher Vasile Banescu sagt auf MDR-Anfrage, wer so argumentiere, habe sich offenbar nie mit dem Projekt beschäftigt, andernfalls hätte er merken müssen, dass hier ein "schöner und schlanker Bau entstanden" sei. Laut Banescu besitzt der Neubau "Grundelemente der christlich-byzantinischen und der einheimischen brancoveanischen Baukunst, ebenso repräsentative Elemente der großen europäischen Kathedralen". Kurzum: Das neue Gotteshaus repräsentiere die orthodoxe und christliche Geistigkeit in ihrer Wahrhaftigkeit, so der Kirchensprecher. Das lasse man sich auch von Kritikern nicht zerreden.
Höher als der frühere Palast des Volkes
Mit ihren Türmen erreicht die neue Kathedrale eine Höhe von 120 Metern - ähnlich hoch wie ein 30-geschossiges Hochhaus. Sie übertrifft damit auch den in unmittelbarer Nähe stehenden einstigen Palast des Volkes und heutigen Parlamentssitz. Die Kirchenführung sieht in dem Standort eine "moralische Wiedergutmachung", da vor 1989 für den Diktatorenbau mehrere Gotteshäuser abgerissen oder an unscheinbare Orte verschoben wurden.
Der Bukarester Aktionskünstler Vlad Nanca wundert sich hingegen über den Standort, schließlich sei Rumänien "ein weltlicher Staat". Die Wirklichkeit aber gestaltet sich anders: Seit jeher unterhalten Politik und Kirche enge Beziehungen, die nach ungeschriebenen Gesetzen funktionieren. So gelten orthodoxe Priester als emsige Wahlkampfhelfer, wenn sie im Gegenzug Spenden oder staatliche Zuschüsse für ihr Gotteshaus erhalten.
Künstler: Protestgeste als Vorahnung
Die zweifelhaften Verbindungen waren für den Bukarester Künstler Nanca wiederholt ein Thema. 2003 und 2006 verwandelte er auf seinen Bildern das Parlamentsgebäude in ein Gotteshaus, sodass man sich den erst Jahre später entstandenen Kathedralenbau theoretisch hätte sparen können. "Meine Protestgeste war offenbar eine Vorahnung, sie ist zur Ironie des Schicksals geworden", sagt Nanca im MDR-Interview.
Er habe damals mit einem nicht endenden Projekt gerechnet. Doch der neue Patriarch Daniel habe völlig andere unternehmerische Fähigkeiten an den Tag gelegt, sodass die Bauarbeiten schneller abgewickelt worden seien, als sich viele Bukarester jemals vorgestellt hätten. Mit der Fertigstellung der Kathedrale sei die Kirche "auf ihren Höhepunkt der Macht angelangt", meint Künstler Nanca und fügt ironisch hinzu: "Von nun an kann es mit dieser Macht nur noch bergab gehen. Das ist die positive Seite des Projekts."
Warum fand die Einweihung am Sonntag statt?
Zur Einweihung am Sonntag war ranghoher Besuch geladen: Der Ökumenische Patriarch Bartholomäus I. von Konstantinopel. Er wird von den orthodoxen Hierarchen als eine Art Oberhaupt und als "Erster unter Gleichen" angesehen. Die Kirche hatte auf den Sonntag gedrängt, weil Rumänien in ein paar Tagen das 100-jährige Bestehen seines heutigen Staates feiert. Der 1. Dezember ist ein äußerst wichtiges Datum für die Nation, als deren Volkskirche sich die orthodoxe Kirche gern sieht.
Nach den mehrtägigen Feierlichkeiten wird der millionenschwere Bau erst einmal geschont. Man werde die Kathedrale vorerst nur an hohen Feiertagen oder für äußerst wichtige Anlässe nutzen, sagt Kirchensprecher Vasile Banescu. Der Grund ist ein weltlicher: Die Innenarbeiten vom Neubau sind noch nicht fertig. Sie werden vermutlich noch Jahre dauern.
Die Rumänisch-Orthodoxe Kirche hat nach der russischen zahlenmäßig die zweitgrößte orthodoxe Glaubensgemeinschaft der Welt. Sie ist in zwei kirchlichen Welten zu Hause: religiös in der byzantinischen, sprachlich und kulturell in der lateinischen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 25. November 2018 | 13:15 Uhr