Gert Schramm und das Konzentrationslager Buchenwald
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12. Juli 2022, 11:41 Uhr
Gert Schramm war Häftling Nummer 40489 - einst der jüngste deutsche Gefangene in Buchenwald und der einzige Schwarze überhaupt. In der DDR schlug er eine Funktionärskarriere aus und arbeitete stattdessen als Kumpel in der Wismut und im Walzwerk. Nach der Wende baute er sein Taxiunternehmen auf und engagierte sich unermüdlich gegen Rechts. Bis zu seinem Tod am 18. April 2016 lebte er im brandenburgischen Eberswalde.
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Die Verhaftung
Die Geschichte von Gert Schramm beginnt Ende der 1920-er Jahre in Erfurt. Sein Vater, Jack Brankson, kommt als Ingenieur einer US-amerikanischen Stahlbaufirma nach Thüringen, um dort eine Brücke zu bauen. Brankson verliebt sich in die junge Marianne Schramm, Tochter eines Herrenschneiders. Im November 1928 kommt Gert auf die Welt, wächst in einem katholischen Dorf in Thüringen bei der Großmutter auf. Seinen Vater sieht er auch nach dem Ende seines Montageauftrages immer wieder, da Brankson regelmäßig nach Thüringen zurückkehrt - bis der schwarze Amerikaner 1941 während eines Deutschlandbesuches aufgrund der NS-Rassegesetze verhaftet und nach Ausschwitz deportiert wird.
Mit dem Transport verliert sich seine Spur. Auch Gert Schramm wird 1943 verhaftet - unangekündigt, während der Arbeitszeit. Da ist er 14 Jahre alt und weiß nicht, wie ihm geschieht. Knapp ein Jahr lang hat er keinen Kontakt zu seiner Familie, wird er von einem Gestapo-Gefängnis in das nächste gebracht - von Langensalza nach Erfurt, von Erfurt nach Weimar, immer hin und her.
Die ganze Rassenpolitik war mir ein Buch mit sieben Siegeln. Und wie die mit den Menschen umgegangen sind. Das habe ich nicht gewusst und auch nicht geahnt. Weil bis dahin hatte ich mit den Behörden überhaupt nie einen Anstoß. Erfahren habe ich das, warum und weswegen ich verhaftet wurde, nach einem Jahr. Da wurde ich zu meinem Vernehmer gebracht. Der hatte so ein DIN A4-Blatt vor sich liegen, rot. Oben drüber stand Schutzhaftbefehl. Und dann '...wird aufgrund des Rassengesetzes Paragraf …, sowieso, in Schutzhaft genommen auf unbestimmte Zeit, nicht unter 15 Jahren!'
Die Ankunft im KZ Buchenwald
Von Weimar aus wird der 15-Jährige Gert Schramm mit anderen Häftlingen mit dem Zug nach Buchenwald gebracht wird. Kaum angekommen, warten schon SS-Leute, brüllen "Los ihr Schweine, bewegt euch" und prügeln die Häftlinge ins Lager. Erichtet worden ist es im Juli 1937, auf dem Ettersberg, nur wenige Kilometer entfernt von der Klassikerstadt Weimar. Nach Kriegsbeginn werden Menschen aus ganz Europa hierher verschleppt, unter ihnen politische Gegner der Nazis, Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Vorbestrafte und Wohnungslose. Unter unmenschlichen Bedingungen müssen sie für die deutsche Rüstungsindustrie arbeiten. Mehr als 56.000 sterben an Folter, Krankheit und Auszehrung sowie medizinischen Experimenten.
Die Hilfe der "Kapos"
Gert Schramm wird in eines der berüchtigten Arbeitskommanods eingeteilt, muss in den Steinbruch. Zehn Stunden und mehr muss er hier täglich als Träger schuften, in Holzpantoffeln schwere Steine schleppen. Jeden Tag sterben um ihn herum Menschen. Dass er dieses "Kommando" überlebt, ist ein durch viele Hände vorbereitetes Wunder. Der "Kapo" Willi Bleicher, der für die SS die Arbeitsstatistik führt, teilt ihn nach einigen Tagen einem Baukommando zu. Gert bekommt leichte Arbeit bei der Essensausgabe zugeschoben, bis er wieder zu Kräften kommt.
