Husarensäbel mit Scheide
Kavalleriesäbel des preußischen Husaren Carl Gottlieb Meißner mit Säbelscheide. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Von Borodino bis Waterloo Leipziger Husarensäbel erzählt Geschichte der Napoleonischen Kriege

29. Dezember 2024, 14:00 Uhr

Der preußische Husar Carl Meißner hat erst mit Napoleon 1812 in Russland und ab 1813 in den Befreiungskriegen bei Leipzig und Waterloo gegen ihn gekämpft. Dutzende Gefechte und Schlachten hat er überlebt und später in seinen Kavalleriesäbel eingraviert. Im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig ist der "Zeitzeuge aus Stahl" künftig zu besichtigen.

Der verwundete Major von Sohr an der Spitze der brandenburgischen Husaren bei Möckern, 16. Oktober 1813, Völkerschlacht bei Leipzig
Brandenburgische Husaren bei Möckern am 16. Oktober 1813 in der Völkerschlacht bei Leipzig. Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Carl Gottlieb Meißner aus Stettin ist 18 Jahre alt, als er sich 1810 beim damaligen Generalgouverneur von Pommern, General Gebhard Leberecht von Blücher, schriftlich für den Militärdienst bewirbt. Er landet im Folgejahr im Pommerschen Husarenregiment Nr. 5, wo er am 20. September 1811 vereidigt wird. Seine Beweggründe sind nicht überliefert. Auch nicht, ob er bei seinem Eintritt ins preußische Militär auch nur eine leise Ahnung davon hat, welche Strapazen, Todesgefahren und von Leichenbergen bedeckte Schlachtfelder in den kommenden Jahren seinen Weg säumen werden.

Gefechte und Schlachten in Säbel eingraviert

Husarensäbel mit eingravierten Schlachtdaten
Meißners Kavalleriesäbel mit den eingravierten Gefechten und Schlachten seines Besitzers. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Welche Kämpfe Meißner zwischen 1812 und 1815 mit den 5. Pommerschen Husaren durchsteht und – mit außerordentlichem Glück – auch überlebt, hat er später in seinen Husarensäbel eingraviert. Der Kavalleriesäbel der englischen Firma Wooley Deakin & Co., der als britische Militärhilfe nach Preußen gelangt, befindet sich heute im Besitz des Völkerschlacht-Museums des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig. Das Museum hat die Waffe zusammen mit den Kriegsauszeichnungen und Verleihungsurkunden ihres früheren Besitzers von dessen Nachkommen erworben. Zu dem kleinen Konvolut gehört auch ein Foto Meißners in späten Jahren, ein kurzer Lebenslauf sowie ein handgeschriebenes Schriftstück mit dem Titel "Auf Vaters Husarensäbel", auf dem seine Kinder die in die Säbelklinge eingravierten Datums- und Ortsangaben samt einiger ergänzender Details festgehalten haben.

Teilnahme an Napoleons Russlandfeldzug

Napoleons Große Armee setzt am 24. Juni 1812 über den Njemen
Napoleons Grande Armée setzt Ende Juni 1812 über den Grenzfluss Njemen. Bildrechte: imago images/KHARBINE-TAPABOR

Aus den Dokumenten geht hervor, dass Meißner am 23. Juni 1812 mit seinem Regiment den Grenzfluss Njemen (Memel) überquert und am Russlandfeldzug des Franzosen-Kaisers Napoleon teilnimmt. Seine Einheit gehört nicht dem 20.000 Mann starken preußischen Hilfskorps unter Generalleutnant Ludwig von Yorck an, das in Kurland als Flankenschutz operiert, sondern kämpft im Verband der napoleonischen Hauptarmee. Dr. Steffen Poser, Leiter des Leipziger Völkerschlachtdenkmals und Völkerschlacht-Museums, klärt auf: "Es hat tatsächlich ein einziges Regiment gegeben, was aus jeweils zwei Schwadronen der brandenburgischen und der pommerschen Husaren-Regimenter zusammengestellt worden ist, das tatsächlich diesen Wahnsinnsmarsch nach Moskau und einen großen Teil dieser Schlachten und – soweit noch vorhanden –  dann auch wieder zurück mitgemacht hat."

