Erster Weltkrieg Als Deutsche und Briten Weihnachten 1914 an der Front Fußball spielen
Hauptinhalt
25. Dezember 2021, 05:00 Uhr
Am Weihnachtstag 1914 verlassen deutsche und britische Soldaten in Flandern ihre Schützengräben und spielen im Niemandsland gemeinsam Fußball. Bei den Verbrüderungen des Weihnachtsfriedens an der Westfront des Ersten Weltkrieges ganz vorn mit dabei sind auch Soldaten aus Sachsen.
Alles beginnt mit einem weltberühmten Weihnachtslied. Es ist nur ein einzelner deutscher Soldat, der am Heiligen Abend 1914 an der deutsch-britischen Front unweit der nordfranzösischen Stadt Armentières lautstark intoniert: "Stille Nacht, heilige Nacht …" Doch schon bald erfasst die Melodie den gesamten deutschen Schützengraben über viele Kilometer. Aus Tausenden Männerkehlen tönt es: "Schlaf in himmlischer Ruh."
Vom Krieg zum Sängerwettstreit
Auch auf die britischen Soldaten in ihrem Schützengraben greift die feierliche Stimmung über, wie sich Oberleutnant Johannes Niemann vom 9. Königlich Sächsischen Infanterieregiment Nr. 133 später erinnert: "Und so kam es, dass sich der Krieg in die beschauliche Form eines Sängerwettstreites verwandelte und sich der kriegerische Geist hüben wie drüben in Weihnachtsstimmung verlor." Erstmals seit Wochen empfinden die Soldaten an jenem Abend des 24. Dezember 1914 beim Feiern und gemeinsamen Singen so etwas wie Glücksgefühle. Eine Stimmung, die auch am darauffolgenden Ersten Weihnachtsfeiertag nicht mehr verschwindet.
Verbrüderungsszenen im Niemandsland
Es sind wohl zuerst die sächsischen Soldaten, die am Weihnachtsmorgen im Abschnitt von Niemanns Kompanie bei Frelinghien in Französisch-Flandern aus ihren Gräben klettern und auf die britischen Linien zugehen. Auch an anderen Frontabschnitten, wo sich Deutsche auf der einen und Engländer, Schotten, Iren oder Waliser auf der anderen Seite gegenüberliegen, spielen sich während des Weihnachtsfriedens 1914 (engl. "Christmas Truce") im Niemandsland solche Verbrüderungsszenen ab. Man bestattet gemeinsam die Gefallenen, kommt ins Gespräch, tauscht kleine Geschenke, Zigaretten, Zigarren oder einfach nur einen Schluck aus der Schnaps-, Whisky oder Rum-Flasche aus.
Warum sich gegenseitig erschießen
Dabei hinterfragen die Soldaten auch den Sinn des ihnen aufgezwungenen gegenseitigen Tötens. "We are Saxons, you are Anglosaxons, why should we shoot each other?", bringt es einer der sächsischen Infanteristen auf den Punkt: Wir sind Sachsen, ihr Angelsachsen, warum sollten wir uns gegenseitig erschießen? Niemann selbst äußert später sogar die These, dass es ja vielleicht tatsächlich so sei, dass "die Tommys in uns Sachsen ihre Vorfahren, die Angelsachsen, vermuten". Fest steht in jedem Fall, dass sich Sachsen und Angelsachsen auch am 25. Dezember 1914 bestens verstehen.
Das Fußballspiel bei Frelinghien
Allerdings bleibt es an diesem Ersten Weihnachtsfeiertag nicht beim Musik- und Gesangswettstreit. Denn nun wird es auch sportlich. Niemann schreibt dazu in seinen Erinnerungen: "Plötzlich brachte ein Schotte einen Fußball an, und es entwickelte sich ein regelrechtes Fußballspiel mit hingelegten Mützen als Toren." Zwar habe der hartgefrorene Kohlacker im Niemandsland zwischen Frelinghien und Le Touquet ein richtiges Spiel nicht zugelassen, aber alle Akteure und Zuschauer seien von "friedlicher und sportlicher Gemeinsamkeit" erfüllt gewesen. Wenn einer in den Dreck gefallen sei, habe ihm der Gegner wieder auf die Beine geholfen, so der sächsische Offizier.
