Porträt Thomas Müntzer: Vom Priester zum Propheten
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(um 1489-1525)
25. August 2006, 10:40 Uhr
Thomas Müntzer - revolutionärer Bauernführer, Außenseiter der Reformation, Theologe der Revolution ... Der Beinamen gibt es viele. Doch was wissen wir eigentlich über Thomas Müntzer?
Die Quellenbasis zu Leben und Werk des Theologen ist ausgesprochen dünn. Schon Müntzers Geburtsjahr ist umstritten: So wird das Jahr 1489 ebenso genannt wie das Jahr 1488 oder 1490. Auch zu Müntzers sozialer Herkunft wurde wenig überliefert. Offenbar war die Familie aber nicht ganz unvermögend.
Fron und Ablass
Fest steht, dass Müntzer sich 1506 an der alma mater in Leipzig für Theologie einschrieb. Über seine Studienzeit gibt es außer der Matrikel keine weiteren Informationen. Auch über seinen Abschluss weiß man nichts, vieles spricht jedoch dafür, dass er mit dem Magisterexamen abschloss, denn das war die Voraussetzung für die Fortsetzung ab 1512 in Frankfurt/Oder. Zwei Jahre später wurde er zum Priester der Diözese Halberstadt geweiht. Da diese Pfründe ein "armes Lehen" war, musste er gleichzeitig nach anderen Gelegenheiten suchen, sich seinen Lebensunterhalt zu sichern. Eine erste Anstellung erhielt Müntzer 1515 im Kanonissenstift Frose bei Aschersleben. Die romanische Stiftskirche dort war dem Heiligen Cyriakus geweiht, einem christlichen Märtyrer, der sich im antiken Rom geweigert hatte, seinem Glauben abzuschwören und dafür starb. Ein Schicksal, das den jungen Priester beeindruckte.
Zu Müntzers Aufgaben in Frose gehörte die Feier der heiligen Messe zusammen mit den frommen Stiftsdamen und die Abnahme der Beichte. Doch als Verwalter des Stifts sah er auch mit eigenen Augen, was die Kirche den Menschen in Gottes Namen abverlangte und wie die Bauern unter der Last der Abgaben an den Klerus und die Fürsten zu leiden hatten. Noch mehr störte er sich am Ablasshandel.
Ein Bewunderer Luthers
Zwischen 1517/19 hielt sich Müntzer in Wittenberg auf. Als er in der Universitätsstadt ankam, hatte der von ihm bewunderte Martin Luther gerade seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel veröffentlicht. Müntzer wurde zum Anhänger seiner frühreformatorischen Lehren, nachdem er sich schon zuvor in kirchenkritischen Kreisen bewegt hatte. Durch Luthers Empfehlung erhielt Müntzer 1520 eine Hilfspredigerstelle im sächsischen Zwickau, in einer damals wirtschaftlich aufstrebenden Stadt der Tuchmacher und Kaufleute. Von da an lässt sich sein Weg genauer verfolgen.
Neue Einflüsse in Zwickau
An seinem neuen Wirkungsort kam Müntzer mit Gedanken der dortigen radikalen "Propheten", einem Zweig der Wiedertäuferbewegung, in Berührung. Gleichzeitig wurde er mit den für diese Zeit typischen sozialen Konflikten in den Städten konfrontiert, die aus der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich entstanden. Er schloss sich den "Propheten" an, die sich um den jungen Tuchmacher Nikolaus Storch scharten, und erweiterte deren religiöse Vorstellungen durch sozialreformatorischen Ideen. Von da begannen die Differenzen mit Luther. Denn die "gottgewollte Ordnung" anzugreifen, das ging Luther entschieden zu weit. Müntzer machte sich bei der Obrigkeit in Zwickau unbeliebt, und seine Vertreibung aus der Stadt ließ nicht lange auf sich warten. 1521 floh er nach Böhmen.
Der Prager Sendbrief
Bei seiner Ankunft in Prag hegte Müntzer große Hoffnungen. Die Stadt an der Moldau war schon 100 Jahre zuvor ein Zentrum der Reformation gewesen. Ein Jan Hus prangerte dort das Papsttum an und landete als Ketzer auf dem Scheiterhaufen. In Universitätskreisen wurde Müntzer zunächst als Repräsentant der Wittenberger Reformation angesehen. Ein Irrtum, wie sich bald herausstellen sollte. In seinem Sendbrief vom November 1521 schrieb Müntzer erstmals zusammenhängend seine Auffassungen nieder. Als prophetischer Knecht Gottes wollte er die Böhmen angesichts der bevorstehenden Apokalypse für eine neue Kirche gewinnen. Doch seine antiklerikale Polemik fand keine Resonanz. Mit der örtlichen Geistlichkeit, sowohl der römischen als auch der reformatorischen, geriet er in Konflikt. Er wurde gezwungen, das Land noch vor Jahresende zu verlassen. Müntzer kehrte nach Deutschland zurück. Zwei Jahre lang irrte er auf der Suche nach Mitstreitern und einer Anstellung durch Sachsen und Thüringen, rastlos und in schlechter Verfassung. Um die Jahreswende 1522/23 erhielt er eine Kaplanstelle im Zisterzienserinnenkloster Glaucha bei Halle, die er nach drei Monaten allerdings wieder verlassen musste.
Deutsche Messe, Priesterehe, Fürstenpredigt
Doch dann schien sich eine Wende im Leben Thomas Müntzer anzubahnen. 1523 eröffnete sich ihm die Möglichkeit, eine Pfarrstelle an der Johanniskirche in Allstedt anzutreten. Dort begann er alsbald, seine Reformationstheologie auszuarbeiten. So führte er noch vor Luther eine deutsche Liturgie ein, um das Wort Gottes allen zugänglich zu machen. Den Altar ließ er mitten in den Raum stellen, damit er den Gläubigen zugewandt sprechen konnte. Im Chor durften Mädchen und Frauen mitsingen, auch das gab es noch nie. Und noch etwas veränderte sein Leben: Im selben Jahr heiratete Müntzer die entlaufene Nonne Ottilie von Gersen. Eine Priesterehe – bis dato unvorstellbar!
