Detailfoto des Napoleon-Teppichs
Detailfoto des Napoleon-Teppichs aus St. Helena im Völkerschlacht-Museum Leipzig. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/L/2021/2

Teppich aus Uniformteilen Napoleon-"Reliquie" aus St. Helena im Leipziger Völkerschlacht-Museum

18. Oktober 2022, 08:15 Uhr

Das Leipziger Völkerschlacht-Museum beherbergt einen einzigartigen Teppich aus Uniform-Borten napoleonischer Soldaten. Kampfgefährten des Kaisers schickten ihm das Symbol anhaltender Verehrung nach 1815 ins Exil nach St. Helena. Nach einer langen Odyssee hat der Teppich in Leipzig eine neue Heimat gefunden - dem Ort, an dem im Oktober 1813 Napoleons Herrschaft über Europa endete. Die spannende Geschichte einer "Reliquie" des Napoleon-Kults.

Die Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 markiert das Ende von Napoleons Herrschaft über Europa. Sie mündet in seiner Abdankung und Verbannung auf die Mittelmeer-Insel Elba im April 1814. Zwar kehrt er 1815 noch einmal nach Frankreich zurück ("Herrschaft der 100 Tage"), wird aber am 18. Juni 1815 in der Schlacht bei Waterloo endgültig durch die alliierten Briten und Preußen geschlagen. Damit ist das Schicksal des "größten Schlachtenlenkers aller Zeiten" endgültig besiegelt.

Napoleons Gefangenschaft auf St. Helena

Napoleon auf der Bellerophon, Gemälde von Sir William Quiller Orchardson
Napoleon auf dem britischen Kriegsschiff "Bellerophon" auf der Überfahrt nach St. Helena, 1815. Bildrechte: IMAGO / agefotostock

Um sicherzugehen, dass der "Menschenfresser" Napoleon nie wieder nach Europa zurückkehrt, wird er im Juli 1815 als Gefangener auf die kleine britische Vulkaninsel St. Helena im Südatlantik verbracht. Wohl hoffen die Briten, mit der Gefahr auch den Mythos Napoleon verbannen zu können. Doch vergessen ist der einstige Kaiser der Franzosen nicht. Noch immer ist er bei zahlreichen seiner alten Soldaten hoch angesehen. Und die Napoleon-Verehrung wächst, je mehr die Erinnerung an die Schrecken der Napoleonischen Kriege verblasst und die Unzufriedenheit mit dem durch die Restauration wiedereingesetzten Bourbonen-König Ludwig XVII. (1755-1824) in Frankreich zunimmt.

Zeichen alter Verehrung

"Das ist für uns heute nur schwer verständlich", erklärt der Historiker und Leiter des Völkerschlachtdenkmals und Völkerschlacht-Museums Leipzig, Dr. Steffen Poser, zumal Napoleon "seinen Leuten weiß Gott viele körperliche und psychische Dinge abverlangt" habe. "Und trotzdem gab es Tausende, die ihn nach seinem Sturz immer noch hoch verehrt haben und dieser Zeit nachtrauerten und die eben aus alter Verehrung gesagt haben: Wir wollen dem Mann irgendwie ein Zeichen schicken, dass es immer noch Leute gibt, die nicht jubeln, dass er jetzt auf dieser Ratteninsel sitzt."

Teppich aus Uniform-Borten

Trompeter der Ulanen und Dragoner der Napoleonischen Armee 1812
Trompeter der Ulanen und Dragoner der Napoleonischen Armee, 1812. Deutlich zu sehen sind die "N"- und Adler-Borten u.a. auf den Ärmeln. Bildrechte: IMAGO / piemags

Und genauso geschieht es schließlich auch. Um 1815/16 fertigen alte Kampfgefährten Napoleons aus militärischer Borte, wie sie unter anderem die Trompeter-Uniformen der napoleonischen Armee ab 1812 schmückte, einen Teppich. Die Aufschläge mit dem "N"-Monogramm Napoleons und dem Kaiseradler waren nach dem Ende seiner Herrschaft von allen französischen Uniformen entfernt worden. Napoleons Soldaten nähen mehr als 100 Meter dieser abgetrennten Borte fein säuberlich - immer abwechselnd ein "N" und einen Adler - auf ein großes Stück Sackleinen. Den so gefertigten zweieinhalb Quadratmeter großen Teppich senden sie 1815, 1816 oder ein paar Jahre später mit einem britischen Postschiff nach St. Helena.

Napoleon-"Residenz" Longwood House

Longwood House
Longwood House - Napoleons "Residenz" auf St. Helena. Bildrechte: IMAGO / KHARBINE-TAPABOR

Der gefangene Napoleon "residiert" damals auf der Atlantik-Insel im einstigen Amtssitz des britischen Gouverneurs in Longwood House, wo er einen stark reduzierten Haushalt unterhalten darf. Trotz seines privilegierten Gefangenenstatus sind die Lebensumstände für den einstigen Kaiser der Franzosen alles andere als unbeschwert. Neben den wenigen Getreuen, die Napoleon auf die Insel begleiten dürfen, gehören auch zahlreiche Nachkommen einstiger portugiesischer, niederländischer und britischer Schiffsratten, die sich seit dem 16. Jahrhundert prächtig auf St. Helena vermehrt haben, zu den ständigen Bewohnern und Gästen in Napoleons "Residenz".

