Marode Wohnhäuser in der Haferkornstraße in Leipzig
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"Friede den Bruchbuden, Krieg den Beton-Köpfen" Wie Aktivisten die Altbauviertel der DDR retteten

12. März 2022, 05:00 Uhr

In den 1980er-Jahren befinden sich die Altstädte und Altbauviertel der DDR in einem trostlosen Zustand. Viele sollen abgerissen werden. Da treten Dutzende Bürgerinitiativen auf den Plan, um den Verfall der historischen Bausubstanz aufzuhalten. Bereiteten sie so auch den Weg zur friedlichen Revolution? Ein Forschungsprojekt untersucht das nun. Wie die Innenstädte gerettet wurden - ein Beispiel aus der Äußeren Neustadt in Dresden.

Vereiste Hausflure, Windschiefe Türen, Verstopfte Kamine – der Zustand der Altstadtviertel in der DDR war Mitte der 1980er-Jahre zum Heulen. Nun, immerhin standen sie noch. Im Westen hatte man viele dieser Quartiere bereits in den 1960ern zugunsten "moderner" Mietshaus-Strukturen abgeräumt.

Oberflächlich grau, zerschlissen und dem baldigen Untergang geweiht, entfalteten vor allem die Gründerzeitviertel in Berlin, Leipzig, Dresden, Halle und vielen anderen ostdeutschen Städten bald ein turbulentes Innenleben – ganz und gar unsozialistischer Natur.

Es war auch ein Stück weit absurd. Es gab noch Häuser, wo alles funktionierte. Mit Hausbuch, wo jeder Westbesuch penibel eingetragen wurde. Und im Haus nebenan wusste man nicht einmal, wer da eigentlich wohnt.

Uwe Schneider

Hört man Uwe Schneider zu, wenn er über seine Erfahrungen im Dresdner Stadtteil Äußere Neustadt spricht, klingt das oftmals wie "Alice im Wunderland". In der maroden Neustadt gab es "besenreine" leerstehende Wohnungen, während im Rest des Landes Hundertausende Menschen permanent auf Wohnungsjagd waren – und nichts fanden. Auf den Straßen dieser Dresdner Enklave wurde auch das obligatorische SED-Bonbon am Jackett selten gesichtet – dafür jede Menge Vertreter des wild gesprenkelten Außenseiter-Spektrums der DDR-Gesellschaft. Als da wären: abgeranzte, alleinstehende alte Menschen, "Penner", "Knackis". Und natürlich das große Füllhorn der "Alternativen".

Alte Häuser
Leergewohnte Häuser im Andreasviertel von Erfurt. Hier sah der Bebauungsplan der Stadt Abriss und Neubau in Plattenbauweise vor. Aufnahme ca. 1989, Matthias Sengewald. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Abriss verhindern, Altbauviertel retten

Die Altbauten, die steinerne Hinterlassenschaft der untergegangenen kapitalistischen Gesellschaft, wurden für sie zum großen Spielfeld. Denn hier konnte man inmitten der DDR "aussteigen" und sich dem üblichen Kontrollzwang entziehen. Doch die Äußere Neustadt ebenso wie das Andreasviertel in Erfurt und viele andere DDR-Altbauquartiere waren extrem bedrohte Nischen: "Es gab ja die Planung, das komplett abzureißen oder 75 Prozent der Gebäude sollten abgerissen werden", erinnert sich Uwe Schneider, ehemaliges Mitglied der IG "Äußere Neustadt". "Da haben wir gesagt, wir müssen das dokumentieren, was hier abgerissen werden soll, um den Nachweis zu erbringen, dass es gar nicht so schlimm aussieht. Denn das waren ja oft Kleinstreparaturen, die gemacht werden mussten. Da hat es beispielsweise an ein paar Stellen im Dach durchgeregnet – ok, aber man hätte einen Großteil der Häuser relativ einfach retten können."

Den Widerstand gegen den geplanten Abriss zu organisieren, das hatten in Dresden zuvor schon andere versucht und waren Anfang der 1980er in der Dresdner Friedrichstadt noch krachend gescheitert. Doch die kleinen Flugblattaktionen, der Versuch nachbarschaftlicher Koordination und Vernetzung des Protests waren ein Anfang. Systematischere Versuche, auf das Baugeschehen Einfluss zu nehmen, folgten.

"Stadtbauökologiegruppen" der DDR vernetzen sich

1989 findet in Erfurt ein erstes DDR-weites Treffen sogenannter Stadtbauökologiegruppen statt. Auch Uwe Schneider ist für die Dresdner Neustadt mit dabei. "Eine Zeit lang waren wir richtig viele Leute. Und man hat dann auch gemerkt – es gab ja keinen Informationsaustausch wie heute – es haben ganze viele an dem Thema gearbeitet. Und das war auch ein Beweggrund von ganz vielen Menschen, sich gegen den Staat zu stellen. Weil sie eben gesehen haben, dass die ganzen Städte dermaßen zerfallen. Das war eine ganz wichtige Triebkraft der Opposition gewesen. Und im September, als ich in Erfurt war, war das auch deutlich zu spüren: Da brodelt etwas."

Das Forschungsprojekt "Stadtwende"

Welchen Beitrag all diese Gruppen zum städtebaulichen Erhalt, aber auch zum DDR-Reformprozess geleistet haben, das untersucht seit 2018 das interdisziplinäre Forschungsprojekt "Stadtwende". Wissenschaftlerinnen und WIssenschaftler der Technischen Universität Kaiserslautern, des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner, der Universität Kassel und der Bauhaus-Universität Weimar sind daran beteiligt. Sie untersuchen auch, inwieweit die zerfallenden Altstädte und das Engagement der Aktivisten den Weg bereitet haben für die friedliche Revolution im Herbst 1989.