Smolensk, Borodino und Moskau

Handschrift zum Husarensäbel von Carl Gottlieb Meißner
Handschrift der Kinder Meißners zu Daten und Orten auf dem Säbel ihres Vaters. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Ein Angehöriger dieses preußischen Husaren-Regiments ist Carl Gottlieb Meißner. Tatsächlich lesen sich die ersten zwei eingravierten Zeilen seines Kavalleriesäbels wie eine Zeittafel des Russlandfeldzugs 1812: 27. Juli – Witebsk, 19. August – Sturm von Smolensk, 28. August – Wjasma, 1. September – Gschatsk, um nur einige Orte zu nennen.

Für den 7. September 1812 halten Meißners Kinder später fest: "Schlacht von Moschaisk. Vaters Rappen von einer Kanonenkugel erschossen. Vater verwundet." Moschaisk steht für die Schlacht von Borodino, eine der blutigsten Schlachten des 19. Jahrhunderts. Bis zu 45.000 Russen und bis zu 35.000 Soldaten Napoleons verlieren hier ihr Leben. Auch Tausende Pferde bleiben auf der Strecke. Ob Meißner nach dem Verlust seines Rappen bei Borodino noch einmal zu einem Pferd kommt, ist nicht bekannt. Seine Kinder schreiben später: "Das Regiment den Marsch nach Moskau genommen."

Nur 26 von 324 Pommern-Husaren überleben

Laut Meißners Lebenslauf nimmt er "nach dem Brand von Moskau" am Rückzug der napoleonischen Armee teil, wird "beim Übergang über die Beresina leicht verwundet" und zum Unteroffizier befördert. Aus der späteren Handschrift seiner Kinder geht zudem hervor, dass er von Wilna "mit dem Schlitten über […] Tilsit nach Königsberg zum Regiment" zurückkehrt. Nur 26 von ursprünglich 324 Mann der beiden am Russlandfeldzug beteiligten pommerschen Husaren-Schwadronen überleben das blutige Abenteuer.

Säbelgriff
Gravuren sowie das Label der englischen Firma Wooley Deakin & Co. (Bildmitte) auf Meißners Kavalleriesäbel. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Befreiungskriege im Bülowschen Korps

Für das Jahr 1813 überliefern Meißners Kinder, dass ihr Vater "5 Monate vor Stettin" liegt. Mittlerweile hat Preußen, ausgelöst durch die von Yorck abgeschlossene Konvention von Tauroggen, Napoleon die Gefolgschaft aufgekündigt und ein Bündnis mit Russland geschlossen. Am 16. März 1813 erklärt der preußische König Friedrich Wilhelm III. Frankreich den Krieg.

Gemälde: General von Bülow wird von seinen Truppen begrüßt, Schlacht von Dennewitz am 6. September 1813, deutsche Befreiungskriege 1813-1815, Farbdruck nach Richard Knötel Copyright: xZoonar.com/Heinz-DieterxFalkensteinx zoonar
Generalleutnant Friedrich Wilhelm von Bülow und sein Korps nach der Schlacht bei Dennewitz. Bildrechte: IMAGO/Zoonar

Zwei Tage später belagern preußische Truppen die von den Franzosen gehaltene Festung Stettin. Meißners Pommersches Husarenregiment Nr. 5 wird in den folgenden Monaten "wiederaufgefüllt". Ab Sommer 1813 nimmt die Einheit als Teil des preußischen III. Armeekorps unter Generalleutnant Friedrich Wilhelm von Bülow an den Befreiungskriegen gegen Napoleon teil. Bei Dennewitz nordöstlich von Wittenberg ist das Bülowsche Korps am 6. September 1813 maßgeblich am Sieg über eine französische Armee unter Marschall Michel Ney beteiligt. Ein Vorstoß der Franzosen auf Berlin wird damit endgültig verhindert.

