20. April 1945 Kampf um Leipzig: Blutiges Kriegsende an der Pleiße
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21. April 2020, 10:30 Uhr
Die meisten Leipziger sind kriegsmüde, als Ende April 1945 US-Truppen auf die Stadt an der Pleiße vorrücken. Stadtkommandant Hans von Ziegesar will eigentlich nicht kämpfen. Doch ein neuer Kampfkommandant organisiert den sinnlosen Widerstand. Als er am 20. April kapituliert, sind über 200 Deutsche und US-Amerikaner tot - unter ihnen auch lokale NS-Größen, die im Neuen Rathaus Suizid begehen.
Es sind oft Einzelpersonen, die am Ende des Zweiten Weltkrieges über das Schicksal ganzer Großstädte entscheiden. Wohl und Wehe liegen nicht selten eng beieinander. Symbolhaft dafür stehen die beiden Metropolen im mitteldeutschen Industrie- und Braunkohlerevier Halle und Leipzig. Halle bleiben in den letzten Tagen des Krieges weitere Zerstörungen und Todesopfer erspart, weil es einer Gruppe von Bürgern um den Seekriegshelden des Ersten Weltkrieges, Felix Graf von Luckner, gelingt, den Kampfkommandanten der Wehrmacht mit seinen Truppen zum Abzug zu bewegen. Am 17. April ziehen US-Truppen kampflos in die Saale-Stadt ein. Der Krieg in der Geburtsstadt Händels ist damit vorbei.
Weiße Fahnen um Leipzig
Auch in und um Leipzig sehnt die Mehrzahl der Menschen das Kriegsende herbei. Als Einheiten der 69. US-Infanteriedivision am 17. April von Osten und Süden auf die größte Stadt Sachsens vorstoßen, wehen überall in den Orten des Umlandes weiße Fahnen. Auch der Stadtkommandant von Leipzig, Generalmajor Hans von Ziegesar, hält einen Kampf für völlig sinnlos. Dem Wehrmachtgeneral stehen als stärkste Einheit lediglich die Reste eines Infanterie-Ausbildungs- und Ersatzbataillons mit 750 Mann zur Verfügung, von denen allerdings 500 Soldaten noch gar nicht ausgebildet sind. Hinzu kommen 250 Soldaten der Kraftfahrtruppe sowie acht Volkssturm-Bataillone mit angeblich knapp 2.300 Mann. Von ihnen hat aber nur jeder dritte eine Handfeuerwaffe. Panzerfäuste gibt es aber reichlich.
Stadtkommandant Ziegesar will nicht kämpfen
Auch die Leipziger Bevölkerung und der Leipziger Polizeipräsident, SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Wilhelm von Grolman, drängen Ziegesar, die Stadt nicht zu verteidigen. Doch die Wehrmachtführung und die 12. Armee, der die Truppen in Leipzig unterstehen, wollen einen Vorstoß der US-Amerikaner auf Berlin verhindern und eine zusammenhängende Front an Elbe und Mulde halten. Ein hinhaltender Kampf um Leipzig soll Zeit verschaffen. Deshalb wird Ziegesar als Kampfkommandant abgelöst und durch den erst 46-jährigen Oberst und Ritterkreuzträger Hans von Poncet ersetzt.
Straßenbahnwagen als Straßensperren
Der erfahrene Frontoffizier lässt Straßenbahnwagen mit Steinen füllen und als Panzersperren quer über die Einfahrtsstraßen der Stadt stellen. Er plant eine in drei Linien gestaffelte Verteidigung mit einer Hauptkampflinie am Ostufer der Elster. Die 400 Mann der Leipziger Polizei sollen die anrückenden US-Soldaten in ihren Revieren bekämpfen. Doch dazu kommt es nicht. Polizeipräsident von Grolman, der keinen Kampf um Leipzig will, lehnt eine Unterstellung seiner Schutzpolizisten ab. Auch die Volkssturm-Bataillone werden dem neuen Kampfkommandanten nicht unterstellt. Das verhindern die lokalen NSDAP- und SA-Führer, die eigene Pläne haben und einen großen Teil des Volkssturms am Neuen Rathaus versammeln.
