Max Hubacher im Interview "Am schwierigsten war es, meine Moral abzulegen"
Hauptinhalt
15. März 2018, 08:53 Uhr
Der Film "Der Hauptmann" erzählt die wahre Geschichte des 19-jährigen Soldaten Willi Herold, der in den letzten Kriegswochen als Deserteur in die Rolle eines Hauptmanns schlüpft. So übernimmt er die Kontrolle über ein Kriegsgefangenenlager, wo er schließlich fast 170 Menschen ermorden lässt. MDR-Zeitreise hat mit dem Hauptdarsteller Max Hubacher über seine schwierige Rolle gesprochen.
Sie spielen im Film "Der Hauptmann" die Hauptrolle des Willi Herold, wie würden Sie seinen Charakter beschreiben?
Man muss sich vorstellen, dass Willi Herold sehr früh, mit 17 Jahren eingezogen wurde und in Monte Cassino (Die Schlacht im südlichen Italien dauerte vier Monate und gilt als eine der längsten und blutigsten während des Zweiten Weltkriegs – A.d.R.) gekämpft hat. Er wurde sozusagen vom Krieg sozialisiert und ich glaube, wenn man vom Krieg sozialisiert wird und diese ganze Brutalität mitbekommt und am eigenen Leib erfährt, neigt man auch eher dazu, selbst Brutalität auszuüben.
Am Anfang des Films aber versucht er in erster Linie zu überleben. Er ist ja desertiert und er will weg von der Front, findet dann diese Hauptmannuniform, womit er sich dann erstmal was zu essen sichern kann. Er denkt da gar nicht so weit voraus, vieles spielt ihm dagegen einfach in die Hände. Dann kommt noch dazu, dass er auf jeden Fall ein Gaukler ist, der sich sehr gut auf das Spiel versteht. Und ich glaube, er ist auch ein guter Schauspieler. Grundsätzlich fand ich es sehr spannend, dass er einer ist, der vom Gejagten zum Jäger wird. Ich denke auch, dass man irgendwann, wenn man keine Grenzen und Konsequenzen des eigenen Handelns aufgezeigt bekommt, immer weiter geht. Er ist ja eigentlich noch fast ein Teenager und wenn du in diesem Alter keine Grenzen aufgezeigt bekommst, gehst du immer weiter, was bei ihm letzten Endes sogar zu einer Todessehnsucht führt, zu dem Wunsch geschnappt zu werden, denn am Ende wird er sehr fahrlässig.
Welche Rolle spielen die Begleitumstände, das undurchsichtige Chaos der letzten Kriegswochen, für die Entwicklung seiner Geschichte?
Er hat natürlich total davon profitiert, dass totales Chaos herrschte und die gesamte Organisation des Dritten Reichs kaum mehr funktioniert hat - nicht zuletzt, als er als Hauptmann das Kommando in diesem Arbeitslager im Emsland übernommen hat. Die Lagerleitung wollte die Gefangenen ja sowieso umbringen, aber um es "deutsch" zu machen, musste man ein Standgericht hinzuziehen. Und da ging es gar nicht mehr groß darum, ist es jetzt ein richtiger Hauptmann oder nicht. Sie haben dann einfach gedacht, offenbar hat er die Vollmacht vom Führer, alles zu tun, den können wir direkt für unsere Zwecke missbrauchen.
Jeder Beteiligte verfolgte also eigene Interessen und hat die anderen für sich ausgenutzt?
Ja, auf jeden Fall. Natürlich ging es den meisten in erster Linie darum die eigene Haut zu retten, aber wenn da plötzlich einer vor dir steht und behauptet die Vollmacht vom Führer zu haben und damit auch noch ständig durchkommt, dann schließt du dich dem wahrscheinlich erstmal an. Im besten Fall soll sich also der Zuschauer die Frage stellen, was hätte ich getan?
Wie haben sie diese Frage für sich beantwortet – was hätten Sie getan?
