April 1945 Kampf ums Völkerschlachtdenkmal – Kriegsende in Leipzig
Hauptinhalt
14. April 2025, 09:00 Uhr
Das Völkerschlachtdenkmal hat den Zweiten Weltkrieg bis Frühjahr 1945 relativ unbeschadet überstanden. Doch als die US-Truppen im April nach Leipzig vorrücken, wird es zum Brennpunkt erbitterter Kämpfe. Die Spuren sind bis heute zu sehen. Eine Installation erinnert an das Kriegsende am Völkerschlachtdenkmal vor 80 Jahren.
Noch bevor das Völkerschlachtdenkmal im April 1945 zum Schauplatz der letzten Kämpfe in Leipzig wird, hinterlässt der Luftkrieg seine Spuren an dem Monument aus Beton und Granit. In seinen Fundamenten finden 10.000 Bücher der Universitätsbibliothek Schutz vor Luftangriffen. Im Denkmalhügel entstehen seit 1944 Luftschutzräume für Tausende Menschen. Auf der gut 90 Meter hohen Aussichtsplattform übernehmen Denkmalmitarbeiter Aufgaben des Luftschutzes. Gleichzeitig lässt man keine Besucher mehr auf die Plattform, "um ihnen die Aussicht auf eine kriegszerstörte Stadt zu ersparen". Die Denkmalanlage selbst kommt auch nicht unbeschadet davon. Im Dezember 1943 schlagen zwei Bomben im großen Wasserbecken vor der Nordwestseite des Denkmals ein, als britische Bomber die Junkers-Flugzeugproduktion auf der Alten Messe angreifen.
Neuer Kampfkommandant will Leipzig halten
Dennoch bleiben dem Völkerschlachtdenkmal größere Zerstörungen zunächst erspart. Im Frühjahr 1945 sieht es danach aus, dass das auch so bleiben könnte. Als die US-Amerikaner im April auf Leipzig vorrücken, sind sich Oberbürgermeister Alfred Freytag, Polizeipräsident Wilhelm von Grolman und Kampfkommandant Generalmajor Hans von Ziegesar einig, dass eine Verteidigung der Stadt aufgrund fehlender Kräfte nicht möglich ist. Doch am 10. April wird Ziegesar durch den 46-jährigen Oberst der Gebirgsjäger und Ritterkreuzträger Hans von Poncet abgelöst. Der ist "offensichtlich linientreu" genug, die Stadt unbedingt verteidigen zu wollen, wie der Leiter des Völkerschlachtdenkmals Dr. Steffen Poser erklärt. Dafür will er "alle bewaffneten Kräfte inklusive Polizei unter seinen Befehl haben". Doch Freytag und Grolman lehnen das ab. Damit ist Poncets Plan einer gestaffelten Verteidigung obsolet.
Kämpfe um Hauptbahnhof und Rathaus
Als die US-Truppen ab dem 17. April in Leipzig einrücken, schlägt ihnen zwar örtlich heftiger, aber kein systematischer Widerstand entgegen. Zu schweren Kämpfen kommt es in der Nacht vom 18. auf den 19. April am Hauptbahnhof. Der Widerstand im Neuen Rathaus wird nach drei erfolglosen Sturmversuchen am frühen Nachmittag des 19. April durch Verhandlungen beendet. Nur am Leipziger Völkerschlachtdenkmal wird noch weitergekämpft. Hier hat sich Kampfkommandant Poncet mit rund 200 Soldaten verschanzt. Das zu 90 Prozent aus Beton bestehende und mit hartem Granitporphyr verkleidete Denkmal mit seinen meterdicken Mauern ist wie eine kleine Festung. Zur Außenverteidigung haben Poncets Männer Schützengräben angelegt und mit MGs und Panzerfäusten bestückt. Auch Munition und Lebensmittel hat der Kampfkommandant in großen Mengen ranschaffen lassen, erzählt Denkmalleiter Poser: "Da wird gesagt, der hätte hier Monate aushalten können."
