Freiheits-Oasen und Goldene Neunziger: Fußball in Rumänien
Hauptinhalt
10. Juni 2016, 10:56 Uhr
Vom Fußballmeistertitel hat Astra Giurgiu bislang nur träumen können. Der Klub aus der wirtschaftlich angeschlagenen südrumänischen Stadt Giurgiu galt bislang als Außenseiter in der Fußballwelt. Doch seit Mai ist Astra rumänischer Meister. Und der Grund, der dafür mit einem Augenzwinkern genannt wird, ist ein eher ungewöhnlicher: Denn der Klubeigner - der millionenschwere Bukarester Geschäftsmann Ioan Niculae - sitzt derzeit wegen Korruption in einem Bukarester Gefängnis. Um seinen Club kann er sich folglich nur schwer kümmern - und genau das, so sagt es beispielsweise Theodor Jumatate, Journalist der renommierten rumänischen Sportzeitung "Gazeta Sporturilor", scheint Astra gut bekommen zu sein.
Besitzer von Fußballklubs mischen sich in Rumänien für gewöhnlich ein - oftmals auf unschöne Weise: Sie diktieren dem Trainer die Aufstellung. Sie diffamieren Spieler, die ihnen zu wenig Leistung bei den Wettkämpfen bringen, vor laufender Fernsehkamera. Sie bestrafen sie mit monatelangem Verdienstausfall, auch wenn in den Verträgen anderes steht. Doch seit Ioan Niculae hinter Gittern sitzt, muss er zu all dem schweigen. "Diesmal konnte Niculae keinen unglücksbringenden Einfluss auf die Spieler ausüben. Sie konnten endlich in Ruhe ihren Job machen", sagt Jumatate zum Meistertitel von Astra.
Geld von zwielichtigen Unternehmern
Hinter der Mehrheit der rumänischen Klubs, die sich seit Jahren in der ersten Liga tummeln, stehen einheimische Geschäftsmänner wie Niculae. Oft sind die Unternehmer mit unlauteren Methoden zu ihren Vermögen gekommen und verbüßen deswegen nun Haftstrafen. Doch ohne die Gelder dieser potenten Neureichen hätte der Fußball im postkommunistischen Rumänien nur schwerlich im europäischen Wettstreit mithalten können. Mit dem Sturz des Ceausescu-Regimes 1989 versiegten die staatlichen Geldquellen der Klubs: Volkseigene Betriebe gingen pleite, die Kommunistische Partei wurde aufgelöst, die via Verteidigungs- und Innenministerium die zwei wichtigsten rumänischen Vereine - FC Steaua Bukarest und FC Dinamo Bukarest - finanzierte. An die Stelle der Financiers traten Privatunternehmer, die mit ihren Millioneninvestitionen im Fußball nicht nur viel Geld verdienen wollten, sondern auch Ruhm und Ehre.
In der Tat: Keine andere Sportart liebt die Mehrheit der Rumänen so sehr wie den Fußball. Viele können auf diese Weise Alltagsnöte vergessen – und sei es nur für ein paar Spielstunden. Schon vor der Wende galten Stadien als zuverlässige Orte für Glücksgefühle. "In der Diktatur mussten wir aufpassen, was wir sagten und dachten. Beim Fußball konnten wir unseren Gefühlen aber freien Lauf lassen. Die Stadien waren für uns Oasen der Befreiung", erinnert sich Jumatate. Die Nationalmannschaft blieb jedoch in sozialistischer Zeit ohne internationale Bedeutung. Zwar hätte sich die Ceausescu-Familie einen Sieg auf höchster Ebene gewünscht, doch fehlte es den nationalen Spielern an internationaler Spielerfahrung. Nur jeweils einmal reichte es damit für die Qualifikation einer WM- oder EM-Endrunde. In beiden Fällen (WM: 1970 in Mexiko, EM: 1984 in Frankreich) war nach der Vorrunde Schluss.
Fußball-Mächtige hinter Gittern
Fußball steht in Rumänien seit jeher aber auch im Zentrum korrupter Begehrlichkeiten. Absurdester Fall: Vor Jahren wollte der Besitzer von Steaua Bukarest, George Becali, auf offener Straße mehrere gegnerische Spieler bestechen, den größten Rivalen seiner Mannschaft zu bezwingen. Die 1,7 Millionen Euro hohe Bestechungssumme trug er in zwei Koffern mit sich. Immer wieder ist es im rumänischen Fußball in den vergangenen Jahren zu "gekauften" Spielen gekommen. Journalisten von der "Gazeta Sporturilor" deckten solche Fälle auf.
Der Hartnäckigkeit der Redakteure wie Jumatate ist auch die Enthüllung eines Transfer-Skandals zu verdanken. Acht Schwergewichte des rumänischen Fußballs hatten mit fingierten Transfersummen einen Millionen-Euro-Betrag am Fiskus vorbei geschmuggelt. Im Jahr 2014 verurteilte sie ein Bukarester Gericht zu teils hohen Haftstrafen. Für Journalist Jumatate ist das Urteil noch heute ein Warnsignal. "Es ist nicht so, dass seither die Korruption im Fußball verschwunden ist. Doch der Fall zeigt, dass unsere Justiz arbeitet. Wer glaubt, solche schmutzigen Transfers wiederholen zu können, wird dafür zahlen."
"Moderne Sklavenhaltung"
Halbseidene Klubbesitzer, unhaltbare Konditionen für Spieler, zahlreiche Korruptionsskandale? Der britische Fußballer Rhema Obed sagte im Frühjahr BBC-Sport, Fußballer würden in Rumänien "wie moderne Sklaven behandelt". Der Verteidiger hatte vor knapp drei Jahren für den Bukarester Verein Rapid gespielt, der ihn monatelang nicht bezahlte. Obed pumpte schließlich Spielerkollegen um Geld an, um überhaupt in Bukarest überleben zu können. Erst über eine Klage bei der FIFA kam er Jahre später an sein Geld. 2014 verließ er das Land auf Nimmerwiedersehen.
Ex-Star gründet Fußballschule
Für Positivschlagzeilen im rumänischen Fußball sorgt hingegen Spielerlegende Gheorghe Hagi. Der "Maradona der Karpaten", wie Hagi liebevoll in seinem Heimatland genannt wird, errang 2000 mit der Nationalmannschaft den bis heute wichtigsten rumänischen EM-Erfolg. Das Team spielte sich damals bis ins Viertelfinale. Hagi steht für die goldene Zeit des rumänischen Fußballs in den 1990er-Jahren, in der die Mannschaft zeitweise zu den stärksten europäischen Teams überhaupt gerechnet wurde, auch weil sie in einem extra eingerichteten Fußballzentrum in Bukarest zu Höchstleistungen getrimmt wurde. Jahre später wurde das Zentrum aus Geldmangel dichtgemacht, die rumänische Nationalmannschaft verlor erneut an Bedeutung.
Fußballlegende Hagi investiert inzwischen in Ausbildung und Training. Vor Jahren gründete er mit seinem im Sport verdienten Millionenvermögen eine Fußballschule in der Hafenstadt Konstanza. "Viele rumänische Vereinsbesitzer sehen nur das schnelle Geschäft. Hagi hingegen weiß, dass man in Fußball langfristig investieren muss, damit er Früchte trägt", sagt Sportjournalist Theodor Jumatate. Auch einen Verein hat der frühere Fußballstar ins Leben gerufen - für seinen Fußballnachwuchs. Seit knapp drei Jahren spielt der Klub in der ersten Liga. Hagi hat ihm einen programmatischen Namen gegeben. Er hat ihn "Die Zukunft" genannt.