Es ist sehr schwierig zu beantworten, weil wir aus heutiger Sicht die ganzen Optionen abwägen und das ganze werten können. Deshalb heißt es ja auch Geschichte. Aber wenn etwas jetzt passiert, reagiert man instinktiv. Ich glaube, sobald es um die Morde gegangen wäre, darum jemanden umzubringen, wäre ich abgehauen. Das ist für mich die eigentlich spannende Frage: Warum haut er nicht ab, warum zieht er die Uniform nicht aus? Und ich glaube, da ist bei ihm einfach ein Reiz da, er will unbedingt wissen, wie weit er das treiben kann, er reizt es aus.
Wie weit konnten Sie sich mit Ihrer Rolle identifizieren, sich in sie hineinversetzen?
Die schwierigste Aufgabe war tatsächlich, während des Drehzeitraums meine Moral abzulegen. Wenn du dich etwa mit einer Situation konfrontiert siehst, in der du die Befugnis erteilst, über 100 Menschen umzubringen. Meiner Meinung nach ist das sowieso eine der Hauptaufgaben eines Schauspielers, dass er nicht wertet. Also auch seine Figur während ihres Tuns nicht bewertet, sondern versucht sich absolut in sie reinzuversetzen.
Ich würde aber nicht von Identifikation reden. Es ist natürlich ein Herantasten an die Figur und dadurch, dass es die Figur auch wirklich gab, hatten wir wahnsinnig viel Material über diesen Willi Herold und über die Zeit, in das ich mich intensiv einlesen konnte. Dann haben wir uns Untertexte gebaut, um zu verstehen, warum die Figur das tut, was sie tut. Denn was mich nicht interessiert, sind Klischees.
Ich glaube, niemand wird böse geboren, ich glaube, unsere Handlungen machen uns zu etwas Bösem.
Gab es Momente, in denen Sie sich vor Ihrer Rolle geekelt haben?
Ja, natürlich, natürlich gab es solche Momente. Ich hatte am meisten Mühe, wenn es um passive Momente ging, als er merkt, er kann jetzt nicht weiter gehen, aber es muss etwas geschehen. Da lässt er den Kipinski etwa, der quasi sein Bluthund ist, einfach gewähren. Er weiß, was da passieren wird, er weiß, dass Kipinski jetzt gleich auf die Gefangenen losgehen wird, er gibt nicht mal den Befehl dazu, sondern lässt es einfach geschehen. Da hab ich mich am meisten geekelt. Weil du da nicht einmal die Verantwortung für dein Tun übernimmst. Diese Passivität, das hat mich am meisten angeekelt.
Wie haben sie sich auf die Rolle vorbereitet?
Wir haben wahnsinnig viel geprobt, eigentlich jede Szene, was unüblich ist beim Film. Normalerweise probt man ja die großen Szenen, um sich an die kleineren dann heranzutasten. Aber wir haben eigentlich das ganze Drehbuch durchgeprobt. Was mir sehr zu Gute kam, war natürlich auch, dass wir chronologisch gedreht haben, das ist natürlich sehr dankbar für einen Schauspieler. Gerade wenn du in so ein Riesending reingeschmissen wirst: Am Anfang bin ich ein gehetzter Soldat und am Ende dann dieser Hauptmann. Wir haben uns stark damit beschäftigt, wo hört Herold auf, wo verschwindet er? Am Anfang ist es ja wirklich nur der Herold. Dann erkennt er den Hauptmann in sich, spielt diesen Hauptmann. Und irgendwann passiert die Synthese: Dann gibt es keine Trennung mehr zwischen Hauptmann und Herold – sie werden eins. Herold ist Hauptmann und der Hauptmann ist Herold.
Max Hubacher ist 1993 im schweizerischen Bern geboren und aufgewachsen. Sein Filmdebüt gab er bereits mit 17 Jahren in den "Stationspiraten", wo er einen krebskranken Jungen spielte. 2012 wurde er als bester Darsteller mit dem Schweizer Filmpreis ausgezeichnet. Seit 2014 studiert Hubacher Schauspiel an der "Hochschule für Musik und Theater" in Leipzig.
Über dieses Thema berichtete MDR im Sachsenradio 12.03.2018 | 21.15 Uhr