Warschau | Brüssel Was Brüssel an der polnischen Justizreform stört
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20. Dezember 2017, 15:23 Uhr
Seit Jahren zusammen, aber bald entzweit? Die EU-Kommission startet ein Sanktionsverfahren gegen Polen. Grund ist die umstrittene Justizreform im osteuropäischen Land. Doch was steckt hinter der Reform? Hier die wichtigsten Kritikpunkte.
Politik bestimmt, wer Richter werden darf
Die wichtigste Änderung betrifft die Ernennung von Richtern. Jeder Jurist, der sich in Polen um das Richteramt bewirbt, braucht die Zustimmung des sogenannten Landesjustizrats. Dieses Gremium besteht aus 25 Mitgliedern und beurteilt die Kandidaten. Bislang waren die meisten Mitglieder des Landesjustizrats Richter, die in einer Art Selbstverwaltung von anderen Richtern gewählt wurden. Zukünftig sollen sie mit einer Dreifünftel-Mehrheit vom Parlament gewählt werden. Damit bekommt die Politik die Kontrolle über den Landesjustizrat und damit indirekt auch darüber, wer in Polens Gerichten die Urteile sprechen darf.
Ein übermächtiger Justizminister
Als Gefahr für die Unabhängigkeit der Gerichte wird auch die deutlich erweitere Machtfülle des Justizministers Zbigniew Ziobro angesehen. Er darf nun im Alleingang, also quasi nach Gutdünken, die Präsidenten der Gerichte und ihre Stellvertreter abberufen und durch eigene Kandidaten ersetzen. Von dem Recht macht Ziobro bereits fleißig Gebrauch. Seitdem im Sommer der erste Teil der Justizreform in Kraft getreten ist, hat der Justizminister offiziellen Angaben zufolge 20 Gerichtspräsidenten und Stellvertreter abberufen. Die Betroffenen beklagen, dass dies oft in einem fragwürdigen Stil geschehen sei - die Schreiben seien teils per Fax gekommen und zurückdatiert gewesen.
Ausnahmeregelungen für Richter
Außerdem darf der Justizminister, ebenfalls eigenständig, Ausnahmegenehmigungen für Richter erteilen, die das Pensionierungsalter erreicht haben, aber weiter arbeiten wollen. Kritiker befürchten, dass dadurch vor allem Richter befördert werden, die der Regierungspartei PiS nahe stehen und Urteile möglicherweise so fällen, wie die Regierung es wünscht. Ferner stört sich die EU-Kommission auch am unterschiedlichen Pensionierungsalter für Richterinnen (60) und Richter (65) – die Regelung stelle eine unzulässige Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar.
Rechtskräftige Urteile anfechten
Außerdem dürfen ausgewählte Amtsträger – etwa der Justizminister – künftig eine außerordentliche Kassationsklage erheben. Damit können sie vor dem Obersten Gerichtshof jedes rechtskräftige Urteil der vergangenen 20 Jahre anfechten, wenn sie der Meinung sind, dass es fehlerhaft ist oder gegen Bürger- und Menschenrechte verstößt. Nach Ansicht der Kritiker dient diese Regelung jedoch vor allem dazu, Urteile zu kassieren, die der Regierungspartei aus politischen oder ideologischen Gründen nicht gefallen.
Brauchen Polens Gerichte Reformen?
Die polnische Regierung bestreitet, dass die Reform die Unabhängigkeit der Gerichte einschränkt. Der Justizapparat sei seit der politischen Wende 1989 nicht reformiert worden und die Richter seien größtenteils korrupt, argumentiert die regierende PiS. Die Juristen sähen sich als "elitäre Kaste", einfache Polen fühlten sich ungerecht behandelt, argumentiert die Partei, die sich gerne als Wortführer des "kleinen Mannes" präsentiert.
In Polen selbst hatte die Reform im Sommer und in den vergangenen Tagen zu Straßenprotesten geführt.
Venedig-Kommission sieht "ernstes Risiko"
Rechtsexperten bestreiten nicht den Reformbedarf, sehen aber die konkrete Durchführung kritisch. Anstatt die wahren Missstände, etwa lange Gerichtsverfahren, zu beseitigen, werde vor allem der Einmischung der Politik Tür und Tor geöffnet. Die Venedig-Kommission des Europarats spricht in ihrem Gutachten zur polnischen Justizreform von einem "ernsten Risiko für die Unabhängigkeit aller Teile der Justiz in Polen". Ähnlich argumentiert auch die EU-Kommission.
Das Rechtsstaatlichkeitsverfahren der EU
Es soll bei einer "systematischen Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit" greifen, ist aber ein rein politisches Instrument der EU-Kommission.
Die Kommission in Brüssel tritt zunächst "informell" mit dem betreffenden Mitgliedsstaat in Kontakt, damit er auf die reagiert. Als letzte Möglichkeit kommt Artikel 7 ins Spiel. Dieser sieht unter anderem einen temporären Entzug des Stimmrechtes für das betreffende EU-Mitglied im Europäischen Rat vor.
Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: TV | 20.12.2017 | 17:45 Uhr