Der pragmatische Ökonom Walter Eucken: Der Berater Ludwig Erhards

17. Januar 2017, 17:28 Uhr

Ludwig Erhard ist vielen noch ein Begriff, gern mit dem Zusatz "Vater des Wirtschaftswunders". Weniger bekannt ist Walter Eucken als Vordenker der Wirtschaftsordnung der Nachkriegszeit und enger Berater Ludwig Erhards.

Walter Eucken kam am 17. Januar 1891 in Jena zur Welt. Sein Vater, der aus Ostfriesland stammende Philosoph und Schriftsteller Rudolf Eucken, hatte 1874 eine Professur an der Universität Jena übernommen und 1882 ebendort die aus einer norddeutschen Gelehrtenfamilie stammende Irene Passow geheiratet.

Die Euckens lebten in einer hochgelegenen Villa, die "eine ländliche Stille sowie einen herrlichen Blick auf Jena und auf das Saaletal gewährte", wie sich der Vater später in seinen Lebenserinnerungen ausdrückte. Walter und seine Geschwister wuchsen in harmonischen und bildungsbürgerlichen Verhältnissen auf. An geistigen Anregungen mangelte es im Hause Eucken nicht: "Es herrschte dort eine wohltuende und liebenswürdige Stimmung, gelegentlich wurden auch Gesellschaften künstlerischer Art veranstaltet."

Vom kunstbeflissenen Zuhause zum Malermodell

Die Mutter Euckens pflegte ein ausgeprägtes kulturelles Engagement und zahlreiche Freundschaften mit Künstlern. Den Schweizer Maler Ferdinand Hodler lud sie 1908 dazu ein, für die Jenaer Universität ein Bild von Studenten im Befreiungskrieg gegen Napoleon zu malen. "Der Aufbruch der Jenenser Studenten" hängt heute seinem kunsthistorischen Wert entsprechend an prominenter Stelle in der Aula der Friedrich-Schiller-Universität. In der Mitte des Bildes sieht man Walter Eucken, der dem Maler damals im Alter von siebzehn Jahren Modell stand.

Vom Schnellstudenten zum Offizier zurück an die Uni

Der junge Eucken, den es zunächst zur Geschichte hinzog, entschloss sich im Hauptfach Nationalökonomie zu studieren, das in etwa unserer heutigen Volkswirtschaftslehre entspricht. Bereits im Alter von 22 Jahren promovierte er in Bonn, nachdem er zuvor die Universitäten Kiel und Jena besucht hatte.

Den Ersten Weltkrieg überlebte er als Offizier an der Front. Danach kehrt er zurück an die Universität. 1921 habilitierte er sich über das Thema "Die Stickstoffversorgung der Welt" bei Heinrich Schumacher in Berlin. Anschließend arbeitete er vier Jahre als Privatdozent in Berlin und zwei Jahre als Ordinarius für Nationalökonomie in Tübingen, bevor er 1927 einen Ruf an die Universität Freiburg annahm, wo er bis zum Ende seines Lebens unterrichten sollte.

Für das wissenschaftliche Lebenswerk Euckens ist ein Ereignis richtungweisend geworden, das zu Beginn der Zwanzigerjahre nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern die gesamte Gesellschaft durcheinander brachte: die Inflation.

Erschüttert von der Unfähigkeit der in Deutschland prominenten "Historischen Schule der Nationalökonomie", die rasante Geldentwertung zu erklären, geschweige denn Wege zu deren Behebung aufzuzeigen, wandte sich Eucken der Geldtheorie zu. Dabei kam er zu der Einsicht, dass für das reibungslose Funktionieren der Volkswirtschaft der Geldwert stabil gehalten und zu diesem Zweck die Verfügungsgewalt der Politik über die Geldmenge eingeschränkt werden muss.

Der Pragmatiker unter den Theoretikern

In den folgenden Jahren entwickelte Eucken eine neue theoretische Grundlage für die Wirtschaftswissenschaft, die sowohl die historische Analyse konkreter Volkswirtschaften als auch das Formulieren allgemeiner Gesetzmäßigkeiten erlaubte. Euckens Theorie entstand in engem Kontakt zu Unternehmern und Praktikern. Pragmatisches Denken war für ihn geradezu charakteristisch.

In Freiburg traf Eucken mit den Juristen Franz Böhm und Hans Großmann-Doerth zusammen, die sich ebenfalls mit dem Problem der Ordnung der freien Wirtschaft im Verhältnis zur Gesamtgesellschaft beschäftigten. Die gemeinsame Forschungs- und Lehrtätigkeit dieser drei Männer zog Studenten von weither an.


Die Vordenker der Nachkriegszeit

Es entstand die "Freiburger Schule" der Nationalökonomie, deren wirtschaftspolitische Grundsätze von Eucken folgendermaßen zusammengefasst wurden: "Der Staat hat die Formen, das institutionelle Rahmenwerk, die Ordnung, in der gewirtschaftet wird, zu beeinflussen, und er hat Bedingungen zu setzen, unter denen sich eine funktionsfähige und menschenwürdige Wirtschaftsordnung entwickelt. Aber er hat nicht den Wirtschaftsprozess selbst zu führen."

Auch wenn einige Mitglieder der "Freiburger Schule" wegen ihrer Nähe zur Bekennenden Kirche und zum Kreis um Goerdeler ins Fadenkreuz der Gestapo gerieten, konnten Eucken und seine "Mitdenker" in den letzten Kriegsjahren, als sich die Niederlage immer deutlicher abzeichnete, relativ unbehelligt von nationalsozialistischer Beeinflussung Konzepte für die Wirtschaftsordnung der Nachkriegszeit entwickeln.

Nach der Vereinigung der amerikanischen und britischen Besatzungszonen zur "Bi-Zone" und der Ausrufung des Marshall-Plans 1947 hatten erstmals die Vertreter der Marktwirtschaft im deutschen Wirtschaftsrat eine knappe Mehrheit. Mit Ludwig Erhard kam im März 1948 ein ehemaliger Schüler Euckens in die alliierte Wirtschaftsverwaltung, und im Juni desselben Jahres fiel mit der Währungsreform endgültig die Entscheidung zur Aufgabe der Zwangsbewirtschaftung.

Als Berater Ludwig Erhards nahm Eucken in den folgenden zwei Jahren wesentlichen Einfluss auf die (markt-)wirtschaftliche Entwicklung der neu gegründeten Bundesrepublik.

Am 20. März 1950 starb Walter Eucken in London, wohin ihn die renommierte London School of Economics zu einer Vortragsreihe eingeladen hatte. In dieser Einladung drückte sich nicht zuletzt der internationale Ruf aus, den Eucken und die Freiburger Schule mittlerweile genossen und der auch nach seinem Tod nicht verblasste. 1952 wurde postum sein Werk "Grundsätze der Wirtschaftspolitik" veröffentlicht, das zu den Klassikern der Wirtschaftswissenschaft zählt.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV