Widerstand gegen das NS-Regime Sophie Scholl und der Widerstand der "Weißen Rose"
Hauptinhalt
22. Februar 2024, 17:15 Uhr
Sie ist keine 22, als sie am 22. Februar 1943 in München auf dem Schafott endet: Sophie Scholl. Mit ihr sterben ihr Bruder Hans und deren Freund Christoph Probst - die drei sind Mitglieder der Widerstandsgruppe "Weiße Rose". Doch wer ist die junge Frau und wieso wird sie von den Nazis hingerichtet?
Inhalt des Artikels:
- Wer war Sophie Scholl?
- Scholls Elternhaus: liberal und kunstsinnig
- Sophie Scholl: BDM-Führerin mit Hang zu Heine und Zweig
- Sophie Scholl: "Meine Seele hat Hunger"
- Widerstandsgruppe: "Die Weiße Rose"
- 12.000 Flugblätter gegen die Nazis
- "Die Weiße Rose": Widerstand gegen die Nationalsozialisten
- Verräterische Blätter im Treppenhaus
- Geschwister Scholl und Christoph Probst: Tod durch das Fallbeil
Eine junge Frau steigt in Ulm in einen Zug nach München. Im schulterlangen, braunen Haar steckt eine Blume von ihrem Geburtstagstrauß. Die junge Frau ist gerade 21 Jahre alt geworden und auf dem Weg in ein neues, aufregendes Leben: Sie will in München Biologie und Philosophie studieren. Ganz schön aufregend, dieser Aufbruch in einen neuen Lebensabschnitt. Nur knapp ein Jahr später endet die hoffnungsfrohe Studentin auf dem Schafott – zusammen mit einem ihrer Brüder und einem Freund. Weil sie in der Universität Flugblätter gegen ein mörderisches Regime gestreut haben: Die Rede ist von Sophie Scholl. Doch wer ist eigentlich diese Sophie Scholl? Und warum ist sie so bekannt geworden? Steht ihr Name symbolisch für eine ganze Gruppe von Studenten, die ihr Leben im Widerstand gegen das Nazi-Regime riskierten?
Wer war Sophie Scholl?
Sophie Scholl kommt am 9. Mai 1921 in Forchtenberg in Schwaben zur Welt. Sophie ist ein ganz normales junges Mädchen, spielt gern Klavier, liebt Musik, schwimmt viel und stromert begeistert in der Natur herum. Sie zeichnet, besucht sogar einen Aktzeichenkurs und einmal illustriert sie ein Buch. Sophie tanzt gern und viel und am Wochenende darf sie mit dem Wagen ihres Vaters zu Veranstaltungen fahren. Bei den Tanzabenden mit ihren Freunden wird geraucht und getrunken.
Scholls Elternhaus: liberal und kunstsinnig
Sophie wächst mit fünf Geschwistern auf. Die Mutter ist Krankenschwester, der Vater steigt vom Bauernsohn zum Bürgermeister auf. Zum Familienalltag gehören Hausmusik, Konzertbesuche, Zeichnen oder Theaterspielen. Doch in den 1930er-Jahren zieht die Politik in den Alltag der Scholls: Hitler kommt an die Macht.
Die Kinder der Familie Scholl werden mit der Nazi-Ideologie und dem militärischen Drill der Kinder- und Jugendorganisationen groß. Die Eltern Scholl sind zwar dagegen, die Kinder stört das nicht: Gerade die Mädchen genießen im Bund Deutscher Mädel, dem BDM, für Mädchen neue Freiheiten – abenteuerliche Ausflüge mit Lagerfeuer und Zeltferienlager.