Letzte Bastion Völkerschlachtdenkmal
Poncet und seine Soldaten sind wild entschlossen, ihre Stellung zu halten. Als am 18. April eine Kampfgruppe der US-Amerikaner über die heutige Prager Straße in Richtung Innenstadt rollt, wird sie vom Völkerschlachtdenkmal aus beschossen. Mehrere gepanzerte Fahrzeuge werden getroffen. Die Amerikaner gehen zu Infanterieangriffen über, was sich Poser zufolge als "keine gute Idee" erweist. Denn während Poncets Männer "in dem burgartigen Gebäude gut geschützt" sind, sind die US-Soldaten bei ihrem Angriff "den Denkmalhügel aufwärts völlig ungedeckt". Es gibt Tote, Verwundete und Gefangene. Polizeipräsident von Grolman bietet US-Befehlshaber General Emil F. Reinhardt die Übergabe der Stadt an. Der lehnt jedoch ab, solange am Völkerschlachtdenkmal noch gekämpft wird. Daraufhin versucht Grolman Kampfkommandant Poncet von einer Kapitulation zu überzeugen, was der mit Verweis auf den Führerbefehl ablehnt. Nun fahren die Amerikaner im wahrsten Sinne des Wortes schwere Geschütze auf.
Artilleriegranate explodiert im Denkmal
Am 19. April gehen am Monarchenhügel in Liebertwolkwitz 155-Millimeter-Haubitzen in Stellung. Geleitet von einem Artillerieflieger nehmen sie das Völkerschlachtdenkmal unter Beschuss. Die südöstliche Rückseite wird dabei arg lädiert. Die Sprenggranaten hinterlassen zunächst aber nur Einkerbungen im Gestein und versetzte Quader. Der Besatzung im Denkmal fügen sie keinen Schaden zu. Dann wird jedoch das große steinerne Rundbogenfenster durch einen Treffer zerstört. Als schließlich eine Artilleriegranate durch die Fensterhöhlung fliegt und in der Ruhmeshalle explodiert, wächst auf deutscher Seite die Breitschaft zu verhandeln. "Ich möchte mir nicht vorstellen, wie sich eine explodierende Granate im Völkerschlachtdenkmal anhört und welche psychologischen Wirkungen das hat", erklärt Poser die einsetzende Gesprächsbereitschaft von Poncet und seinen Leuten.
Poncet beruft sich auf Führerbefehl
Die Verhandlungen auf amerikanischer Seite führt Hauptmann Hans Trefousse, ein in die USA emigrierter Deutscher. Er trifft sich mit Poncet um 15 Uhr am Andenkenstand des Völkerschlachtdenkmals, wo er den Kampfkommandanten von einer Kapitulation überzeugen will. Doch der deutsche Oberst bleibt hartnäckig und lehnt eine Übergabe mit Verweis auf den Führerbefehl weiterhin ab. Man einigt sich jedoch auf zwei Stunden Waffenruhe und die Bergung der Toten und Verwundeten. Gefangene werden nicht ausgetauscht. Auch ein Versuch von Anwohnerinnen, Poncet zum Einlenken zu bewegen, scheitert. Denkmalleiter Poser erklärt die Motive: "Die Frauen haben natürlich Angst, dass die Amerikaner irgendwann Luftunterstützung anfordern. Dann zieht es natürlich automatisch die umgebenden Wohngebiete in Mitleidenschaft."
Kapitulation in der Nacht zum 20. April
Obwohl Poncet eine Kapitulation noch immer ablehnt, verhandeln Deutsche und US-Amerikaner auch nach dem Ende der offiziellen Waffenruhe um 17 Uhr weiter miteinander. Schließlich kapituliert die deutsche Besatzung des Völkerschlachtdenkmals am 20. April um 2 Uhr morgens. Die Soldaten gehen in Gefangenschaft und werden in Kriegsgefangenenlager in Westdeutschland gebracht – unter anderem nach Bad Kreuznach, eines der gefürchteten "Rheinwiesenlager". Die Offiziere werden zunächst auf Ehrenwort nach Hause entlassen, melden sich aber vereinbarungsgemäß am nächsten Tag und gehen ebenfalls in die Kriegsgefangenschaft, erzählt Poser: "Interessanterweise geht der Poncet nicht in Kriegsgefangenschaft. Ich nehme an, dass das wohl Teil der Kapitulationsbedingungen war." Der letzte Kampfkommandant von Leipzig geht stattdessen nach dem Krieg nach Südafrika, lebt "dort eine gewisse Zeit" und verbringt dann "dem Vernehmen nach einen sehr ruhigen Lebensabend im Bayerischen".