Völkerschlacht bei Leipzig, Holland und Belgien

Verleihungsurkunde Eisernes Kreuz II. Klasse durch König Friedrich Wilhelm von Preu0en an Carl Gottlieb Meißner
Verleihungsurkunde König Friedrich Wilhelms von Preußen für das Eiserne Kreuz II. Klasse an den Premierleutnant a.D. Carl Meißner, 1837. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

In die Völkerschlacht bei Leipzig greift Meißners Husaren-Regiment mit dem Bülowschen Korps am 18. und 19. Oktober 1813 unter anderem bei Paunsdorf ein. Zumindest führt seine Säbelklinge diese beiden Tage auf. Mit mehr als einer halben Million beteiligter Soldaten und über 90.000 Toten ist die Völkerschlacht die bis dahin größte und verlustreichste Schlacht der Weltgeschichte. Meißner scheint sie ohne Blessuren überstanden zu haben.

Nach dem Sieg bei Leipzig zieht sein Husaren-Regiment mit dem Bülowschen Korps nach Westfalen weiter. Danach nehmen die Pommerschen Husaren bis Ende Januar 1814 an der Eroberung Hollands und Belgiens teil. Meißners Husarensäbel führt hier unter anderem Gefechte bei Nimwegen, Hoogstraten und Lier auf. Für den 10. Februar ist das nordfranzösische Maubeuge eingraviert. Als letzte Gravur für das Jahr 1814 enthält die Waffe einen Eintrag für das Gefecht bei Conde am 26. Februar. Was Meißner und sein Husaren-Regiment während der folgenden Kämpfe und Schlachten bis zur Abdankung Napoleons am 12. April 1814 machen, ist nicht überliefert.

Schlacht bei Waterloo 1815

Schlacht bei Waterloo 1815 Gemälde von Willam Allan
Schlacht bei Waterloo 1815, Gemälde von Willam Allan. Bildrechte: IMAGO / Heritage Images

Erst im Sommer 1815 erhält Meißners Husarensäbel die letzten drei Gravuren. Napoleon ist zuvor (1. März) von Elba nach Frankreich zurückgekehrt. Preußen, Österreich, Russland und Großbritannien erneuern daraufhin ihre Allianz. Die britisch-deutsche Armee unter dem Duke of Wellington und die preußische Armee des Feldmarschalls Blücher sollen Napoleon stoppen. Doch die Franzosen schlagen die beiden Kontingente in den Schlachten von Quatre-Bras und Ligny, allerdings nicht deutlich genug. Am 18. Juni 1815 kommt es deshalb bei Waterloo in Belgien zur finalen Entscheidung. Napoleon steht am Abend des Schlachttages kurz vor einem Sieg über Wellington, als plötzlich die Preußen auf dem Schlachtfeld erscheinen und stattdessen die Niederlage des Franzosen-Kaisers besiegeln.

Wavre, Belle Alliance, Versailles

Verleihungsurkunde für Combattanten pro 1813 und 1814
Verleihungsurkunde für die Denkmünze Combattanten für die Campagne 1813 und 1814. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Auch der preußische Husar Carl Gottlieb Meißner, zwischenzeitlich "zum Fähnrich und Lieutnant befördert" und im Mai 1815 "dem Leibhusaren-Regiment zu Danzig aggregiert", nimmt an den Kämpfen um Waterloo teil. Seine Säbelklinge erhält später die Gravur "18. Juni bei Wawern u. Belle Alliance".