Sophie Scholl: BDM-Führerin mit Hang zu Heine und Zweig
Sophie ist eine Führerin beim BDM, aber so richtig durchdrungen hat sie die Inhalte nicht: Sie wundert sich lauthals, warum ihre jüdische Klassenkameradin nicht dabei sein darf. Oder sie will Heinrich Heine vorlesen – ausgerechnet den jüdischen Dichter, dessen Bücher die Nazis am 10. Mai 1933 verbrennen. Mitte der 30er-Jahre bekommen die Scholl-Kinder am eigenen Leib zu spüren, wie die Nazis mit ihnen unliebsamen Leuten umgehen. Sophies Bruder Hans wird verhaftet und mit ihm zusammen die Geschwister Inge, Werner und Sophie. Nur Sophie kommt frei, die anderen sitzen acht Tage in Haft. Der Grund: Hans hatte verbotene Lieder gesungen und aus Büchern von Stefan Zweig vorgelesen.
In der Hitlerjugend fühlt sich Sophie danach nicht mehr zu Hause. 1940 macht sie Abitur und fängt eine Ausbildung zur Kindergärtnerin an. In dem Kindergarten, in den Sophie kommt, glaubt man noch an die Selbstbestimmtheit und Individualität der Kinder. Ein krasser Gegensatz zu nationalsozialistischen Ideologie: "Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl", sollen die neuen Menschen sein - und natürlich "dem Führer" treu ergeben.
Sophie Scholl: "Meine Seele hat Hunger"
Im April 1941 muss Sophie Scholl zum Reichsarbeitsdienst. Hier wird den jungen Mädchen die Ideologie des "Dritten Reichs" eingetrichtert. Sophie muss zunächst bei einer Bauersfamilie im Haushalt arbeiten, später leitet sie einen Kindergarten. Sophie hasst den Arbeitsdienst, sie fühlt sich komplett von allen guten Geistern verlassen. Weg von Zuhause, unter fremden Gesichtern, der Alltag bestimmt vom militärischen Drill mit Frühsport und ideologischen Schulungen. Den Mädchen im Lager geht es immer bloß um Männer. "Meine Seele hat Hunger", notiert sie in ihrem Tagebuch.
Mittlerweile herrscht Krieg. Freunde von Sophie müssen als Soldaten an die Front. Aus dem Osten kommen Berichte über Massenmorde. Juden werden diskriminiert und deportiert. Unfreiheit und Menschenverachtung bestimmen den Alltag. Das geht nicht spurlos an Sophie vorbei. Und auch nicht an ihrem Bruder und ihren Freunden, die sie 1942 in München an der Uni wiedertrifft. Die jungen Leute sind sich bald einig: Nur Bücher lesen und diskutieren reicht nicht, sie wollen etwas gegen das Nazi-Regime tun.
Widerstandsgruppe: "Die Weiße Rose"
Sie gründen die Widerstandsgruppe "Die Weiße Rose". Sechs Leute gehören bald zum inneren Kreis – neben Hans und Sophie Scholl sind das Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf und der Universitätsprofessor Kurt Huber. Mit Flugblättern rufen sie zum Widerstand auf – mit Zitaten von Goethe und Schiller, im Namen des deutschen Humanismus und christlicher Werte. Sie wollen die braunen Horden ausrotten, heißt es kämpferisch, und: "Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose lässt Euch keine Ruhe!"
Die ersten vier Flugblätter schreiben Hans Scholl und Alexander Schmorell im Sommer 1942 und schicken sie an Schriftsteller, Professoren, Buchhändler, an Freunde und Kommilitonen. Die Adressen haben die Studenten aus Telefonbüchern per Hand abgeschrieben. Hier war Sophie wohl noch nicht direkt beteiligt, hat aber sicher davon gewusst. Ein Freund erzählt später, dass ihn Sophie um einen Wehrmachtstempel für einen Bezugsschein bittet - für einen Vervielfältigungsapparat. Er warnt Sophie, das sei gefährlich. Aber Sophie schlägt alle Warnungen in den Wind.
12.000 Flugblätter gegen die Nazis
Ihr fünftes Flugblatt streut die Münchener Studentengruppe sogar über die Stadtgrenzen hinaus. Die Nazis sollen denken, dass sie es mit einer großen, weitverzweigten Gruppe zu tun haben: Die Studenten bringen 10.0000 bis 12.000 Flugblätter im Umlauf – von Hand vervielfältigt, in Umschläge gesteckt, frankiert und adressiert. Besonders wichtig im Vorfeld: Sie dürfen nirgendwo Misstrauen erregen - können also immer nur kleine, unauffällige Mengen Briefmarken, Papier und Umschläge kaufen und immer in anderen Läden.
