Tod im Polizeirevier Dessau 2005 Warum musste Oury Jalloh sterben?

11. Dezember 2024, 11:17 Uhr

Vor knapp 20 Jahren verbrennt ein Mann, der vor dem Bürgerkrieg in Sierra Leone geflüchtet ist, in einer Zelle der Dessauer Polizeiwache. Von Anfang an bestehen Zweifel an der offiziellen Darstellung, der Mann habe sich selbst mit einem Feuerzeug angezündet. Trotz jahrelanger Gerichtsprozesse ist der Fall bis heute nicht geklärt. Freunde und Familie suchen mittlerweile Hilfe beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Am 7. Januar 2005 starb Oury Jalloh im Polizeigewahrsam in Zelle 5 der Dessauer Polizeiwache. Bis heute sind die genauen Todesumstände des aus Sierra Leone stammenden Mannes ungeklärt. Polizei und Justiz sprachen nach dem Vorfall schnell davon, er habe sich selbst angezündet – zu viele Indizien und Fakten jedoch sprechen dagegen.

Ein Mann sitzt in einem Raum und blickt in die Kamera.
Bildrechte: ARD

Fast 20 Jahre später und trotz jahrelanger und mittlerweile abgeschlossener Gerichtsprozesse konnte der Fall bisher nicht geklärt werden. Die sechsteilige Doku-Serie  in der ARD CrimeTime  „Warum verbrannte Oury Jalloh?“ rollt den Fall kurz vor dem 20. Todestag Jallohs noch einmal auf. Zu Wort kommen Staatsanwälte und Juristen, Investigativjournalistinnen und -journalisten, die den Fall von Beginn an begleitet haben, Freunde des Verstorbenen sowie seine damalige Partnerin – und erstmals äußert sich auch ein Polizeibeamter aus Dessau zur Tat.

Rückblick: Was geschah am 7. Januar 2005?

Oury Jalloh, ein Asylbewerber in Dessau, kam in Polizeigewahrsam, weil er angeblich Frauen belästigt und Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet haben soll. Die Zelle, in der der Mann festgesetzt wurde, ging aus bislang ungeklärten Umständen in Flammen auf.

Eine Brandanalyse im Todesermittlungsverfahren des damals in Deutschland lebenden Sierra Leoner, Oury Jalloh, wird in einem Raum im Institut für Brand- und Löschforschung in Dippoldiswalde (Sachsen) für die anwesenden Journalisten mit einem Beamer auf eine Wand projeziert.
Eine Brandanalyse im Todesermittlungsverfahren im Fall Oury Jalloh soll Aufschluss über die mögliche Ursache des Feuers geben. Bildrechte: picture alliance / dpa | Arno Burgi

Die Staatsanwaltschaft schloss bereits 2005 technische Ursachen für den Brand aus. Weil der damals 36-Jährige gefesselt und die Matratze in der Zelle schwer entflammbar gewesen war, gab es immer wieder Zweifel an der Version der Behörde, nach der sich der Festgenommene selbst angezündet haben soll. Immer wieder wurden stattdessen Vermutungen laut, nach denen es sich um vorsätzliche Tötung gehandelt haben könne.

Mängel bei der Spurensicherung

Im Film kommen verschiedene Protagonisten zu Wort, darunter Felix Isensee. Er hat die Nebenklage am Landgericht Dessau mitvertreten und bemängelt grobe Fehler, etwa bei der Spurensicherung am Tatort. So sei eine der Handfesseln verschwunden, mit denen Jalloh gefesselt war.

Mouctar Bah, von der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V. kontrolliert ein mit Sensoren, Schweinehaut und Fett versehenen Dummy in einem Raum im Institut für Brand- und Löschforschung in Dippoldiswalde
Mouctar Bah, von der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V., kontrolliert ein mit Sensoren, Schweinehaut und Fett versehenen Dummy in einem Raum im Institut für Brand- und Löschforschung in Dippoldiswalde. Bildrechte: picture alliance / dpa | Arno Burgi

Obwohl bei Jallohs Festnahme und anschließender Durchsuchung, bei der selbst eine Büroklammer in seiner Kleidung gefunden worden war, kein Feuerzeug entdeckt wurde und nach der ersten Spurensuche im Anschluss an seinen Tod keines gefunden wurde, kam im Laufe der Ermittlungen überraschend doch eines ins Spiel. Mit diesem Feuerzeug unbekannter Herkunft soll sich der Mann mutmaßlich selbst angezündet haben. All das geht aus den Akten hervor, die den Filmemacher:innen vorliegen. Diesem Feuerzeug soll im Lauf der Ermittlungen noch eine maßgebliche Rolle zukommen.

Brandversuche deuten auf Einsatz von Brandbeschleuniger hin

Der zuständige Staatsanwalt hält jahrelang an der Selbstentzündungsthese fest. Erst von der Feuerwehr durchgeführte Brandversuche, die zeigen, dass ein derartiges Feuer ohne fremdes Zutun unmöglich zu entfachen ist, bringen ihn dazu, Mordermittlungen gegen Dessauer Polizisten einzuleiten.

Denn die Ergebnisse legen nahe: Jemand muss Oury Jalloh mithilfe von Brandbeschleuniger angezündet haben.

