Die bulgarische "Mauer"
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12. August 2016, 17:55 Uhr
Früher war die bulgarisch-türkische Grenze Teil des "Eisernen Vorhangs". Heute ist sie EU-Außengrenze. Dort errichtete Bulgarien eine 30 Kilometer lange Mauer, um "illegale Migranten" fernzuhalten.
Die Technik ist vom Feinsten im Grenzrevier Svilengrad an der bulgarisch-türkischen Grenze: Es gibt Infrarot- und Wärmebildkameras, Radaranlagen und Sensoren im Boden, die jede Bewegung registrieren. Zudem ist alles komplett videoüberwacht. Sobald sich jemand dem Grenzzaun nähert, und sei es nur ein Kaninchen oder ein Igel, wird in der hochmodernen Grenzpolizeistation in Svilengrad Alarm ausgelöst und die Grenzschützer könnten sich im Ernstfall geschwind in Bewegung setzen. Es komme kaum noch jemand rüber, sagen die Beamten sichtlich stolz, die Grenze sei dicht.
Wo der Westen zu Ende ist
Svilengrad ist eine Kleinstadt im äußersten Südosten Bulgariens, 300 Kilometer sind es bis zur Hauptstadt Sofia, fast ebenso viele bis nach Istanbul. Die knapp 20.000 Einwohner der Stadt leben zu einem nicht geringen Teil von der nahe gelegenen Grenze und dem durchaus regen Grenzverkehr – entlang der Straße zum Übergang sind Stände mit Obst und Erfrischungen aufgebaut, es gibt zahlreiche Restaurants und Pensionen.
Von einem Hügel am Stadtrand kann man die etwas mehr als zehn Kilometer entfernte Grenze sogar sehen – einen sich über sanft schwingende Bergketten hinziehenden Stacheldrahtzaun, aus dem sich in regelmäßigen Abständen dunkle quadratische Türme erheben. Das ist die bulgarische Mauer. Der Ende 2013 errichtete Schutzwall an der Außengrenze der Europäischen Union, dort, wo der Westen zu Ende ist.
Damals und heute
Damals, vor 30, 40 Jahren, als Bulgarien noch ein Teil der sogenannten "sozialistischen Staatengemeinschaft" war, verlief hier ein Strang des "Eisernen Vorhangs" – die Staatsgrenze der Volksrepublik Bulgarien zur Türkei. Trotz dutzendfacher Versuche von Menschen aus der DDR oder der ČSSR - kaum jemandem gelang die Flucht über die vermeintlich nur mäßig gesicherte Grenze in die Türkei. Fast alle wurden sie geschnappt und zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Einige sind beim Versuch, die Grenze übertreten, sogar erschossen worden. Die bulgarischen Grenzer nämlich kontrollierten an ihrer Staatsgrenze nicht viel anders als ihre Kampfgenossen an der innerdeutschen Grenze. Die Grenzanlagen waren fast unüberwindbar. Und beinahe unüberwindbar sind sie heute immer noch.
Ruin der Sozialsysteme
"Wir haben die bestbewachte Grenze im Schengen-Raum", tönte ein selbstbewusster bulgarischer Premierminister Boiko Borissow noch 2012. "Die Europäer können ruhig schlafen", fügte er lächelnd hinzu. Als größte Herausforderung der bulgarischen Grenzbehörde sah Borissow die "illegale Migration" an. Und seine Aussage sollte sich nur allzu bald bewahrheiten: Von 2013 an strömten syrische Flüchtlinge, die in der EU Schutz vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat suchten, über die Türkei nach Bulgarien. Mehr als 100 Flüchtlinge waren es jeden Tag, die illegal die Grenze überschritten. Die bulgarischen Grenzbehörden durften sie nicht in die Türkei zurückschicken – entsprechende Vereinbarungen gab es mit dem Nachbarstaat nicht. Im Spätherbst 2013 hielten sich bereits knapp 7.000 syrische Asylbewerber in Bulgarien auf. Der Balkanstaat ist eines der ersten EU-Länder, welches von Syrien aus auf dem Landweg zu erreichen ist. Aber es ist gleichzeitig auch das ärmste der EU-Länder und sah sich schnell am Rand seiner Möglichkeiten angekommen. Die Kapazität der Flüchtlingslager war erschöpft. Die bulgarische Regierung prognostizierte eine "humanitäre Krise" und warnte vor "schwerwiegenden Folgen" für das an sich schon marode Sozialsystem. Und obgleich der bitterarme Staat unter den enormen Kosten, die er für die Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge aufzubringen hatte, ächzte, erhielt er keine angemessene Hilfe aus Brüssel. Bulgarien litt unter dem gleichen Problem, das sämtliche Staaten an den EU-Außengrenzen haben – die Brüsseler Behörde lässt sie allein. So gibt es zum Beispiel noch nicht einmal eine gemeinsame europäische Asyl- und Einwanderungspolitik.