Müntzers Gottesdienste in deutscher Sprache waren eine Sensation und zogen scharenweise Besucher aus dem Umland an, auch aus dem nahegelegenen Mansfeld. Der dort regierende Graf Ernst II. - ein treuer Katholik – zeigte sich empört. Im September 1523 kam es zum offenen Konflikt mit dem Grafen von Mansfeld, nachdem dieser seinen Untertanen mehrfach den Besuch der ketzerischen Gottesdienste verboten hatte und Müntzer ihn darauf hin zum Feind des Evangeliums erklärte. Müntzers Predigten wurden immer radikaler, heizten die Stimmung gegen die Kirche weiter an. Im März 1524 steckte eine Gruppe erboster Allstedter Bürger schließlich die kleine Wallfahrtskapelle Mallerbach in Brand. Lange konnte der Allstedter Rat eine Untersuchung hinauszögern. Doch das Maß war voll. Auswärtige Gottesdienstbesucher waren zunehmend Repressalien ausgesetzt. Es schien nur eine Frage der Zeit, bis die an der Brandstiftung Beteiligten verhaftet worden wären. Unter Müntzers Mitwirkung gründete sich zur Gegenwehr der "Allstedter Bund", eine bewaffnete Truppe, der sich schnell 500 Bergleute, Handwerker und Bauern anschlossen.
In der Hofstube des Schlosses von Allstedt kam es am 13. Juli 1524 zu einem der zentralen Ereignisse der Reformation. Thomas Müntzer hielt seine "Fürstenpredigt". Friedrichs Sohn Johann der Beständige sowie dessen Sohn, der Kurprinz, und auch Ernst von Mansfeld mussten sich anhören, wie Müntzer die "arme, zerfallende Christenheit" beklagte und die Rückkehr zu einem gottgläubigen urchristlichen Leben forderte - in einer "Gemeinschaft Auserwählter". Er bot ihnen, den Fürsten, großzügig an, sich der Gemeinschaft anzuschließen. Andernfalls werde das Volk sie entmachten. Nach seiner "Fürstenpredigt" eskalierte Müntzers Konflikt mit der Obrigkeit weiter, zugleich wurde die Kluft zu den Wittenberger Reformatoren um Martin Luther unüberbrückbar. Luther forderte Friedrich den Weisen auf, etwas gegen den "Satan von Allstedt" zu unternehmen. Daraufhin schrieb Müntzer seine "Hochverursachte Schutzrede", eine Generalabrechnung mit Luther, den er darin "Doktor Lügner" und "geistloses, sanftlebendes Fleisch zu Wittenberg" nannte. Im August 1524 musste Müntzer Allstedt verlassen.
Eine "Gemeinschaft der Auserwählten"
Er zog gen Mühlhausen, um in der Freien Reichsstadt gemeinsam mit dem ehemaligen Zisterzienser Heinrich Pfeiffer seine Idee von der "Gemeinschaft der Auserwählten Gottes" umzusetzen. In Mühlhausen hatten die sozialen Spannungen bereits zu Aufständen geführt. Entgegen aller Warnungen Luthers wollten die Bürger von Mühlhausen Müntzer als Prediger. Die Marienkirche wurde sein neuer Wirkungsort. Auch hier nahm er den Kampf gegen die altgläubige Geistlichkeit auf. Am 17. März 1525 stürzten Müntzer und Pfeiffer sowie deren Anhänger den alten Stadtrat. Ein radikal-demokratischer "Ewiger Rat" übernahm die Herrschaft. Inzwischen hatten die Bauernaufstände aus Süddeutschland auf Thüringen übergegriffen. Die Aufständischen, die vor Frankenhausen lagen, baten den "Ewigen Rat" um bewaffnete Unterstützung.
Die letzte Schlacht
Mit seinen Anhängern verließ Müntzer Mühlhausen, die Stadt, in die er kaum vier Wochen später zurückkehren sollte – gefangen, todgeweiht. Denn gegen die Truppen Philipps von Hessen waren die Aufständischen in der Schlacht vom 15. Mai 1525 chancenlos. Von den 7.000 Bauern und Handwerkern wurden 6.000 getötet. Müntzer konnte zunächst fliehen und in Frankenhausen Unterschlupf finden. Bald jedoch wurde er gefasst. Zwölf Tage lang ließ ihn der Graf von Mansfeld in seiner Festung Heldrungen verhören und foltern. Das Protokoll des Verhörs enthielt keinen Widerruf, obwohl Mansfeld dies später behaupten sollte. Am 27. Mai 1525 wurde Thomas Müntzer auf dem Richtplatz von Mühlhausen enthauptet, der Leichnam wurde gepfählt und aufgespießt. Martin Luther hatte für Müntzer auch nach dessen Tod kein gnädiges Wort: "Wer den Müntzer gesehen, der kann sagen, er habe den Teufel gesehen in seinem höchsten Grimm."
Wie man über Müntzer auch urteilen mag, mit Sicherheit besaß er das Charisma eines Volksführers. Auch seine reformatorischen Vorstellungen müssen gewürdigt werden. Er hatte versucht, sie mit Fanatismus zu verwirklichen - und war daran gescheitert.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: Geschichte Mitteldeutschlands: Thomas Müntzer - Der Satan von Allstedt | 31.10.2010 | 21:15 Uhr