Rechtsmediziner stellten fest, dass Oury Jallohs Nasenbein gebrochen war.
Bildrechte: WDR

Verdächtigt werden die Streifenpolizisten, die den Asylbewerber in der Nacht auf den 7. Januar 2005 aufgegriffen haben. Hanno Schulz, damals Leiter des Revierkriminaldienstes, schließt das aus. "Die beiden Streifenbeamten gehörten nicht zu der Kategorie Beamte, die gerne mal ein bisschen Action und Krawall haben. Da kann ich also ruhigen Gewissens behaupten, dass das beides zwei ganz ruhige, zurückhaltende Vertreter waren."

Kampf um die Wahrheit

Die Dokumentation deckt weitere Ungereimtheiten der bisherigen Verfahren auf. So wurden zum Beispiel bei der Obduktion Oury Jallohs keine Röntgenaufnahmen seines verbrannten Körpers gemacht. Dafür, hieß es damals seitens der Staatsanwaltschaft, habe es keine Notwendigkeit gegeben.

Oury Jallohs Freund, der Dessauer Mouctar Bah, kämpft seit dem Tod des Mannes aus Sierra Leone für die Aufklärung der Todesumstände und tritt in der Nebenklage auf. Er schafft es schließlich, eine zweite Autopsie zu veranlassen.

Mouctar Bah kämpft seit 20 Jahren darum, den Tod seines Freundes Oury Jalloh aufzuklären.
Mouctar Bah kämpft seit 20 Jahren darum, den Tod seines Freundes Oury Jalloh aufzuklären. Bildrechte: WDR

Durchgeführt wurde diese Obduktion vom Frankfurter Rechtsmediziner Hans Jürgen Bratzke. "Bei der Röntgenuntersuchung wurde festgestellt, dass ein Nasenbeinbruch vorlag", sagt der Mediziner. Eine solche Verletzung komme in der Regel durch Gewalteinwirkung zu stande, etwa einen Faustschlag ins Gesicht oder wenn jemand seinen Kopf gegen eine Wand schlägt. Verletzungen seien jedoch weder im Arztbericht, noch in den Unterlagen der Polizei vermerkt, bestätigt der Sonderbeauftragte des Landtags Sachsen-Anhalt Strafverteidiger Jerzy Montag.

Drei ungeklärte Todesfälle im Zusammenhang mit Dessauer Polizeiwache

Oury Jalloh war nicht der einzige Mann, der in der oder im Zusammenhang mit der Dessauer Polizeiwache ums Leben gekommen ist. Auch darum geht in der sechsteiligen Doku-Serie.

Vor 30 Jahren starb Hans-Jürgen Rose schwerstverletzt im Krankenhaus. Zuvor war der 36-Jährige in jenem Dessauer Polizeirevier vernommen worden, das Jahre später wegen des qualvollen Todes von Oury Jalloh ins Visier der Öffentlichkeit gerät.

In Zelle Nr. 5 verbrannte der gefesselte und fixierte Oury Jalloh.
In Zelle Nr. 5 verbrannte der gefesselte und fixierte Oury Jalloh. Bildrechte: WDR

Es ist auch dasselbe Polizeirevier, auf dem drei Jahre vor Jallohs Tod ein weiterer Mann mit einem Schädelbasisbruch stirbt. In Zelle 5 – der Zelle, in der Jalloh im Januar 2005 brennen wird. Dass es sich um einen Zufall handelt, glaubt weder die Familie von Hans-Jürgen Rose noch die Investigativjournalistin Margot Overath, die sich seit 2009 mit dem Fall Oury Jalloh beschäftigt. Ihre These: "Das der Fall Oury Jalloh vertuscht werden sollte, weil es schon zwei vorherige Todesfälle gab."

Viele Fragen … und neue Ermittlungen

Unklar ist im Fall Jalloh noch immer vieles: Wie konnte ein gefesselter Mann in seiner Zelle verbrennen, sich gar selbst anzünden? Woher kommt das Feuerzeug, das weder die Polizei noch die Spurensicherung zunächst gefunden hatten? War Oury Jalloh vielleicht schon tot, als das Feuer ausbrach? Und wie konnte ein derart heftiger Brand in einer komplett gefliesten Zelle ausbrechen? Diese Fragen stellen sich Anwälte, Journalisten, Rechtsmediziner und Feuerwehrleute, die vor Ort im Einsatz waren.

"Was wirklich in der Zelle passiert ist, wissen einige Polizeibeamte. Da bin ich fest von überzeugt", sagt der Investiativjournalist Pagonis Pagonakis.

Doch aller Ungereimtheiten zum Trotz: Es bleibt bei der Einstellung des Verfahrens. In Deutschland ist der Fall juristisch abgeschlossen. Oury Jallohs Freunde und Familie aber kämpft unentwegt weiter. Im Juli 2023 haben sie Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Sie wollen erreichen, dass die Ermittlungen im Fall Jalloh wiederaufgenommen werden.

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Dieses Thema im Programm: ARD Videopublisher | ARD CrimeTime - Warum verbrannte Oury Jalloh? | 27. November 2024 | 00:01 Uhr