Wahl 2024 Schicksalswahl Thüringen - kann sich Geschichte wiederholen?
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24. August 2024, 05:00 Uhr
Vor hundert Jahren gab es schon einmal eine sogenannte Schicksalswahl in Thüringen. Damals traten bürgerliche und konservative Parteien mit dem Ziel an, die Linksregierung aus KPD und SPD abzulösen. Doch die Wahl am 10. Februar 1924 brachte keine absolute Mehrheit für die bürgerlichen Parteien des "Thüringer Ordnungsbund". Der Bund ließ sich daher von der "Vereinigten Völkischen Liste" tolerieren, um eine Regierung stellen zu können. Thüringen wurde zum Machtlabor der Nazis für ganz Deutschland.
Vor einhundert Jahren gab es schon einmal eine sogenannte Schicksalswahl in Thüringen. Damals traten bürgerliche und konservative Parteien mit dem Ziel an, die Linksregierung von KPD und SPD abzulösen. Doch die Wahl am 10. Februar 1924 brachte keine absolute Mehrheit für die im „Thüringer Ordnungsbund“ zusammengeschlossenen bürgerlichen Parteien. Um dennoch eine Regierung stellen zu können, ließ sich der Bund von der „Vereinigten Völkischen Liste“ tolerieren, einer antisemitischen Partei, der auch Mitglieder der nach dem Hitlerputsch verbotenen NSDAP angehörten. Welche Vergleiche lassen sich heute ziehen? Wir blicken zurück:
Redeverbot von Adolf Hitler aufgehoben
Die "Vereinigten Völkischen Liste" war eine antisemitische Partei, die als Ersatz für die nach dem Hitler-Putsch verbotene NSDAP gegründet worden war. Damit hatten erstmals Nationalsozialisten in Deutschland das Sagen. Die Folgen waren sofort spürbar: Dem als "jüdisch unterwandert" geltenden, der Moderne verpflichteten avantgardistischen Bauhaus wurden 50 Prozent der Mittel gestrichen, sodass es sich zum Umzug nach Dessau genötigt sah. Das Redeverbot für Adolf Hitler wurde aufgehoben, ebenso das Verbot der NSDAP im März 1924. Im restlichen Deutschland war das erst im Februar 1925 der Fall. 1926 hielt die NSDAP ihren ersten Reichsparteitag in Weimar ab. "Das Dritte Reich zieht auf", notierte Joseph Goebbels. Vier Jahre später waren die Nationalsozialisten an der Regierung. Thüringen wurde zum Machtlabor der Nazis für ganz Deutschland.
Grenzen des Sagbaren werden verschoben
Der Jenaer Historiker Andreas Braune sieht auch heute vergleichbare Entwicklungen, wenn Björn Höcke fordert, man müsse den Ideologiestaat zurückdrängen. "Wenn die Rechten dann erst einmal an der Macht sind, werden sie alles dafür tun, sozusagen eine Gegenöffentlichkeit, eine Gegen-Zivilgesellschaft in ihrem Sinne aufzubauen", so Braune. Auch ihn erinnert einiges an die Zeit vor 100 Jahren: Die Wut und der Hass in der Sprache besonders der Rechtspopulisten, die Feindseligkeit und die Verachtung gegenüber dem politischen Gegner.
Man kann da zumindest Parallelen oder gewisse Elemente wiedererkennen, denn diese Verrohung der politischen Sprache ist ganz evident.
Angriffen von rechts widerstehen
Dagegen versucht der Weimarer Verein "Distanz e.V." anzukämpfen. Peer Wiechmann leitet den Verein. Er und seine Mitstreiter gehen an Schulen und in Vereine. Meist werden Sie gerufen, wenn rassistisches und diskriminierendes Verhalten bei Schülern aufgefallen ist. Das Team von Distanz e.V. schafft Räume für den Austausch mit den Jugendlichen - Zum Beispiel werden Workshops organisiert, die nah an der Lebenswelt von Jugendlichen dran sind, beispielsweise Graffiti - oder Gamingworkshops. Dabei kommen die jungen Leute viel eher aus sich heraus, sind offener für Gespräche über die problematischen Themen, so die Idee. Aber wie lange wird es solche Vereine und Institutionen noch geben, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus einsetzen? Björn Höcke, Landesvorsitzender der AfD in Thüringen, hat schon angekündigt, solche Projekte dann einzustellen, wenn er an die Macht kommt.
Wir werden den Kampf gegen Rechts einstellen, weil dieser Kampf gegen rechts ein Kampf gegen die bürgerliche Welt mit ihren Werten und Ordnungsvorstellungen ist.
Demokratie stärken - aus der Vergangenheit lernen
Unweit von Weimar liegt die Gedenkstätte Buchenwald. Mehr als 56.000 Menschen starben in dem Konzentrationslager und den dazugehörigen Außenlagern. Gedenkstättenleiter Jens Christian Wagner warnt vor der Gefahr durch das Erstarken der AfD, in deren Reihen sich Nationalsozialistisches Gedankengut breitmacht. Die Gedenkstätte Buchenwald bleibt von Hass und Hetze nicht verschont. Vor zwei Jahren beschädigten Unbekannte die Gedenkbäume, die an die vielen tausend Opfer der Todesmärsche erinnern, die in den letzten Tagen der NS-Zeit starben. Strafrechtlich relevante Zuschriften, welche den Holocaust leugnen oder relativieren, hat Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner in einem eigenen Ordner gesammelt und bringt sie zur Anzeige. Wagner hat AfD-Politikern Hausverbot für das Gelände des früheren Konzentrationslagers erteiltert. Im Interview mit der "MDR Zeitreise" attestiert er Björn Höcke ein völkisches Konzept wie die Nationalsozialisten zu verfolgen.
Wir wissen, zu welchen Folgen das geführt hat im Nationalsozialismus. Deshalb sollten wir da sehr wachsam sein.
Rechtsaußen durch Einbindung entzaubern?
Wagner lässt sich durch die Anfeindungen aus den Reihen der Rechtspopulisten nicht abschrecken. Er zieht Parallen zur Thüringenwahl vor 100 Jahren. 1924 gab es in Thüringen Landtagswahlen. Konservative Kräfte wollten die Linksregierung ablösen. Bei der Wahl verfehlten sie aber die absolute Mehrheit. Sie kamen nur an die Macht, weil sie sich von der "Vereinigten Völkischen Liste" tolerieren ließen. Einer antisemitischen Partei, die als Ersatz für die nach dem Hitler-Putsch verbotene NSDAP gegründet worden war. Damit hatten erstmals Nationalsozialisten in Deutschland das Sagen. Deren Einfluss hat man damals offenbar unterschätzt.
Das heißt, in Thüringen ist in den 20er-Jahren die nationalsozialistische Bewegung sehr stark unterstützt worden durch bürgerliche, konservative Regierungen, die die Gefahr von Rechtsaußen offensichtlich nicht wirklich ernst genommen haben, die gedacht haben, sie könnten Rechtsextreme durch Einbindung entzaubern. Und das lehrt uns der Blick auf die 20iger Jahre in Thüringen, dass diese Entzauberungsstrategie nicht funktioniert. Und eins unterscheidet uns zum Jahr 1924 und auch zum Jahr 1930. Denn wir wissen, wie es damals ausgegangen ist, das wussten die Leute 1924 und 1930 noch nicht.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 25. August 2024 | 22:20 Uhr