Sophie ist die erste, die mit einem gewaltigen Packen Briefe loszieht. Am 25. Januar 1943 fährt sie von München über Augsburg nach Ulm, den Koffer voller Flugblätter in frankierten Briefumschlägen. Einen Teil der Briefe schickt sie in Augsburg ab, die anderen übergibt sie in Ulm einem Freund, der wiederum einen Teil nach Stuttgart schickt. Auch die anderen Unterstützer der Weißen Rose sorgen dafür, dass die Briefe reichsweit in Umlauf kommen.
"Die Weiße Rose": Widerstand gegen die Nationalsozialisten
In München selber verteilen die Studenten sie in der Nacht vom 28. zum 29. Januar 1943 in Hauseingängen und Hinterhöfen. Der Zeitpunkt ist günstig. Die Menschen sind verunsichert, denn in Stalingrad erlebt die deutsche Wehrmacht ihre bis dahin größte Niederlage. Das wollen die Mitglieder der "Weißen Rose" nutzen – sie pinseln nachts mit Teerfarbe "Nieder mit Hitler" und "Freiheit" an Mauern und Wände des Universitätsviertels und bringen ihr sechstes Flugblatt in Umlauf: "Studenten!", steht darin, "Auf uns sieht das deutsche Volk! Von uns erwartet es die Brechung des nationalsozialistischen Terrors aus der Macht des Geistes!" und "Der Tag der Abrechnung ist gekommen!" Geschrieben hat den Text Professor Kurt Huber - ein unverhohlener Nazi-Gegner.
Verräterische Blätter im Treppenhaus
Den letzten Teil der Auflage dieser Flugblätter verteilen Sophie und Hans am 18. Februar in der Münchner Universität auf Treppen und Fluren. Warum sie ein solches Risiko eingingen, darüber kann man nur spekulieren - vielleicht hatten sie keine Umschläge oder keine Briefmarken mehr? Oder sie wollten das gefährliche Material nur so schnell wie möglich aus dem Haus haben. Ein Paket der Blätter, das Sophie auf der Treppenbalustrade abgelegt hatte, schubst sie selbst - aus welchem Impuls heraus auch immer - hinunter ins Treppenhaus.
Als diese Flugblätter durch die Uni segeln, besiegeln sie auch das Ende der "Weißen Rose" – denn Hans und Sophie werden vom Hausmeister beobachtet und verhaftet. Zu allem Unglück hat Hans auch noch einen Flugblatt-Entwurf ihres Freundes Christoph Probst in der Tasche.
Geschwister Scholl und Christoph Probst: Tod durch das Fallbeil
So stehen alle drei nur vier Tage später, am 22. Februar, vor Gericht. Hitlers "Blutrichter" Roland Freisler macht kurzen Prozess: Schon nach einem halben Verhandlungstag, um drei Uhr nachmittags, fällt das Urteil: Sophie, Hans und Christoph werden zum Tode durch das Fallbeil verurteilt. Noch am selben Tag werden Hans und Sophie Scholl und Christoph Probst im Münchner Gefängnis Stadelheim umgebracht. Das verhängnisvolle 6. Flugblatt der Weißen Rose beginnt danach ein Eigenleben – ähnlich wie manche Nachricht heute, aber ohne soziale Netzwerke: Die "New York Times" berichtet darüber, die BBC liest es im Radio vor und die Royal Airforce wirft Abdrucke über ganz Deutschland ab.
Die Geschwister Scholl sind auf dem Perlacher Forstfriedhof neben Christoph Probst in München beerdigt.
Dieser Artikel wurde erstmals 2017 veröffentlicht.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR: Diskurs | 08. Mai 2021 | 19:05 Uhr