Die ersten Ergebnisse werden nun in einer Wanderausstellung vorgestellt, die gerade in Brandenburg an der Havel Station macht – neun weitere sind ab 2022 geplant.  In Mitteldeutschland soll die Schau zuerst in Dessau-Roßlau, danach in Erfurt, Weimar und Halle zu sehen sein – alles Orte, die alle auf jeweils ganz unterschiedliche Weise vom Engagement ihrer Bewohner profitiert haben, vor allem nach 1989.

Wendezeit: Aktivisten bestellen Oberbürgermeister ein

Die wirklich neuen Gestaltungsspielräume taten sich erst nach dem Herbst 1989 auf. Hatten sich die Bürgerinitiativen zuvor – camouflage-artig – unterm Deckmantel staatlicher Institutionen ("Kulturbund") in die Diskussionen um Bau-, Bauerhaltungs- und Abrisspläne eingemischt (als AG "Denkmalschutz" oder "Stadt-und Wohnumwelt"), so konnten sie nun endlich frei agieren. Und sie taten das auch, selbstbewusst: "Das hatte plötzlich so'ne Power, weil wir auch fit waren", sagt Uwe Schneider. "Und die wollten auch nicht widersprechen und haben deswegen große Zugeständnisse gemacht. Wir haben da z.B. mal einen Brief an den Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer geschrieben und den hierher bestellt. Einfach gesagt, an dem und dem Abend treffen wir uns hier und er solle mal vorbeikommen. Heute unvorstellbar, aber solche Aktionen liefen da."

Zu Hilfe kam den Akteuren auch, dass sie wie Uwe Schneider selbst in Sachen Bau Expertise hatten. Viele waren Bauingenieure oder angehende Architekten oder hatten sich mit Experten aus den Fachabteilungen der Hochschulen vernetzt. Wiederholt hat etwa die Fakultät der TU in Dresden Studien zur historischen Bausubstanz in Auftrag gegeben. Denn auch die staatlichen Planer, zunehmend frustriert von den Erfahrungen mit der DDR-Baupolitik, besannen sich auf ihr "Widerstandspotential" und steuerten Expertisen zur Rettung des alten Bestands bei. Bedeutend war dabei unter anderem die Gründung der Sektion "Gebietsplanung und Städtebau" an der Hochschule für Architektur und Bauwesen (HAB) in Weimar 1969.

Eigene Planungen und Vorschläge

Dennoch: Trotz Expertise, politischem Druck und Engagement – auch nach 1989 war es mitunter nicht einfach, die Stadtbaupolitik vom Kopf auf die Füße zu stellen, sprich: dringend benötigte Bau-Ressourcen für die Instandsetzung locker zu machen. In Dresden reagierte die IG "Äußere Neustadt" darauf mit einer kleinen Kanonade von Ideen. "Wir haben einfach versucht, immer konstruktiv mit der Stadtverwaltung zu arbeiten", erinnert sich Uwe Schneider. "Wir haben eigene Planungen vorgelegt und Vorschläge gemacht. Wir haben die im Prinzip mit Ideen zugeschüttet. Wir hatten zu dieser Zeit oftmals auch noch einen Wissensvorsprung gegenüber der Behörde, denn für die dort angestellten Mitarbeiter waren die Gesetze ja auch neu und wir hatten uns dann gemeinschaftlich schon gut eingearbeitet. Da konnte man dann auch nicht so einfach drüber weggehen."

Hof der Tiere in der Kunsthofpassage in Dresden
Der Kunsthof in der Äußeren Neustadt in Dresden. Zu DDR-Zeiten waren solche Innehöfe im größten Gründerzeitviertel Europas trist und unansehnlich. Bildrechte: imago images/H. Tschanz-Hofmann

Westdeutsche Partnerstädte sorgen für Geldregen

Geholfen hat, dass zur gleichen Zeit über die zu neuem Leben erwachten deutsch-deutschen Städtepartnerschaft fachliche wie finanzielle Unterstützung für die Bau-Rebellen aus dem Osten kam. Im Fall der Dresdner Neustadt etwa machte der Senat der Partnerstadt Hamburg sofort Geld für einen Sonderetat locker: "Mit einem Schlag war richtig Geld da. Wir waren euphorisch: drei Millionen D-Mark", sagt Uwe Schneider, der nach 1990 auch gleich Mitglied eines deutsch-deutschen Planungsteams wird, dass die Sanierung und Umgestaltung der Neustadt fachlich begleiten und koordinieren wird.

"Milieuschutz"

Übriggeblieben aus dieser Zeit und dem Geld aus Hamburg ist bis heute eine Stiftung "Äußere Neustadt", die inzwischen auch das umfangreiche Archiv der wilden IG-Jahre verwaltet. Denn das Sanierungsprojekt ist inzwischen Geschichte. Die damals damit verbundenen sozialen Anliegen sind es aber noch lange nicht. Denn zum Sanierungskonzept gehörte von Beginn an ein umfassendes Sozialkonzept. "Milieuschutz" würde man es heute nennen. "Das haben uns ja alle aus dem Westen schon 1990 erklärt, wie das läuft: dass solche Viertel dann von jungen Leuten und Künstlern entdeckt werden und irgendwann rollt eine Welle drüber und es wird enorm aufgewertet", sagt Uwe Schneider. "Und jetzt kommt die nächste Welle, die vielleicht der Neustadt den Rest gibt. Also der Verwertungsdruck hat definitiv zugenommen."

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 30. Juni 2019 | 22:35 Uhr

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