Teppich erreicht St. Helena per Postschiff

Anmerkung auf Rückseite des Napoleon-Teppichs aus St. Helena
Historische Anmerkung auf der Rückseite des Napoleon-Teppichs aus St. Helena. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/L/2021/2

Zudem hat Napoleon in Longwood House einen britischen Offizier als Bewacher, der nach den Worten von Museumsleiter Poser keinen Hehl daraus macht, dass er den Mann nicht ausstehen kann: "Es wird beispielsweise erzählt, dass er Post, die an den Kaiser der Franzosen andressiert war, grundsätzlich nicht passieren ließ, sondern nur Post, die maximal an den General Bonaparte adressiert war." Anscheinend schickten Napoleons alte Kampfgefährten ihren Teppich nicht an den "Kaiser der Franzosen", sondern möglicherweise einfach nur an Napoleon. Ihre Reminiszenz an einstmals große Zeiten erreichte jedenfalls ihr Idol auf der Insel im Südatlantik unversehrt. "Ob Napoleon den Teppich als solchen wirklich nutzte, ist indes nicht bekannt, gerührt wird ihn die sentimentale Geste aber schon haben", vermutet Poser.

Tod und späte Überführung Napoleons

Der Tod Napoleons, nach einem Gemälde von Carl von Steuben Carl von Steuben
Der Tod Napoleons auf St. Helena am 5. Mai 1821, nach einem Gemälde von Carl von Steuben. Bildrechte: IMAGO / agefotostock

Allzu lange kann sich Napoleon an dem Beweis für die Treue seiner alten Kampfgefährten jedoch nicht erfreuen. Am 5. Mai 1821 stirbt er mit 51 Jahren auf St. Helena an Magenkrebs. Da die Engländer eine Überführung des einstigen Kaisers der Franzosen nach Frankreich aus Furcht vor einem Wiedererstarken des Napoleon-Kults nicht gestatten, wird er zunächst auf der Atlantik-Insel begraben. Den Teppich aus Trompeter-Borten nimmt der damalige britische Gouverneur von St. Helena als Souvenir an sich. Erst 1840 erlauben die Engländer eine Überstellung von Napoleons Leichnam nach Frankreich. Die Exhumierung und Überführung seiner Gebeine leitet der Prinz von Joinville, der Sohn des französischen "Bürgerkönigs" Louis-Philippe (1773-1850). Den Teppich bekommt der Prinz bei dieser Gelegenheit vom Gouverneur als Geschenk obendrauf.

Von St. Helena über Frankreich nach Leipzig

Sarkophag von Napoleon im Invalidendom Paris
Der Sarkophag Napoleons im Pariser Invalidendom. Bildrechte: imago images / Photo12

Im Dezember 1840 wird Napoleon nach seiner Überführung im Pariser Invalidendom in einem gewaltigen Sarkophag beigesetzt. Dem wachsenden Kult um seine Person wird damit ein dauerhafter Ort geschaffen. Napoleons Teppich aus St. Helena wechselt hingegen in der Folge mehrfach den Besitzer. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehört er unter anderem zur Sammlung des Historikers und Militärs Henri Lachouque, einem großen Experten der napoleonischen Geschichte, der auch Longwood House auf St. Helena restaurieren lässt. Weitere Eigentümer folgen. 2021 ergibt es sich schließlich, dass die Stiftung Völkerschlachtdenkmal dieses außergewöhnliche Beispiel der Napoleon-Verehrung erwerben kann.

Stück der Napoleon-Verehrung

Napoleon-Teppich im Völkerschlacht-Museum Leipzig
Der Napoleon-Teppich im Forum 1813 - Museum der Völkerschlacht bei Leipzig. Bildrechte: MDR/Daniel Niemetz

Nach aufwändigen Restaurierungsarbeiten bereichert Napoleons Teppich aus St. Helena mittlerweile als weiteres Glanzstück die Dauerausstellung im Forum 1813 - Museum zur Völkerschlacht bei Leipzig. Museumsleiter Poser freut sich, dass man das historische Stück mit seiner besonderen Aura hier einem großen Besucherkreis zeigen kann: "Wer sich mit Geschichte beschäftigt, der ist schon von der Vorstellung, da ist Napoleon drüber geschritten, erstens sehr berührt und zum Zweiten - das ist, glaub ich, wichtiger - ist es auch so ein Stück dieser Napoleon-Verehrung, die ja dann vor allem nach seinem Tod sehr heftig und bis in unsere Tage ins Kraut geschossen ist."

