Debütant und Europameister: Fußball in der Slowakei
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20. Juni 2016, 09:17 Uhr
Mit dem Vorrundenspiel zwischen Wales und der Slowakei im Juni 2016 ist die EM-Historie um eine Anekdote reicher: Der 2:1-Sieg der Waliser gilt offiziell als erstes EM-Spiel beider Mannschaften. Dabei hat eines der Länder bereits einen EM-Titel auf dem Konto. Aber der Reihe nach.
Zerfall der ČSSR
Die Geschichte des Slowakischen Fußballverbands ist kurz und seine Erfolge überschaubar. Nach der Aufspaltung der sozialistischen Tschechoslowakei in die heutigen Staaten Tschechien und Slowakei im Jahr 1993 zerfiel auch die gemeinsame Nationalmannschaft. Sie war, mit einer kurzer Unterbrechung im zweiten Weltkrieg, seit 1920 gemeinsam angetreten. Ab 1994 trat die Slowakei erstmals mit einer eigenen Mannschaft an. Erst zwei Jahrzehnte später konnte sie sich mit dem zweiten Platz in der Qualifizierungsgruppe erstmals ein EM-Ticket sichern. Nach dem überraschenden Erreichen des WM-Achtelfinals 2010 in Südafrika ist es der größte Erfolg des slowakischen Fußballs. Damals schied das Team gegen den späteren Vizeweltmeister Niederlande aus.
"Nacht von Belgrad"
Doch es gibt eben auch noch diese zweite Geschichte des slowakischen Fußballs – den tschechoslowakischen. Das Team der Staatenunion war nämlich ungleich erfolgreicher als das seiner Nachfolger. Vizeweltmeister 1934 und 1962, Olympiasieger 1980 und am erinnerungswürdigsten: Europameister 1976, in der legendären "Nacht von Belgrad".
Nach einer Auftaktklatsche gegen England folgten vier Vorrundensiege und ein Unentschieden. Im Halbfinale warf das Team die Niederlande rund um Superstar Johan Cruyff aus dem Turnier. Im Finale wartete der amtierende Welt- und Europameister Deutschland. Das Finale in Belgrad hielt bereits vor dem Anpfiff eine Überraschung parat. Aufgrund einer Bitte des deutschen Teams sollte es im Falle eines Unentschiedens nach 120 Minuten kein damals übliches Wiederholungsspiel geben. Die Spieler bräuchten Urlaub. Deshalb entschied die UEFA, in diesem Falle erstmals ein Elfmeterschießen durchzuführen.
Panenkas Lupfer
Doch danach sah es zunächst nicht aus. Die Tschechoslowakei führte bereits nach 25 Minuten mit 2:0. Nach dem Anschlusstreffer von Dieter Müller glich Verteidiger Bernd Hölzenbein erst in der letzten Minute der regulären Spielzeit aus. Auch nach 120 Minuten stand es 2:2. Und so kam es zum Elfmeterschießen, das durch zwei Strafstöße legendär wurde. Erst drosch Uli Hoeneß den Ball in den Nachthimmel von Belgrad, ehe Antonín Panenka einen Elfmeter verwandelte, der heute seinen Namen trägt. Statt stramm auf die Ecken zu zielen, lupfte der tschechoslowakische Mittelfeldspieler den Ball im hohen Bogen in die Mitte des Tores. Der deutsche Torhüter Sepp Maier war da bereits in die Ecke gesprungen.
Erste Spiele mit vertrauten Gegnern
Neun der 13 eingesetzten Finalspieler waren damals Slowaken. Doch laut UEFA-Chronik werden der EM-Titel und alle anderen Erfolge der tschechoslowakischen Auswahl offiziell seinem Nachfolgeverband zugesprochen: dem tschechischen.
Und so kommt es in zwei Gruppenspielen zum nächsten Kuriosum der EM 2016: dem jeweils ersten EM-Spiel zwischen zwei Teams, die bereits aufeinander getroffen sind. Russland und England heißen diesmal die Gegner der slowakischen Debütanten. Genau wie 1976. Vierzig Jahre, nachdem neun slowakische Fußballer Europameister geworden waren.