Hunderte Deutsche und Briten spielen Fußball
Auch an anderen Orten der Westfront beginnen Deutsche und Briten am Ersten Weihnachtstag 1914, gegeneinander zu kicken. So berichtet der aus Plauen stammende Kompanieführer im 10. Königlich Sächsischen Infanterie-Regiment Nr. 134, Oberleutnant Kurt Zehmisch, dessen Kompanie damals am Ploegsteert-Wald bei St. Yvon liegt, dass "ein paar Engländer einen Fußball aus ihrem Graben gebracht [hätten] und ein eifriges Fußballwettspiel begann." Von den Sachsen sollen vor allem Soldaten aus Leipzig, wo 1900 der Deutsche Fußball-Bund gegründet worden war, ein großes Interesse an den Kicks gehabt haben. Am Ende sind es wohl Hunderte oder vielleicht sogar Tausende deutsche und britische Soldaten, die während des Weihnachtsfriedens 1914 an der Front in Belgien und Frankreich gegeneinander Fußball spielen.
Lederbälle, Stroh oder Konservendosen
Unter den Soldaten des Vereinigten Königreiches sind damals schon Lederbälle weit verbreitet. Dort, wo kein Ball aufzutreiben ist, tut es ein Stück Stroh, umwickelt von Draht. Notfalls behilft man sich mit einer leeren Konservenbüchse. Wie spontan die "Football matches" zustande kommen, beschreibt der englische Soldat Ernest "Ernie" Williams vom Cheshire Regiment: "Wir bauten irgendwelche Tore auf, zwei Jungs gingen hinein, und dann haben alle gekickt. Das waren schon ein paar hundert Mann." Beim allgemeinen Gebolze hätten alle ihren Spaß gehabt. Das Ergebnis habe keinen interessiert. "Es gab keinen Schiedsrichter, […], es gab keinen Torstand." Schon allein die dreckigen und schweren Stiefel hätten ein richtiges Spiel verhindert.
Die Legende vom deutschen 3:2-Sieg
Und trotzdem wird später immer wieder berichtet, dass es an verschiedenen Abschnitten der Westfront richtige Fußball-Matches gegeben habe - mit Schiedsrichtern und regulären Halbzeiten. So meldet die britische "Times" als erste Zeitung am Neujahrstag 1915 unter Berufung auf einen anonymen britischen Major eines ungenannten Regiments von einem deutschen Sieg über ein englisches Team. Auch der sächsische Oberleutnant Niemann nährt die Legendenbildung, indem er von einem 3:2-Sieg seiner Sachsen berichtet. Im Tagebuch der Lancashire Fusiliers ist ebenfalls von einem 3:2-Sieg der "Fritzen" die Rede. Allerdings soll hier das Siegtor aus dem Abseits erzielt worden sein. Ein anderer Bericht lässt wiederum ein Bedfordshire-Regiment 2:3 gegen die Deutschen verlieren.
Zahlreiche spontane Kicks
All diese Berichte von regulären Fußballspielen während des Weihnachtsfriedens 1914 dürften dennoch Legenden sein. An der Tatsache, dass es damals zu einer Reihe spontaner Kicks zwischen deutschen und britischen Soldaten kommt, ändert das aber nichts. Genauso wenig, wie das etwas an der Tatsache ändert, dass sich deutsche und alliierte Soldaten mitten im "Großen Krieg" weigern, am Fest der Geburt Christi ihre "Feinde" zu töten. Es sollte fast das letzte Mal in diesem Krieg sein. Mit dem Versprechen ihrer Führer: Nur noch eine entscheidende Schlacht, nur noch eine letzte Entbehrung und nur noch ein letzter Sieg lassen sich deutsche und alliierte Soldaten bis 1918 durch die "Blutmühlen" des Ersten Weltkrieges treiben. Am Ende sind mehr als 9,5 Millionen von ihnen tot.
Denkmal zum Weihnachtsfrieden 1914
Am 11. November 2008 wird im französischen Dorf Frelinghien im Gedenken an das einstige Fußballspiel zwischen den sächsischen und britischen Soldaten das erste Denkmal zum Weihnachtsfrieden von 1914 eingeweiht. Britische und sächsische Soldaten liefern sich dazu erneut ein Fußballmatch. Eine würdige Erinnerung an die Helden des "Kleinen Friedens im Großen Krieg", die ihre Feinde liebten, anstatt sie zu hassen.
Literaturhinweis Michael Jürgs, Der kleine Frieden im Großen Krieg. Westfront 1914: Als Deutsche, Franzosen und Briten gemeinsam Weihnachten feierten, München 2003.