Erste Kämpfe im Westen
Poncets großer Kampfplan für Leipzig ist somit Makulatur. Und dennoch wird die Eroberung der vor dem Krieg 700.000 Einwohner zählenden Metropole an der Pleiße für die US-Truppen kein Spaziergang. Am 18. April erreichen Einheiten der 2. US-Infanteriedivision von Westen kommend den Elster-Saale-Kanal. Sie besetzen Lindenau und Leutzsch. Am Lindenauer Felsenkeller schießt ein 16-jähriger Hitlerjunge mit seiner Panzerfaust einen "Sherman"-Panzer ab. Die Besatzung verbrennt, der Schütze wird ebenfalls getötet. In einem Gründerzeit-Haus in der Jahnallee fällt ein 21-jähriger US-Soldat durch Kopfschuss. Der Kriegsfotograf Robert Capa macht dabei ein Bild, das später weltberühmt wird.
Vorstoß mit Verlusten
Auch die Truppen der 69. US-Infanteriedivision, die am 18. April von Süden und Osten nach Leipzig vorstoßen, geraten unter schweres Feuer. Am Völkerschlachtdenkmal auf der heutigen Prager Straße wird eine aus mehreren Panzern und 225 Infanteristen bestehende US-Kampfgruppe beschossen. Ein leichter Panzer und ein Mannschaftstransporter werden getroffen. Es gibt Tote und Verwundete. Als die US-Soldaten am späten Nachmittag das Zentrum am Johannisplatz erreichen, sind nur noch 65 Infanteristen dabei. Für einen Sturm auf das Neue Rathaus, das von Volkssturm-Einheiten verteidigt wird, ist diese Resttruppe zu schwach.
Kampf um den Hauptbahnhof
Nicht viel besser ergeht es einer anderen Kampfgruppe der 69. US-Infanterie-Division, die am Abend am Hauptbahnhof in starkes Feuer aus Panzerfäusten und Scharfschützengewehren gerät. Gegen die massiven Mauern des Gebäudekomplexes haben die leichten Kanonen der US-Panzer keine Chance. Erst am frühen Morgen des 19. April enden die Kämpfe um den Bahnhof. Jetzt sind nur noch der Leipziger Norden, einige Stadtteile im Süden, das Neue Rathaus und das Völkerschlachtdenkmal in deutscher Hand.
Massen-Suizid im Neuen Rathaus
Jedes Weiterkämpfen ist eigentlich sinnlos. Polizeipräsident Grolman will Leipzig an die Amerikaner übergeben, doch Kampfkommandant Poncet lehnt das ab. So fordern die Kämpfe auch am 19. April weitere Menschenleben auf beiden Seiten. Das Neue Rathaus, in dem sich 150 Volkssturm-Männer verschanzt haben, versuchen die US-Truppen dreimal zu stürmen. Erst nachdem die Angreifer einen deutschen Offizier der Feuerschutzpolizei als Parlamentär schicken, werden die Kämpfe eingestellt. Als die US-Truppen anschließend die Amtsräume des Gebäudes durchsuchen, finden sie die Leichen von SA-Oberführer Paul Strobelt, dem früheren NSDAP-Kreisleiter Walter Dönicke und anderen lokalen NS-Größen. Sie hatten sich selbst gerichtet. In der Amtsstube des Oberbürgermeisters liegen OB Alfred Freyberg und der Stadtkämmerer Kurt von Lisso mit ihren Frauen und Kindern. Sie hatten Gift genommen.
Völkerschlachtdenkmal unter Feuer
Gekämpft wird zuletzt nur noch um das Völkerschlachtdenkmal, wo sich Kampfkommandant Poncet mit rund 150 Männern im Sockel verschanzt hat. Ein Angriff von US-Infanteristen wird abgewiesen. Mehrere GIs fallen oder werden verwundet. Auch der Einsatz von 155-Millimeter-Sprenggranaten der US-Artillerie hat so gut wie keine Wirkung. Sie hinterlassen an dem Steinkoloss nur ein paar Schrammen. Erst als ein Geschoss durch ein Fenster in das Gebäude fliegt, sind die deutschen Verteidiger zu Verhandlungen bereit. Diese verlaufen zäh, da Poncet zunächst eine Übergabe unter Berufung auf den "Führerbefehl", der Kapitulationen verbietet, ablehnt. Letztlich wird man sich aber doch einig.
Über 200 Gefallene
Mit der Kapitulation der letzten deutschen Verteidiger um Poncet endet am 20. April 1945, um 2:00 Uhr morgens, der Kampf um Leipzig. Rund 200 deutsche Soldaten, Volkssturmmänner und Hitlerjungen sowie 20 US-Soldaten haben ihn mit ihrem Leben bezahlt. Der Zweite Weltkrieg in Deutschland ist jedoch noch nicht vorbei. Im Großraum Berlin und in Ostsachsen steht der blutige Höhepunkt erst noch bevor. Er wird noch zehntausende Menschenleben kosten.