Bei Wavre wird die Nachhut der Preußen durch ein 30.000 Mann starkes französisches Korps geschlagen, was dieses jedoch davon abhält, durch sein Erscheinen bei Waterloo Napoleons Sieg über Wellington zu finalisieren. Als Schlacht bei Belle Alliance wird bis Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland die Schlacht bei Waterloo bezeichnet. Der vorletzte Eintrag auf Meißners Waffe steht für den 20. Juni 1815, als preußische Truppen das von den Franzosen besetzte Namur ohne Kanonen und unter sinnlosen Verlusten stürmen. Die letzte Gravur auf seinem Säbel lautet "1. Juli Versailles Paris".

Karriere im Gestütswesen der preußischen Armee

Verleihungsurkunde für Erinnerungs-Kriegs-Denkmünze für Feldzüge 1813, 1814, 1815
Verleihungsurkunde für Erinnerungs-Kriegs-Denkmünze für die Feldzüge 1813, 1814 und 1815. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Mit einem der letzten Gefechte der Befreiungskriege endet damit die Aufzählung von Ereignisorten, Gefechten und Schlachten auf dem Husarensäbel von Carl Gottlieb Meißner. Dass er sie alle ohne bleibende Schäden überlebt, grenzt fast an ein Wunder. Der zum Ende der Befreiungskriege 1815 gerade einmal 23 Jahre alte preußische Husaren-Leutnant kann die Anerkennung für seine Verdienste – anders als viele seiner Kameraden – noch lange genießen. Nach seiner Zeit beim Danziger Leibhusaren-Regiment steigt er ab 1823 im Gestütswesen der preußischen Armee auf. Er ist unter anderem Gestüts-Inspektor in Merseburg und Gestüts-Direktor in Marienwerder. Als Landstallmeister der Provinz Posen geht er 1861 mit 70 Jahren in den Ruhestand.

Hochdekoriert mit 90 Jahren verstorben

Orden und Foto des früheren preußischen Husaren Carl Gottlieb Meißner
Orden und spätes Foto des früheren preußischen Husaren-Leutnants Carl Gottlieb Meißner (1792-1882). Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Meißner erhält im Laufe seiner Militärzeit den preußischen Roten Adlerorden, den Hohenzollerschen Hausorden, das russische St. Georgskreuz und das Eiserne Kreuz II. Klasse für seine Verdienste in den Befreiungskriegen 1813/15. Letzteres allerdings erst 1837, was mit der damals in Preußen gängigen Praxis der Ordensverleihung zusammenhängt. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine "Verleihung" der ursprünglich zahlenmäßig begrenzten Eisernen Kreuze. Erst wenn ein Träger stirbt und seine Familie den Orden zurückgibt, kann ein nächster Anwärter ausgezeichnet werden. Meißners Erben müssen sein EK nicht mehr zurückgeben. Als er 1882 – 90-jährig – infolge eines Oberschenkelhalsbruchs stirbt, hat das Eiserne Kreuz im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 längst eine zweite Auflage erfahren.

Glücksfall für Leipziger Museum

Zeugnis über Besitz des Kaiserlich-russischen St. Georgen-Ordens durch Carl Gottlieb Meißner
Zeugnis über Besitz des Kaiserlich-Russischen St. Georgen-Ordens, 1840. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Meißners Nachkommen übergeben seinen einzigartigen Husarensäbel mit all den eingravierten Schlachten und Gefechten samt aller Auszeichnungen und Dokumente 2024 an das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig. Für den Historiker und Leiter des Völkerschlacht-Museums Steffen Poser ein außerordentlicher Glücksfall. Es seien solche Dinge, die man mit einer konkreten Person festmachen könne, die von der "abstrakten Ebene" gängiger Schlachtdarstellungen mit ihren unvorstellbaren Opferzahlen zur "konkreten Ebene individueller Schicksale" hinführe. Und es sei "aller Ehren wert", dass es Meißners Nachkommen ermöglicht hätten, derartige Dinge auch für künftige Generationen öffentlich zugänglich zu machen.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 211. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig | 18. Oktober 2024 | 10:15 Uhr