Zahlreiche Schäden durch Beschuss
Dem Völkerschlachtdenkmal selbst bleibt eine Zerstörung erspart. Der Artilleriebeschuss hinterlässt jedoch zahlreiche Schäden. Das große Rundbogenfenster auf der Rückseite ist zerstört. In der Ruhmeshalle klafft neben einer der Riesenfiguren ein Riesenloch. An zahlreichen Stellen im Inneren und an der Fassade haben Granatsplitter ihre Spuren hinterlassen. Auch die Brüstung der Aussichtsplattform hat einen abbekommen. Der Schaden fällt Poser und seinem Team bei der großen Denkmalsanierung 2003 bis 2017 auf: "Offensichtlich waren die Quader im Moment der Explosion leicht angehoben worden und so zurückgefallen, dass sie nicht mehr gerade, sondern ausgebeult nach außen standen. Das ist natürlich erschreckend, weil es einen sehr lebhaften Eindruck vermittelt, wie heftig das gewesen ist."
Sowjetischer Kommandant befiehlt Reparaturen
Dass die größten Schäden am Völkerschlachtdenkmal nach dem Krieg zumindest oberflächig relativ schnell beseitigt werden, ist Poser zufolge dem sowjetischen Stadtkommandanten zu verdanken, der nach dem Besatzungswechsel im Juli 1945 von den US-Amerikanern das Kommando in Leipzig übernimmt. Das große Völkerschlachtdenkmal, das an eine Schlacht erinnert, in der die russische Armee die meisten Lasten zu tragen und den Sieg erfochten hatte, beeindruckt den General, sagt Poser: "Insofern war der ziemlich begeistert davon und gab Befehl, das Denkmal bis zum 18. Oktober 1945 wieder so weit herzurichten, dass man eine Gedenkfeier [zum Jahrestag des Sieges in der Völkerschlacht bei Leipzig 1813] veranstalten konnte."
Kampfspuren bis heute zu sehen
Einige der Spuren von den Bomben- und Granatsplittern am Völkerschlachtdenkmal und seinen Außenanlagen sind ungeachtet dessen bis heute zu sehen. Das ist auch so gewollt, erklärt Denkmalleiter Poser: "Wir haben die Spuren nicht grundsätzlich beseitigt, um der Spurenbeseitigung willen. Das Bauwerk ist über 100 Jahre alt. Dem darf man ruhig ansehen, was es im Laufe seiner Existenz miterlebt hat." Abgesehen davon erinnern die Kampfspuren in und um das Völkerschlachtdenkmal auch an jene Menschen, die kurz vor Kriegsende in Leipzig ihr Leben in sinnlosen Kämpfen verloren haben. Wie viele es genau waren, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Bisherige Zahlen gehen davon aus, dass bei den Kämpfen vom 17. bis 20. April 1945 in der sächsischen Messestadt 20 US-Amerikaner und etwa 200 deutsche Soldaten, Volkssturmmänner und Hitlerjungen fielen.
Vom Ende des Schreckens – 80 Jahre Kriegsende in Leipzig
Installation mit Fotos und historischen Dokumenten in der Ruhmeshalle des Völkerschlachtdenkmals Leipzig
Besichtigung: 13. April bis 29. Juni 2025, 10–18 Uhr
Sonderführungen am 27. April, 1. Mai und 29. Mai 2025, 14 Uhr
Literaturhinweise
- Fleischer, Wolfgang: Das Kriegsende in Sachsen 1945, Eggolsheim 2007.
- Kürschner, Dieter: Leipzig als Garnisonsstadt 1866-1945/49. Hrsg. von Ulrich von Hehl und Sebastian Schaar, Leipzig 2015.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 10. April 2025 | 19:00 Uhr