Bürgerrechtler Martin Luther King: Besuch in der DDR Der Traum von Freiheit: Martin Luther King in Ost-Berlin
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22. Oktober 2021, 12:17 Uhr
Der amerikansiche Bürgerrechtler, der sich die Emanzipazion der schwarzen Amerikaner zum Ziel gesetzt hatte, war auch in der DDR angesehen. Ein einziges Mal hat er den Arbeiter- und Bauern-Staat sogar, völlig unerwartet, besucht: im September 1964. In zwei Kirchen in Ost-Berlin sprach er von der Kanzel und wetterte gegen die "trennende Mauer der Feindschaft". Dabei wäre sein Besuch fast an einem Grenz-Zwischenfall gescheitert.
Weder die Ost-Berliner St. Marienkriche noch die Sophienkirche wissen am 13. September 1964, wie ihnen geschieht. Nacheinander erleben sie einen Besucheransturm, denn kein geringerer als der berühmte US-amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King hat kurzfristig seinen Besuch und jeweils eine Predigt angekündigt.
Spontaner Besuch in Ost-Berlin
Dabei steckt dem berühmten Baptistenpfarrer der Jetlag in den Knochen, er hat bereits ein volles Programm hinter sich: Auf Einladung von Willy Brandt ist er am 12. September angereist, hält einen Tag später eine Rede bei einer Gedenkfeier für den ermordeten Präsidenten John F. Kennedy. Am Nachmittag besucht er in der Waldbühne den "Tag der Kirche", das traditionelle Treffen der evangelischen Gemeinden Berlins mit über 20.000 Teilnehmern. Ein Besuch im Osten der Stadt ist eigentlich gar nicht vorgesehen, US-Behörden haben Martin Luther King sicherheitshalber sogar seinen Reisepass abgenommen. Doch gemeinsam mit seiner Frau marschiert er am 13. September über den "Checkpoint Charlie".
Zwischenfall an der Grenze
An der innerdeutschen Grenze hatte es noch am Morgen einen krassen Zusammenstoß gegeben. Auf Ost-Seite herrscht erhöhte Truppenpräsenz. Martin Luther King wird von den überraschten DDR-Grenzern dennoch durchgelassen und muss angeblich nur seine American-Express-Karte vorzeigen. Dem SED-Staat ist er als unbequemer Kritiker der US-Innenpolitik jedenfalls ein willkommener Gast.
Predigt in der St. Marienkirche
In der St. Marienkirche am Alexanderplatz warten die Schwägerinnen Hannelore Weist und Irmtraut Streit. Die beiden jungen Frauen wollen den berühmten Baptistenpfarrer Martin Luther King aus nächster Nähe erleben und drängen sich im Kirchenschiff weit nach vorn. Eine knisternde Spannung liegt in der Luft. Irmtraut Streit ist 21 Jahre alt und frisch verheiratet. Ihre Familie gehört zur Baptistengemeinde, die Kirche ist ein Freiraum, in dem sie sich traut, wichtige Dringe zu sagen. Auch von Martin Luther King erwartet die Pfarrerstochter bedeutende Worte.
Und es war eben so voll und mein Vater sagte dann: Ja, hier vorne – wir standen ziemlich weit vorn – werden jetzt die Honoratioren noch kommen und da müsstet ihr schon ein bisschen Platz machen. Und dann sind wir da an der Seite gewesen und haben uns eigentlich auch riesig gefreut über jeden, den wir kannten – den wir trafen: 'Oh, du hast es auch erfahren' – das war eigentlich so dann auch nochmal dieses Gemeinschaftserlebnis!
Irmtraut Streit kennt die Geschichte von der Näherin Rosa Parks, der man den Platz im Bus verwehrte hatte. Protestieren ohne Gewalt, das beeindruckt die junge Frau. Auch ihre damals 24 Jahre alte Schwägerin Hannelore Weist ist vom Gedanken der Gewaltlosigkeit fasziniert. Als Martin Luther King auf die Kanzel steigt, herrscht gespannte Stille. Er spricht viel von Freiheit, macht Anspielungen auf das geteilte Deutschland und spricht davon, dass es Gottes Kinder auf beiden Seiten gebe und dass man für diese Kinder auf beiden Seiten auch da zu sein habe.
Er brachte ja Grüße von allen Christen aus Amerika mit. Das waren so seine ersten Worte und da denkt man: Das ist aber gewaltig! Und dann dass so oft das Wort 'Freiheit' in der Predigt fiel. Also ich dachte: 'Er hat ja Mut, hier dass jetzt so zu sagen.' Und es sollte uns auch Mut machen.
Eine Lektion in Gewaltlosigkeit
Die Worte hinterlassen bei vielen seiner Zuhörer einen bleibenden Eindruck. Bei Politik und DDR-Presse treffen sie allerdings auf wenig Gegenliebe. Der Besuch wird auf die politischen, auf die gegen die USA gerichteten Botschaften reduziert. Alles, was man an Ost-West-Gemeinsamkeiten hätte daraus entnehmen können, wird ganz bewusst außen vor gelassen.
Doch wer King an diesem Sonntagnachmittag selbst erlebt, ist sich seiner Botschaft wohl bewusst – so auch Hannelore Weist, die King nach der Predigt sogar noch ein Autogramm abgewinnen kann. Dabei ist der Bürgerrechtler schon längst ins Auto eingestiegen, Hannelore befürchtet schon, im Getümmel unterzugehen. King bekommt das mit - und plötzlich geht die Wagentür wieder auf, er unterschreibt auf ihrem kleinen Zettel und winkt zum Abschied. Eine kleine Lektion in Gewaltlosigkeit. Vier Jahre nach seinem Besuch in der DDR wurde Martin Luther King am 4. April 1968 von einem Attentäter in Memphis erschossen.
Zur Erklärung: Baptisten
Die Baptisten-Gemeinden gehören zu den Freikirchen. Die erste Gemeinde in Deutschlands hat der Hamburger Kaufmann Johann Gerhard Oncken (1800-1884) 1834 gegründet.
Die Baptisten streben eine einfache Lebensweise an. Das spiegelt ihre Gottesdienste wider: Priester tragen keine Talare, weil die Baptisten nicht an besondere Amt- und Würdenträger glauben. Ihre Kirche ist von flachen Hierachien geprägt.
Zu den Besonderheiten der Baptisten (griechisch für Täufer) gehört es auch, dass die Gläubigen als Erwachsene getauft werden. Die Kindstaufe halten die Baptisten für unbiblisch.
Zu den berühmtesten Glaubensbrüdern zählen neben dem Bürgerrechtler Martin Luther King auch der amerikanische Präsident Abraham Lincoln und der der Sänger Johnny Cash.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Brisant | 12. Juni 2020 | 17:15 Uhr