Viele Häftlinge, vor allem die seit Jahren einsitzenden politischen Gefangenen, helfen Gert Schramm. All die Details hat er erst nach der Befreiung des Lagers erfahren, zu gefährlich, ihn damals einzuweihen. Nur der Blockälteste, Otto Grosse, ein niedersächsischer Kommunist, setzt sich mit Gert Schramm zusammen und gibt ihm ganz offen überlebensnotwendige Tipps: SS-Männern nicht ins Gesicht kucken, beim Appell in der Mitte verstecken, bloß nicht auffallen. Bis heute sei er den Häftlingen dankbar, sagt Gert Schramm.
Das Leben nach dem KZ Buchenwald
Gert Schramm überlebt - und kann es am Nachmittag des 11. April 1945 kaum glauben, als Truppen der US-Armee im Lager ankommen. Einige SS-Leute fliehen, der Kommandant setzt sich per Propellerflugzeug ab. Neun Monate ist Gert Schramm zu diesem Zeitpunkt inhaftiert. Im Juni 1945 kehrt er wieder nach Hause zurück, in ein neues Leben mit Namen statt Nummer, mit Familie und mit Rechten. Gert Schramm arbeitet im Bergbau bei der Wismut, zieht kurze Zeit ins Ruhrgebiet, kehrt aber wieder zurück in den Osten. Zu DDR-Zeiten baute er in Brandenburg ein Taxiunternehmen auf.
Später besuchte Gert Schramm jahrelang Schulen und erzählte Kindern und Jugendlichen von seiner Zeit im KZ Buchenwald. Zudem hat er alles in seinem Buch "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann" dokumentiert. Nach seinem Interview mit "Geschichte Mitteldeutschlands" sagte er, dies solle sein letztes Interview gewesen sein. Mehr könne er mit 86 Jahren und nach überstandener Herz-Operation nicht mehr verkraften.
Nur ein Jahr später, am 18. April 2016 ist Gert Schramm gestorben.
Dieser Artikel wurde erstmals 2015 veröffentlicht.
Kurzbiografie zu Gert Schramm Gert Schramm, geboren 1928 in Erfurt, war nach dem Kriegsende Dolmetscher bei der Sowjetischen Militäradministration, dann Bergmann in Frankreich, bei der Wismut und im Ruhrgebiet. Nach der Rückkehr in die DDR arbeitete er unter anderem in Transport- und Baubetrieben, baute schließlich sein Taxiunternehmen auf. Gert Schramm engagierte sich unermüdlich gegen Rechts und erzählte als Zeitzeuge seine Geschichte. 2014 wurde er mit dem Bundesverdienstorden geehrt.
Funktionshäftlinge
Von der SS für eine bestimmte Funktion ausgewählte Häftlinge, zum Beispiel Blockälteste, Lagerälteste, Lagerpolizei. Die Funktionshäftlinge bildeten die unterste Stufe der Bewachungshierarchie in Konzentrationslagern und erleichterten der SS die Überwachung. Im Verhältnis zu ihren Mitgefangenen hatten die Funktionshäftlinge Vorteile wie bessere Kleidung und bessere Unterbringung. Sie konnten sich freier bewegen und ihre begrenzte Machtposition nutzen, um die brutalen Lagerbedingungen etwas zu mildern oder ihren Mitgefangenen das Leben zusätzlich zu erschweren. In jedem Fall waren sie selbst der ständigen Kontrolle der SS ausgesetzt.
Funktionshäftlinge wurden mit einer Armbinde gekennzeichnet.
Die "Kapos" waren ebenfalls Funktionshäftlinge und hatten den Befehl über die Arbeitskommandos inne.