Schiffskatastrophe im Zweiten Weltkrieg Tod in der Ostsee: Untergang der "Steuben"
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22. Juni 2022, 11:46 Uhr
Im Frühjahr 1945 ist Ostpreußen von der Roten Armee eingekesselt. Die Menschen fliehen in die Hafenstädte. Das Lazarettschiff "General von Steuben" ist für viele die einzige Hoffnung, dem Krieg zu entkommen. Doch die Flucht wird zum Albtraum. Der Torpedo eines sowjetischen U-Bootes trifft die Steuben und versenkt den Dampfer in den Fluten der Ostsee. Das Rettungsschiff wird für Tausende zum eisernen Sarg.
Im Februar 1945 befördert der ehemalige Luxusdampfer "General von Steuben" schon längst keine reichen Erholungsgäste mehr. Und dennoch ist es ein Traumschiff. Seine Passagiere träumen davon, dem Krieg zu entrinnen. Auf dem Lazarettschiff fahren nun Verwundete und Kriegsflüchtlinge über die Ostsee.
Vom Luxusdampfer zum Lazarettschiff
Auch für Helene Sichelschmidt und Mathilde Gleich ist das Schiff die einzige Hoffnung. Beide sind schon seit drei Wochen auf der Flucht vor der Roten Armee.
Ganz allein haben sich die Freundinnen quer durch Ostpreußen bis zur Ostsee durchgeschlagen. Nun liegt der Verwundetentransporter in Pillau vor Anker. In den Salons des Dampfers liegen mehr als 3.000 verwundete Soldaten. Tausende Menschen drängen sich am Pier und versuchen verzweifelt einen Platz auf dem Schiff zu bekommen.
Und da ging ich rauf und die guckten mich ganz groß an. Und da fragte ich, ob ich den Kapitän sprechen könnte. Ich sagte, wir sind zwei Kindergärtnerinnen, wir könnten helfen, Verwundete zu versorgen.
Sie haben Glück: Der leitende Arzt stimmt zu.
U-Boot-Angriff auf die Steuben
Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen: Schon einen Tag später gerät das rettende Schiff unter Beschuss. Am Abend des 9. Februar 1945 wird die Zivilbesatzung gewarnt: U-Boot-Alarm.
Kurz nach Mitternacht, 10. Februar: In wenigen Stunden soll die Steuben den Hafen von Swinemünde erreichen. Doch ein sowjetisches U-Boot, die S 13, hat die Steuben längst im Visier. Um kurz nach halb eins gibt der U-Boot-Kapitän den Befehl zum Angriff. Plötzlich eine Erschütterung. Die beiden Kindergärtnerinnen schrecken aus dem Schlaf, rennen aus der Kabine.
Dann nahmen wir uns an die Hand – nicht loslassen, immer beieinander bleiben.
Wasser bricht ein. Verzweifelt versuchen die Menschen von den unteren Decks nach oben zu kommen. Das Schiff hat bereits Schlagseite. Helene Sichelschmidt kämpft sich mit ihrer Freundin zum Bug der Steuben durch. Die Szenen von damals wird sie nie vergessen: "Ich sagte: 'Nein, Matchen, wir ziehen unsere Schuhe aus.' Und ich zog sie aus. Ich weiß nicht, ob sie ihre nachher ausgezogen hat. Dann haben wir uns gegenseitig noch einmal ganz fest in den Arm genommen. Wir hörten die Soldaten: 'Das Wasser kommt, das Wasser kommt! Die Kameraden da drin ersaufen.'"
Das Wasser kommt
Wer dem Sog des sinkenden Schiffs entrinnen kann, hat nur eine kurze Gnadenfrist. Helene und Mathilde schaffen es, von Bord zu springen – hinein in die eiskalte Ostsee. Todesszenen.
Dann fing ich an: 'Bitte, bitte, lieber Gott. Hilf mir! Die Eltern wissen nicht, wo ich geblieben bin.'
Helene taucht auf. Scheinwerferlicht. Die Besatzung vom Begleitschiff entdeckt die junge Frau im Wasser.
Dann schrien die vom Begleitschiff: 'Da ist ne Frau, nehmt die zuerst. Dann haben die mich auf das Schiff gezogen.'
Ihre Freundin Mathilde hat nicht so viel Glück. Sie geht mit der Steuben unter. In dieser Nacht sterben mehr als 4.000 Menschen. Frauen, Männer, Kinder. Bis heute sind auf dem Grund der Ostsee die Spuren dieser Tragödie zu finden – die Überreste der Steuben.
Die Todesfahrten über die Ostsee Mit den Rettungsschiffen über die Ostsee werden mehr als eine Million Menschen gerettet. Doch über 40.000 Zivilisten und Soldaten finden den Tod in der eiskalten Ostsee. Am 30. Januar 1945 sinkt der ehemalige KdF-Dampfer "Wilhelm Gustloff" nach einem Torpedoangriff eines sowjetischen U-Bootes – etwa 9.000 Menschen sterben bei der wahrscheinlich größten Schiffskatastrophe aller Zeiten. Wenige Tage später wird die "General von Steuben" versenkt, mehr als 4.000 Menschen sterben. Das Frachtschiff "Goya" wird am 17. April von zwei Torpedos getroffen, sinkt innerhalb von sieben Minuten und reißt etwa 6.800 Menschen mit in die Tiefe.
(Stefanie Wagemann/me)
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV: 09.02.2020 | 22.20 Uhr