ARD-Doku "Egostory" Leni Riefenstahl, Karl May & Co. - Wie sich historische Persönlichkeiten psychologisch erklären lassen
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18. Dezember 2022, 05:00 Uhr
War der sächsische Schriftsteller Karl May nur ein genialer Selbstvermarkter – oder das, was wir gemeinhin einen notorischen Lügner nennen? Und wie stand es tatsächlich um die angeblichen Sexvorlieben der Zarin Katharina der Großen – oder warum wurden ihr gerade auf diesem Gebiet Absonderlichkeiten nachgesagt, die sich bis heute hartnäckig halten? Warum handelte jemand genau so, warum wurde etwas getan oder nicht getan? Und wie kann man dies heute, teils Jahrhunderte später noch herausfinden?
Karl May, Leni Riefenstahl oder Lotte Ulbricht: Was bewegte diese Personen zu ihrem Handeln? Die ARD-Dokureihe "Egostory" (Ego + History) schaut mit einer psychologischen Fragestellung auf die Motivation und das Verhalten ambivalenter historischer Persönlichkeiten.
Nazi-Regisseurin Leni Riefenstahl
Leni Riefenstahl (1902-2003) war während des Nationalsozialismus Deutschlands berühmteste Regisseurin und Produzentin. Ihr NS-Propagandafilm "Triumph des Willens" - eine Reichsparteitagdokumentation - gilt als ihr einflussreichstes Werk. Trotz enger Verbindungen zu Hitler behauptete Riefenstahl von den nationalsozialistischen Verbrechen wie dem Holocaust nichts gewusst zu haben. Wie ahnungslos war die schillernde NS-Filmemacherin wirklich?
Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte Riefenstahls beispiellosem Höhenflug ein grenzenloser Fall: 1947 wurde die Nazi-Regisseurin in eine Nervenheilanstalt in Freiburg zwangseingewiesen und mit Elektroschocks therapiert. Riefenstahl entwickelte eine Überlebensstrategie, verdrängte, verleugnete und konstruierte sich ihre Vergangenheit neu. Gemieden und missverstanden, führte sie bis zu ihrem Tod 2003 einen Kampf um Anerkennung und Ruhm.
First Lady der DDR: Lotte Ulbricht
Weltverbesserin, Kommunistin, Frauenrechtlerin. Unbestechlich und kompromisslos – Lotte Ulbricht. Sie schaffte es vom Arbeiterkind zur mächtigsten Frau in der DDR, First Lady an der Seite Walter Ulbrichts. Mit ihrer kühlen Art setzt sie sich im Land und in den eigenen Reihen durch. Öffentlich bewundert und stets selbstbeherrscht wurde sie jedoch von der eigenen Tochter Beate gehasst und gemieden. Lotte Ulbricht scheiterte an den Ansprüchen, die sie an sich selbst und die Gesellschaft hatte und den Idealen, denen sie nachjagte. Zu ihrer Tochter, die am 6. Dezember hatte sie keinen Kontakt mehr, bis diese am 6. Dezember 1991 unter ungeklärten Umständen in ihrer Wohnung zu Tode kam.
Autor und Hochstapler Karl May
Der Schriftsteller Karl May (1842-1912) verstand es, Geschichten zu erzählen und schuf eine Fantasiewelt, die er für wahr verkaufte. So behauptet er, die in seinen Büchern niedergeschriebenen Abenteuer selbst erlebt zu haben. Angeblich kämpfte er als Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi gegen Grizzlybären und verstand 1.200 Dialekte und Sprachen. Wie konnte er sich so in seine Fantasien reinsteigern und die schillernden Erzählungen glaubwürdig vermarkten? "Wenn das einzige, was er besitzt, sein Kopf und seine Imagination ist, seine Einbildungskraft, dann kann so jemand aus ihm werden, wie es später aus ihm wurde.", sagt Richard Hemmer.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nachdem er von seiner wahrhaft ersten Orientreise zurückkehrte, musste sich Karl May Betrugs- und Hochstapeleivorwürfen stellen. Kritiker, vorrangig Journalisten und Redakteure, warfen ihm vor, ein Plagiator zu sein. "Je älter er wird und desto berühmter er wird, desto mehr beginnen Leute auch in seiner Vergangenheit zu graben. Und sie breiten natürlich dann in der Öffentlichkeit liebend gern diese kriminelle Vergangenheit von Karl May aus. Und die letzten Jahre seines Lebens wird er in etliche Prozesse verstrickt sein.", so Hemmer.