Dass diese Napoleon-Verehrung trotz aller nachvollziehbaren Faszination für die historische Persönlichkeit Napoleon auch immer wieder kritisch zu hinterfragen ist, daran erinnern das Völkerschlachtdenkmal und das Museum zur Völkerschlacht bei Leipzig. Sie mahnen zum Gedenken an die größte und blutigste aller napoleonischen Schlachten, die im Oktober 1813 mehr als 100.000 Soldaten aus ganz Europa das Leben kostete.

Napoleons Schmuckfernglas 5 min
Bildrechte: MDR/Guido Ahnert

Geschichte

Historische Kunstwerke Die Völkerschlacht in Bildern des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland 1813, Christian Gottfried Heinrich Geißler, kolorierte Radierung, 1813
Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland 1813, Christian Gottfried Heinrich Geißler, kolorierte Radierung, 1813. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/GR014423_H
Zwei französische Dragoner, Ernst Wilhelm Straßberger, Aquarell um 1813
Zwei französische Dragoner, Ernst Wilhelm Straßberger, Aquarell um 1813. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/VS000963
Kampf um den Kolmberg, Ernst Wilhelm Straßberger, Ölgemälde
Kampf um den Kolmberg, Ernst Wilhelm Straßberger, Ölgemälde. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/GM001437_H
Heldentod des Majors von Krosigk bei Möckern, Richard Knötel, Farbdruck, um 1890
Heldentod des Majors von Krosigk bei Möckern, Richard Knötel, Farbdruck, um 1890. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/VS000008
Kampf um Probstheida am 18. Oktober 1813, Ernst Wilhelm Straßberger, Ölgemälde
Kampf um Probstheida am 18. Oktober 1813, Ernst Wilhelm Straßberger, Ölgemälde. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/GM001391_H
Napoleon an der Quandtschen Tabaksmühle am 18. Oktober 1813, Druck nach einer kolorierten Lithografie von Erdmann Ludwig Blau, um 1860
Napoleon an der Quandtschen Tabaksmühle am 18. Oktober 1813, Druck nach einer kolorierten Lithografie von Erdmann Ludwig Blau, um 1860. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/VS000815
Schwarzenberg überbringt den verbündeten Monarchen die Siegesnachricht, Francois Tonnelier, Öl auf Leinwand, 1819
Schwarzenberg überbringt den verbündeten Monarchen die Siegesnachricht, Francois Tonnelier, Öl auf Leinwand, 1819. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/GM002045
Sprengung der Elsterbrücke am 19. Oktober 1813, Ernst Wilhelm Straßberger, Öl auf Leinwand um 1850
Sprengung der Elsterbrücke am 19. Oktober 1813, Ernst Wilhelm Straßberger, Öl auf Leinwand um 1850. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/GM001383
Blick von der Quandtschen Tabaksmühle über das Schlachtfeld auf Leipzig, Ernst Wilhelm Straßberger, Aquarell, 1813
Blick von der Quandtschen Tabaksmühle über das Schlachtfeld auf Leipzig, Ernst Wilhelm Straßberger, Aquarell, 1813. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/GR008387
Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland 1813, Christian Gottfried Heinrich Geißler, kolorierte Radierung, 1813
Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland 1813, Christian Gottfried Heinrich Geißler, kolorierte Radierung, 1813. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/GR014423_H
Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland 1813, Christian Gottfried Heinrich Geißler, kolorierte Radierung, 1813
Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland 1813, Christian Gottfried Heinrich Geißler, kolorierte Radierung, 1813. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/GR014423_1_H
Einzug österreichischer, russischer und preußischer Gefangener in Leipzig am 4. September 1813, Christian Gottfried Heinrich Geißler, kolorierte Radierung, um 1813
Einzug österreichischer, russischer und preußischer Gefangener in Leipzig am 4. September 1813, Christian Gottfried Heinrich Geißler, kolorierte Radierung, um 1813. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/VS000832
Soldaten vor der Kirche in Lindenau am 13. Oktober 1813, B. v. P., Aquarell, 1813
Soldaten vor der Kirche in Lindenau am 13. Oktober 1813, B. v. P., Aquarell, 1813. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/VS000939
Die Erstürmung des Dorfes Liebertwolkwitz am 16. Oktober 1813 in der Schlacht bei Leipzig, kolorierte Radierung, um 1814
Die Erstürmung des Dorfes Liebertwolkwitz am 16. Oktober 1813 in der Schlacht bei Leipzig, kolorierte Radierung, um 1814. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/VS000819
Bauern aus einem Dorfe, welche die Leipziger Schlacht mit ansehen, Adrian Ludwig Richter, Radierung, um 1830
Bauern aus einem Dorfe, welche die Leipziger Schlacht mit ansehen, Adrian Ludwig Richter, Radierung, um 1830. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/VS001077
Napoleon in Stötteritz, Lithographie von C. G. Lohse, um 1840
Napoleon in Stötteritz, Lithographie von C. G. Lohse, um 1840. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/VS 1619
Biwak französischer Soldaten auf einem Friedhof, Ambrosius Eckert, Aquarell auf Feder
Biwak französischer Soldaten auf einem Friedhof, Ambrosius Eckert, Aquarell auf Feder. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/VS00051
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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 08. Oktober 2022 | 19:00 Uhr