Deutsche Weltkriegsflüchtlinge: Gestrandet in Dänemark
Hauptinhalt
08. September 2021, 14:52 Uhr
Mehr als 250.000 deutsche Flüchtlinge stranden am Ende des Zweiten Weltkrieges in Dänemark. Es sind vor allem Frauen, Kinder und alte Menschen, denen in den letzten Kriegsmonaten die Flucht vor der heranrückenden Roten Armee nach Dänemark gelingt. Sie kommen vor allem aus Pommern, Danzig, Ost- und Westpreußen. Sie finden Zuflucht in einem Land, in dem man auf die ehemaligen Besatzer nicht gut zu sprechen ist.
Anfang 1945 beschließt die deutsche Führung, verwundete deutsche Soldaten nach Dänemark zu schicken. Bald ist auch von Flüchtlingen aus den Ostgebieten die Rede, zunächst von einigen Tausend. Dänemark ist seit 1940 von der deutschen Wehrmacht besetzt. Gibt es in den ersten Jahren noch eine dänische Regierung, die versucht, ihre Bürger so gut wie möglich vor den Besatzern zu schützen, herrscht ab Sommer 1943 der Ausnahmezustand.
Das große Sterben
Die Versorgungslage der dänischen Bevölkerung ist sehr angespannt. Entsprechend groß ist der Unmut und der Protest der Dänen, als die Deutschen zur Unterbringung von Verwundeten und Flüchtlingen Krankenhäuser, Schulen, Fabrikgebäude, aber auch Gasthöfe und Privatunterkünfte beschlagnahmen.
Die ersten Flüchtlinge, darunter viele kleine Kinder, treffen am 9. Februar 1945 im Hafen von Kopenhagen ein. Nach wochenlanger Reise sind sie von den Strapazen der Flucht und dem Hunger so geschwächt, dass viele von ihnen die ersten Monate in Dänemark nicht überleben. Endlich in Sicherheit und doch sterben allein im Jahr 1945 mehr als 13.000 Menschen, darunter 7.000 Kleinkinder unter fünf Jahren.
Wie eine "zweite Besatzung"
Insgesamt kommen im Mai 1945 auf vier Millionen Dänen ca. 250.000 deutsche Flüchtlinge. Die öffentliche Meinung im Land ist gespalten. Die einen sehen sich in der Pflicht und fordern Unterstützung für die Hilfsbedürftigen. Andere empfinden die Zeit als eine Art "zweite Besatzung". Erklärtes Ziel der dänischen Politik ist es, die "ungeladenen Gäste" möglichst bald wieder loszuwerden. Der dänische Ärzteverband verweigert ihnen sogar die medizinische Versorgung.
Über die Rückführung der Flüchtlinge nach Deutschland streitet sich Dänemark erbittert mit den Alliierten. Sie verbieten die Weiterreise der Menschen nach Deutschland. Die dänischen Behörden internieren die Flüchtlinge daraufhin in streng bewachten Lagern. Bis 1949 gibt es davon mehr als 460. Das bei weitem größte entsteht in Oksbøl an der Westküste Jütlands. Bis zu 36.000 Menschen leben hier in Baracken auf einem ehemaligen Wehrmachtsstützpunkt.
Kontakt zwischen Deutschen und Dänen: streng verboten!
Aber auch in Aalborg gibt es große Lager, wie auch zum Beispiel in Aarhus, Rye, Kraglund und Allesø. Die Lager verwalten sich selbst: Unter dänischer Aufsicht werden deutsche Lagerverwaltungen demokratisch gewählt. Der Kontakt zur einheimischen Bevölkerung ist streng verboten. Es herrscht ein sogenanntes Fraternisierungsverbot, Verstöße dagegen werden geahndet. Gleichzeitig fördert man innerhalb der Lager die Pflege der deutschen Sprache und Kultur. Jede Art der Integration soll so unbedingt verhindert werden.
Die Lebensbedingungen sind von Lager zu Lager sehr unterschiedlich. Oft mangelt es an ausreichender Verpflegung und medizinischer Versorgung. Die Menschen leben in den Baracken auf engstem Raum, oftmals Männer, Frauen und Kinder gemeinsam in Mehrbettzimmern. Für ein bisschen Privatsphäre teilt man die Betten mit Laken und Decken notdürftig ab.
Dafür können sich die Insassen innerhalb des Lagers frei bewegen. Es gibt Schulunterricht für die Kinder, man organisiert Kino-, Theater- und sogar Tanzveranstaltungen gegen den Lagerkoller. Seltener dürfen die Flüchtlinge außerhalb des Lagers arbeiten - zum Beispiel auf dänischen Bauernhöfen.
"Kind oder Feind?"
Besonders schwierig ist die Lage für Kinder, die auf der Flucht ihre Eltern verloren haben. Man will sie schnell wieder loswerden und bis dahin möglichst vollständig isolieren. Und man versorgt sie zum Teil sehr schlecht. Rund 10.000 deutsche Kinder unter fünf Jahren sterben in dänischen Lagern, oft an Hunger, Magen-Darminfektionen und Lungenentzündung. Die Geschichte dieser toten Kinder erzählt die dänische Ärztin und Historikerin Kirsten Lylloff in ihrer Dissertation aus dem Jahr 2005.
60 Jahre nach Kriegsende hat sie damit das gängige Bild vom immer hilfsbereiten Dänen ins Wanken gebracht. Die Weigerung der Ärzte, zu helfen, ist für sie die "größte humanitäre Katastrophe der Neuzeit in Dänemark". An den Ursachen, die Lyloff in ihrem Buch "Kind oder Feind" benennt – nämlich den "ethnischen Hass der Bevölkerung gegen alles Deutsche" – entzündete sich eine gesellschaftliche Debatte. Denn es gibt auch Geschichten von großer Hilfsbereitschaft und viele gute Erinnerungen ehemaliger Flüchtlinge an ihre Zeit in Dänemark.
Zurück in die neue Heimat
Die ersten Flüchtlinge verlassen Dänemark im November 1946 wieder. Über das zentrale Durchgangslager in Kolding reisen sie in die britische Besatzungszone aus. Sie müssen allerdings nachweisen können, dass sie bei Freunden oder Verwandten in den Westzonen ein Dach über dem Kopf haben. Nur dann bekommen sie einen Personalausweis für die Einreise nach Deutschland. Viele sind das nicht. Im Sommer 1947 leben noch immer fast 200.000 Deutsche in dänischen Flüchtlingslagern. Der letzte Flüchtlingszug verlässt Dänemark erst am 15. Februar 1949.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: "Spur der Ahnen" | 31.01.2018 | 21:15 Uhr