May wehrte sich gegen die Anschuldigungen und wandte sich zum Ende seines Lebens von den Abenteuererzählungen ab. Fortan schrieb er Romane über philosophische Themen. Karl May starb am 30. März 1912 in Radebeul. Es ist schwer zu beurteilen, ob May krankhaft lügen musste oder einfach nur ein gerissener Hochstapler war. Karl May bleibt jedoch bis heute eine widersprüchliche und umstrittene Person. Das zeigt die jüngste Diskussion um die Neuverfilmung seines Erfolgwerkes "Winnetou".
Die Juden haben die Pest gebracht
Europa wurde immer im 14. Jahrhundert immer wieder von Pestwellen erfasst. Die mittelalterliche Bevölkerung versuchte zu erklären, woher die Seuche kam und fand dafür schnell Schuldige: Jüdinnen und Juden. Sie sollen angeblich die Brunnen vergiftet haben. Heute nennen wir das Fake News. Damals führt es zu gewalttätigen Angriffen auf die jüdische Bevölkerung in ganz Europa. In wenigen Monaten wurden aus einfachen Handwerkern und Händlern brutale Mörder. So auch beim Pogrom in Erfurt 1349. Mittendrin war der Jude Kalman von Wiehe, der im Geldhandel tätig war. Aus Angst vor Raub und Plünderung versteckte er seine Besitztümer, die erst 1998 im ehemaligen jüdischen Quartier wiedergefunden wurden - der sogenannte Erfurter Schatz.
Russische Zarin: Katharina die Große
Katharina II. (1729-1796) musste als Zarin von Russland die wildesten Zuschreibungen über sich ergehen lassen, so wurde ihr ein ausschweifender Lebensstil und sexuelle Grenzenlosigkeit nachgesagt. Was davon kann überhaupt real sein? Sie selbst sagte: "Ich habe achtzehn Jahre lang ein Leben geführt, von dem zehn andere verrückt geworden und zwanzig an meiner Stelle vor Gram gestorben wären." Doch Katharina Alexejewna stirbt nicht und sie wird auch nicht verrückt. Sie war ein Freigeist, angetrieben von ihrem Ehrgeiz und der Sehnsucht nach Macht, Lust und Liebe. Dieser Lebensstil kam ihr zu Gute. Die Gefühle einzusetzen, sie zu nutzen, wurde zu Katharinas Prinzip. Mit eisernem, unerschütterlichem Willen reformierte sie in vierunddreißigjähriger Herrschaftszeit Staat und Gesellschaft, fördert Kunst und Wissenschaft und führte Russland an die Spitze der europäischen Großmächte.
Die MDR-Geschichtsreihe "Egostory"
Im Format "Egostory" vermischen sich Doku und Podcast. Zwischen den filmischen Spielszenen gibt es immer wieder die historische Einordnung im Podcast-Format. Gestaltet wird das von den beiden preisgekrönten Geschichts-Podcaster Richard Hemmer und Daniel Meßner. Seit 2015 sprechen die beiden studierten Historiker in ihrem Podcast "Geschichten aus der Geschichte" über interessante und skurrile Ereignisse, Personen oder Zusammenhänge der Geschichte und erreichen damit ein Millionenpublikum.
Das Team wurde von der Psychologin Csilla Jeszenszky fachlich beraten. Die Filme erzählen von Schlüsselmomenten aus dem Leben historischer Persönlichkeiten und erklären menschliche Verhaltensmuster wie Verrat, Verleugnung, Narzissmus, Angst oder Liebe. So beeinflussen psychologische Muster und Verhaltensweisen auch den Lauf der Geschichte.
In diesen Filmen wird versucht, in die psychologische Komponente reinzuschauen: Wie haben sich die Leute gefühlt? Was ist in Ihnen vorgegangen, während sie die Dinge gemacht haben, die sie gemacht haben und für die sie heute auch in den Geschichtsbüchern stehen.
Jede der fünf Folgen widmet sich einer bekannten historischen Persönlichkeit. Alle Personen verbindet eine gewisse Widersprüchlichkeit, sei es durch eigenes Handeln oder durch die Umstände, unter denen sie lebten. In der Doku-Reihe werden Fragen gestellt, die auf die Psyche und Motive der Persönlichkeit abzielt. Also beispielsweise, warum eine Person so handelte und wie sie tickte? Die beiden Podcaster liefern die historischen Fakten und verknüpfen die psychologische Deutung und das historische Umfeld.
Die 5-teilige Dokureihe ist in der ARD-Mediathek abrufbar.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR-ZEITREISE | 18. Dezember 2022 | 22:00 Uhr