Es wird eine Mauer errichtet
Im Oktober 2013 beschloss die bulgarische Regierung daher notgedrungen, eine 30 Kilometer lange und drei Meter hohe Mauer entlang der Grenze zur Türkei zu errichten, um die illegale Einreise von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen einzudämmen. Die Mauer sollte in der Nähe der Stadt Svilengrad entstehen, wo die übergroße Mehrheit der syrischen Flüchtlinge illegal nach Bulgarien hinüberströmte. Keineswegs verfolge man mit der geplanten Mauer die Absicht, Menschen in Not keinen Schutz zu gewähren, beeilte man sich in Sofia hinzuzufügen. Das Gegenteil sei der Fall. "Unser Ziel ist es, dass die Flüchtlinge über den Grenzkontrollpunkt in Svilengrad einreisen, damit sie ordnungsgemäß erfasst werden können", erläuterte der stellvertretende Innenminister Wassil Marinow. Stolze zweieinhalb Millionen Euro wolle sich die bulgarische Regierung den Schutzwall kosten lassen. Das sei, so Marinow, gut angelegtes Geld.
Zustände wie in Lampedusa
Bei der EU versuchte man, die Aussagen aus dem bulgarischen Innenministerium zu interpretieren. Entscho Gospodinov, Sprecher der aus Bulgarien stammenden EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz, Kristalina Georgieva, sagte der "Deutschen Welle" im November 2013: Falls der Zaun tatsächlich einen Versuch darstelle, die Flüchtlinge schneller zu den Mitarbeitern der Hilfsorganisationen zu leiten, "dann ist diese Maßnahme berechtigt. Falls aber die Flüchtlinge deswegen in die Hände von Menschenschleppern geraten sollten, dann ist die Einrichtung sinnlos". Die verzweifelten Menschen würden dann vermutlich andere Zugänge versuchen ausfindig zu machen, zum Beispiel über das Schwarze Meer. Und dann, so Gospodinov, "hätten wir Zustände wie in Lampedusa".
Mit brachialer Gewalt
Im Frühjahr 2014 verkündete die bulgarische Regierung zufrieden, die "illegale Migration" sei nach dem Mauerbau kaum noch messbar. Die Lage sei freilich weiterhin sehr angespannt, denn insgesamt 8.000 syrische Bürgerkriegsflüchtlinge hielten sich unter teils katastrophalen Bedingungen in Lagern nahe der Grenze im Südosten Bulgariens auf.
Zurückzuführen sei der Rückgang der "illegalen Migration" freilich nicht allein auf den Svilengrader Schutzwall, sondern auch auf ein rigides und völkerrechtswidriges Vorgehen der bulgarischen Grenzschützer, die die syrischen Schutzsuchenden an der Grenze aufgreifen und nicht selten mit brachialer Gewalt in die Türkei zurückschicken, wie unter anderem "amnesty international" beklagt. "Die Polizisten sagten, sie würden uns in ein Flüchtlingslager bringen, sie gaben uns Wasser, waren nett zu uns", berichtete im April 2014 eine syrische Frau, die mit ihren beiden kleinen Kindern versuchte, die Grenze zu überwinden, Mitarbeitern von "amnesty international". "Aber dann fuhren sie uns zur Grenze zurück und fingen an, uns zu schlagen."
Pläne für eine noch längere Mauer
Die bulgarische Mauer ist zwei Jahre nach ihrer hastigen Errichtung an vielen Stellen bereits schon wieder wackelig. In Sofia laufen ungeachtet dessen bereits die Planungen für den Bau einer neuen Mauer – eines 130 Kilometer langen Zaunes, der die Grenze zur Türkei zukünftig komplett abriegeln soll.
Die Lage der syrischen Flüchtlinge in Bulgarien habe sich nach Einschätzungen internationaler Hilfsorganisationen seit Mitte 2015 leicht entspannt. Das liegt aber vor allem daran, dass sich in den bulgarischen Aufnahmelagern nicht mehr so viele Flüchtlinge befinden - die meisten von ihnen sind mittlerweile nach Westeuropa weitergezogen, beziehungsweise haben andere Routen gewählt. Das verbucht der bulgarische Außenminister Daniel Mitov durchaus als Erfolg: "Die Flüchtlinge wählen andere Routen, weil wir unsere Grenzen so gut bewachen."
(Quellen: An den Grenzen des Westens, WOZ, 50/2013; Die Türsteher Europas, Frankfurter Rundschau, 12. 12. 2013; arte journal 04/02/14; www.proasyl.de/news/detail/Bulgarien; Bulgarien schottet sich ab, Der Tagesspiegel, 10.09.2015)